Arzneimittel und Therapie

Analgetika: Schweres Los für Schmerzpatienten

In Deutschland leben schätzungsweise 5 Millionen chronische Schmerzpatienten. Viele von ihnen werden nicht oder nur unzureichend behandelt, obwohl mit den opioiden Analgetika wirksame Substanzen zur Verfügung stehen. Deren Einsatz ist sinnvoll, wenn sich die chronischen Schmerzen kausal nicht zufriedenstellend therapieren lassen. Schmerztherapeuten fordern zur Verbesserung der Lebensqualität chronischer Schmerzpatienten die vermehrte Verordnung von opioiden Analgetika. Ihrer Ansicht nach sprechen keine medizinischen Gründe dagegen. Das Erlanger Schmerzmodell bietet erstmals die Möglichkeit, die Wirkung von Analgetika objektiv zu messen.

Frühzeitig behandeln

Nicht nur Krebspatienten, sondern auch Menschen, die an entzündlichen oder degenerativen rheumatischen Krankheiten leiden, klagen über starke Schmerzen. Um Chronifizierungen im Schmerz-Nervensystem zu verhindern, wäre es wichtig, möglichst frühzeitig potente Schmerzmittel einzusetzen.

Der Alltag in einer rheumatologischen Praxis sieht jedoch anders aus: Wirksame Schmerzmittel werden überhaupt nicht oder viel zu spät verabreicht. So können sich bei Patienten mit Erkrankungen des Bewegungsapparates chronische Schmerzen zu Hauptleiden entwickeln. Für die Betroffenen stellt das eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität dar. Denn chronische Schmerzen verschlechtern die motorischen Funktionen, die Mobilität, den Schlaf und die Stimmung. Weil die zugrunde liegende rheumatische Erkrankung oft nicht wirkungsvoll behandelt werden kann, ist die effektive Schmerzlinderung eines der wichtigsten Therapieziele.

Vorbehalte unbegründet

Obwohl opioide Analgetika wie zum Beispiel Oxycodon für Patienten mit chronischen Rheumaschmerzen von großem Nutzen sind und deren Lebensqualität nachweisbar verbessern, äußern viele Ärzte Bedenken, Opioide außerhalb der Krebstherapie einzusetzen. Denn sie assoziieren den Langzeitgebrauch mit Toleranzentwicklung, Abhängigkeit, Missbrauch und Nebenwirkungen wie beispielsweise einer Atemdepression. Diese unerwünschten Wirkungen kommen bei Opioiden nicht oder nur sehr selten vor, wie eine retrospektive Kohortenstudie mit Rheumapatienten zeigte, die gegen ihre Schmerzen Oxycodon oder Codein erhielten.

Nervenschmerzen sind häufig

Patienten mit chronischen Schmerzen kommen in der neurologischen Praxis häufig vor. Es sind dies vor allem Patienten mit Kopf- und Gesichtsschmerzen, mit Rückenschmerzen oder Neuropathien. Opioide Analgetika setzt man vor allem bei Neuropathien ein, die schwer zu therapieren sind. Unter Neuropathien versteht man Nervenschmerzen, die durch "Affektionen des Gehirns oder Rückenmarks" hervorgerufen werden. Sie lassen sich in verschiedene Symptomgruppen aufgliedern.

  • Periphere Neuropathien: Die Mono- und vor allem die Polyneuropathien, an denen etwa 50 Prozent aller Diabetiker leiden, nehmen hier einen großen Anteil ein. Dazu kommen die Neuralgien, vor allem postinfektiöse Neuralgien (zum Beispiel Neuralgie nach Herpes) oder Trigeminusneuralgien. Zu den peripheren Neuropathien gehören schließlich die Engpass-Syndrome wie der atypische Gesichtsschmerz oder der Stumpf- und Phantomschmerz.
  • Radikulopathien (Wurzelläsionen) und Plexusläsionen (Verletzungen oder Affektionen im Bereich der Nervengeflechte).
  • Regionale komplexe Schmerzsyndrome, vor allem die sympathische Reflexdystrophie und die Kausalgie (umschriebene Schmerzsymptome im Bereich einiger peripherer Nerven).
  • Neuropathien bei oder nach zentralnervösen Erkrankungen (zum Beispiel Verletzungen des Rückenmarks, Infektionen des ZNS, Multiple Sklerose).

Wie behandelt man Neuropathien?

Die Behandlung erfolgt nach einem Stufenplan. Handelt es sich um attackenartige Schmerzen, setzt man zuerst als Basistherapie Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Gabapentin oder Valproinsäure ein. Bei anhaltendem Schmerz gibt man trizyklische Antidepressiva. Die Analgesie kommt hier vor allem durch eine Minderung der Aufmerksamkeit (Vigilanz) zustande. Der Nachteil: Wer fahrtauglich bleiben und seinem Beruf nachgehen will, wird durch Antidepressiva gehandicapt.

Man kann Antikonvulsiva oder Antidepressiva mit nichtmedikamentösen Behandlungsmethoden kombinieren, zum Beispiel mit der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS) oder mit einer Ergotherapie, um Überempfindlichkeiten zu reduzieren. In 50 bis 75 Prozent aller Fälle ist eine solche Basistherapie erfolgreich. Bei den Patienten, die sich jedoch mit einer Basistherapie nicht ausreichend behandeln lassen, wird eine analgetische Medikation aufgesetzt. Nichtopioide Analgetika wie Ibuprofen (WHO-Stufe 1) sind in aller Regel bei Nervenschmerzen unwirksam. Auch schwache bis mittelstarke Opioide der WHO-Stufe 2 (Tilidin, Tramadol) wirken bei vielen Patienten unzureichend. Gute Erfahrungen macht man vor allem mit starken Opioiden der WHO-Stufe 3, also zum Beispiel mit Oxycodon.

In der Regel gut verträglich

Ein großer Teil der Patienten mit Neuropathien wird nicht ausreichend mit opioiden Analgetika behandelt. Denn oft werden Bedenken geäußert, stark wirkende Opioide bei geriatrischen Patienten einzusetzen, die einen großen Teil der Neuropathie-Patienten ausmachen. Diese Bedenken sind in der Regel unbegründet, da auch bei geriatrischen Patienten nicht mit vermehrten Nebenwirkungen zu rechnen ist. Vorsicht ist jedoch geboten bei Patienten mit einem schlechten Allgemeinbefinden, bei dementen Patienten oder bei Patienten, die mit Psychopharmaka vorbehandelt sind oder an Leber- oder Nierenfunktionsstörungen leiden.

Das Erlanger Schmerzmodell

Die Arbeitsgruppe um den Erlanger Pharmakologen Prof. Dr. Gerd Kobal hat ein Schmerzmodell entwickelt, um die Wirkung von Analgetika objektiv zu messen. Die subjektive Einschätzung des Patienten ist laut Kobal zwar wichtig, Fehler können aber auftreten, weil der Patient häufig den Schmerz, den er in klinischen Studien mit einer visuellen Analogskala angeben muss, aus unterschiedlichen Gründen nicht richtig einschätzen kann.

Das "objektive" Erlanger Schmerzmodell funktioniert so: Für die Erzeugung akuter Schmerzen verwendet man einen chemischen Reiz, und zwar Kohlendioxid. Dieses Gas wird über eine spezielle Apparatur an die Nasenschleimhaut der Probanden geleitet, wo es über Nozisensoren (Schmerzrezeptoren) einen stechenden Schmerz auslöst, wie wenn man etwa an einer Ammoniakflasche riecht. Auf den Kohlendioxid-Reiz reagiert der Mensch mit einer peripheren Antwort an der Nasenschleimhaut und mit einer zentralen Antwort im ZNS.

Die Intensität der zentralen Antwort lässt sich objektiv mit Hilfe "kortikaler schmerzkorrelierter evozierter Potentiale" ableiten sowie subjektiv durch eine Schätzung des Patienten ermitteln. Nach der Gabe eines Analgetikums korreliert die Abnahme der Amplitude der evozierten Potentiale mit der Stärke der analgetischen Wirkung.

Differenzierte Aussagen möglich

Der Vorteil der Kohlendioxid-Methode liegt darin, dass man den schmerzauslösenden Reiz beliebig oft wiederholen kann, ohne dass der Patient daran Schaden nimmt. Während des Versuchs werden die Aufmerksamkeit (Vigilanz) des Probanden sowie seine Feinmotorik mit einem einfachen Computerspiel getestet. Damit kann man differenzieren, ob ein Medikament eine spezifische analgetische Wirkung besitzt oder nur deshalb schmerzlindernd wirkt, weil der Proband müde wird und sein Schmerzempfinden herabgesetzt ist. So kommt es beispielsweise unter Imipramin zu einer subjektiven Abnahme der Schmerzempfindung.

Die Amplituden der evozierten Potentiale ändern sich jedoch nicht. Der Pharmakologe besitzt deshalb mit dem Erlanger Schmerzmodell erstmals die Möglichkeit, die analgetische Wirkung eines Medikaments genau zu charakterisieren. Das Modell hat logistische Vorteile, weil der Test rasch durchgeführt werden kann. Das Modell hat den Vorteil eines definierten, für alle Probanden identischen Schmerzreizes und es bietet schließlich die Möglichkeit, subjektive und objektive Reaktionen des Organismus zu messen und miteinander zu vergleichen.

Quelle Prof. Dr. G. Kobal, Erlangen, Dr. R. Sittl, Erlangen, Dr. J. Wendler, Erlangen, Priv.-Doz. Dr. T.-M. Wallasch, Berlin, Pressekonferenz "Viele Krankheitsbilder, ein Symptom: Schmerz - Ein Jahr Therapieerfahrung mit einem neuen Opioid", Erlangen, 7. September 1999, veranstaltet von Mundipharma, Limburg.

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