Feuilleton

Blume des Jahres 1999: Die Sumpfdotterblume

Bereits im Oktober 1998 präsentierte die "Stiftung zum Schutz gefährdeter Pflanzen" in Ahrensburg die Ranunculacee Caltha palustris L. als "Blume des Jahres 1999". Begründung: Bundesweit, besonders in Niedersachsen und in der Umgebung von Hamburg, sei diese Sumpfpflanze auf dem Rückzug, da mehr oder weniger großräumige Entwässerungen der Landschaft ihr - und natürlich auch vielen anderen Feuchtigkeit liebenden Pflanzen und Tieren - die Wachstums- und Lebensmöglichkeiten nehmen. Viele Feuchtwiesen werden drainiert und planiert.

Selbstverständlich kennen wir Apotheker diese im April und Mai, manchmal auch erst Anfang Juni, gelegentlich zusätzlich im September und Oktober blühende Halbrosettenpflanze. Dottergelb kontrastieren die Blüten zum glänzenden Dunkelgrün der etwa stumpfherz- bis nierenförmigen Blätter. Die Sumpfdotterblume ist ein richtiger Frühlingsbote, der an den Ufern naturnaher Bäche, auf feuchten Wiesen und in hellen Auwäldern gedeiht.

Auf der gesamten nördlichen Hemisphäre (Europa, Asien, Amerika), vom Tiefland bis in die alpinen Regionen (im Himalaya bis in Höhen von 4000 m) kommt Caltha palustris in verschiedenen Unterarten und Varietäten vor.

Etymologie des Gattungsnamens

"Caltha" ist ein römischer Pflanzenname, der ursprünglich vielleicht die "Gelbe Ringelblume" Calendula arvensis L. bezeichnete [1] (s. Kasten). Die Ansicht, dass er vom griechischen "kalathos", was "Körbchen, Schale" bedeutet, abzuleiten ist, wird heute abgelehnt; wahrscheinlicher erscheint die Zugehörigkeit zu einem indogermanischen Wortstamm mit der Bedeutung "gelb" [2]. Im deutschen Volksmund hat die Sumpfdotterblume noch weitere Namen, die auf ihren Standort oder aber auf ihr Aussehen hinweisen: u. a. Bachblume, Sumpfschmirgel, Eierblume, Schmalzblume, Butterblume [3, 4].

Blüten und Früchte

Von ihrer Biologie her bietet die Sumpfdotterblume einige Besonderheiten. Durch den am Grunde der zahlreichen Fruchtknoten ausgeschiedenen Nektar werden verschiedene Insekten, insbesondere Käfer, angelockt. Den Weg zum gedeckten Tisch zeigen ihnen vermutlich im zentralen Teil der Blütenblätter liegende, stark UV-absorbierende Stellen. Regnet es, füllen sich die geöffneten Blüten mit Wasser. Staubbeutel und Narben sind jetzt auf gleicher Höhe mit dem Wasserspiegel. Die Pollen schwimmen zur Narbe. Es kommt zur Selbstbestäubung ("Regenbestäubung").

Die aus der Befruchtung entstehenden Früchte sind - wie bei vielen Ranunculaceen - vielsamige Balgfrüchte. Sie sind innen unbenetzbar und spreizen sehr stark bei Nässe. Fallen Regentropfen auf die Bälge, schleudern sie die Samen heraus. Diese "regenballistischen" Samen besitzen ein lockeres Gewebe, das ihnen gegebenenfalls eine Verbreitung durch Schwimmen ermöglicht [5].

Inhaltsstoffe

Bei [4] sind die Angaben über die bisher bekannten Inhaltsstoffe von Caltha palustris zusammengefasst: So enthalten alle Teile der frischen Pflanze Spuren des Hydroxy-vinylacrylsäure(pentadiensäure)-Lactons Protoanemonin (ca. 0,25 mg/g Frischgewicht in den Blättern blühender Pflanzen), das beim Trocknen spontan zum Anemonin dimerisiert. In den Wurzeln und im Kraut wurden Triterpensaponine vom Oleanantyp (z.B. Hederageninglykoside) nachgewiesen. Das Kraut enthält auch Triterpenlactone mit dem Lupangrundgerüst (u. a. Caltholid, Palustrolid).

In den Wurzeln wurden Benzylisochinolinalkaloide (z.B. das für Magnoliidae typische Magnoflorin vom Aporphintyp und das für Papaverales typische Protopin) gefunden. Die Perigonblätter werden durch Carotinoide gelb gefärbt. Außerdem wurden in den Blüten Quercetin-3-glykoside und Quercetin-3,7-diglykoside nachgewiesen [6].

Verwendung in Küche...

Wie fast jede Pflanze unserer Breiten wurde auch die Sumpfdotterblume zumindest früher in der Küche und als Arzneipflanze genutzt. Möglicherweise aufgrund sehr geringer Mengen an Protoanemonin, einem typischen Sekundärstoff vieler Ranunculaceen (s. o.), schmecken Blätter und Blütenknospen ein wenig scharf. Beide Organe wurden und werden daher auch als Gewürz verwendet: die Blätter als raffinierte Beigabe zu Wildsalaten, die Knospen eingelegt in Essig und Öl als Kapernersatz. Außerdem wurde früher mit den dottergelben Blütenblättern Butter gefärbt.

...und Volksmedizin

Und auch ein medizinischer Gebrauch der Sumpfdotterblume war wohl im ausgehenden Mittelalter und zur beginnenden Neuzeit allgemein bekannt: Dank ihrer gelben Blütenfarbe erschien sie entsprechend der Signaturenlehre für die Heilung von Erkrankungen der Leber ("Galle") prädestiniert. Im "Kreuterbuch" von Adam Lonitzer, Ausgabe von 1679, sind neben dieser noch weitere Anwendungen angeführt:

"Kraut und Blumen in Wein gesotten / etliche Tag getruncken / ist für die Geelsucht. Oder der Saamen zerstossen / und dessen ein halb Quintlin mit Wein eingenommen. Man soll aber zuvor in einem Schweißbad wol ausschwitzen. Diese Blumen und Blätter zerstossen / mit zerlassenem Wachs zu einem Pflaster gemacht / zertheilt dieselbe gewachsene Beulen und Knollen / so der gesunden Haut gleich gefärbt / ohne Schmertzen ... Das hierauß destilliert Wasser / ist gut in hitzige Augengeschwer gethan / oder mit leinen Tüchlein darüber geschlagen / ist gewiß."

Bei nordamerikanischen Indianerstämmen und in der russischen Volksmedizin wurde das Kraut der Sumpfdotterblume zu Umschlägen und Wundspülungen bei Hautläsionen und Geschwüren benutzt; nach innerlicher Anwendung wird von diuretischer und abführender Wirkung berichtet [4]. In der Homöopathie werden Verdünnungen der Urtinktur, die aus frischen, zur Blütezeit gesammelten oberirdischen Teile von Caltha palustris herzustellen ist, als Arzneimittel bei Hautausschlägen benutzt.

Objekt der Kunst

Selbst in der Kunst und in der Kunstgeschichte hat unsere "Blume des Jahres 1999" Eingang gefunden. Kein Geringerer als Leonardo da Vinci (1442 bis 1519) hat sie zusammen mit dem Buschwindröschen (Anemone nemorosa L.) auf einem 88 x 140 mm kleinen 'uvre' verewigt. In der Königlichen Bibliothek auf Schloss Windsor wird das Original unter der Inventar-Nr. 12423 aufgehoben. Lottlisa Behling, auch heute noch in ihren Werken unerreichte kunsthistorische Botanikerin oder botanische Kunsthistorikerin, erfasst die Leichtigkeit dieser Zeichnung mit den Worten [7]:

"Wind und Sonne scheinen über das Buschwindröschen, die Frühlingspflanze der unbelaubten Buchenwälder, gleicherweise hinzustreichen, während man hinter den kräftigen Stielen und den saftgeschwellten Blättern von Caltha palustris Wasser und Bäche feuchter Wiesen wahrzunehmen glaubt."

Auch Urszula Koziol (geboren 1931 im ostpolnischen Dorf Rakówka), die Lyrikerin der Gegenwart, die mich immer wieder tief mit ihrer Poesie beeindruckt, sieht in der Sumpfdotterblume zusammen mit dem Veilchen Metaphern für ihren eigenen vergangenen Frühling. In einem ihrer Gedichte heißt es in der Übertragung aus dem Polnischen von Henryk Bereska [8]:

Unter der Haut fühle ich in mir noch immer das junge Mädchen - (wir haben zusammen Veilchen gepflückt und Dotterblumen so manch eine Mondnacht küssten wir uns mit Burschen) sie zögert wegzugehen sucht nach Vorwänden länger in mir zu wohnen

"Caltha" bei Plinius

Plinius d. Ä. (23–79 n. Chr.) erwähnt in seiner Naturalis Historia (Buch 21, § 28) die Pflanze "caltha", meint damit aber wohl Calendula arvensis. Dort ist im Original und in der Übersetzung von Roderich König und Gerhard Winkler zu lesen:

Proxima ei caltha est et oculari amplitudine. vincit numero foliorum marinam quinque non excedentem, eadem odore superatur. est enim gravis calthae, non levior ei quam scopam regiam appellant, quamquam folia eius olent, non flores.

Die Ringelblume [caltha] steht dem (Veilchen) am nächsten, groß wie ein Auge. An Zahl der Blätter übertrifft sie das "Meerveilchen", das nie mehr als fünf hat, wird aber von diesem im Geruch übertroffen. Die Ringelblume hat nämlich einen strengen (Geruch), der nicht milder ist als der des sogenannten "Königsreises" [scopa regia], obgleich nur dessen Blätter, nicht die Blüten riechen.

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