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1. Bayerischer Suchtforschungstag: Gemeinsam gegen die Sucht

MÜNCHEN (ms). Die Suchtforschung ist im Vergleich zu früher ein blühender Forschungszweig. Einen guten Überblick über die verschiedenen universitären und außeruniversitären Aktivitäten in Bayern zum Thema Sucht gab der 1. Bayerische Suchtforschungstag der Bayerischen Akademie für Suchtfragen (BAS), der unlängst im Alzheimer Saal der Psychiatrischen Klinik der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) stattfand. Die Sucht, so das Fazit der Tagung, ist ein komplexes Thema, das oft widersprüchliche Ergebnisse liefert und politisch brisant ist.

Ziele der BAS

Vor 30 Jahren beschäftigten sich nur wenige Forscher mit der Sucht. Heute wird dieses Thema intensiv erforscht, sagte Professor Hans-Jürgen Möller, Direktor der Psychiatrischen Klinik der LMU in München. Die BAS spielt dabei eine wichtige Rolle. Ihr Ziel ist es, die verschiedenen Forschungszweige, welche die Sucht behandeln, zu verbinden, die Zusammenarbeit von Forschern und Praktikern zu verstärken und die Öffentlichkeit besser über das Thema Sucht und seine vielfältigen Facetten zu informieren, erklärte Dr. Gerhard Bühringer, der Schatzmeister der BAS. Das Thema Sucht werde von den Medien und von der Politik oft verzerrt dargestellt. "Drogen nehmen dort einen breiten Raum ein, obwohl nur eine kleine Bevölkerungsgruppe betroffen ist; dass in Deutschland jährlich etwa 100 000 Menschen an den Folgen des Nikotins sterben und 15 Prozent der Bevölkerung harte Alkoholkonsumenten sind, stößt auf deutlich weniger Gehör", beklagte Bühringer.

Im Mittelpunkt steht das mesolimbische System

Die Sucht ist eine chronische, rezidivierende Erkrankung des Gehirns, die in einen sozialen Kontext und in einen Verhaltenskodex eingebunden ist, sagte Dr. Christian Schütz, München. Das Thema Sucht verbindet die Neurowissenschaften und die Verhaltensforschung. Das mesolimbische System spielt für die Forschung eine zentrale Rolle, denn in diesem Gehirnsystem spielen sich wahrscheinlich die Prozesse ab, die zur Entstehung der Sucht führen. Nach Ansicht der Suchtforscher lösen Veränderungen im Gehirn direkt ein bestimmtes Suchtverhalten aus. Das Bewusstsein kann, muss aber dabei nicht unbedingt eingeschaltet werden.

Alkohol zerstört das Gehirn

"Bei einem Alkoholgehalt von 0,8 Promille ist die Gehirnaktivität um 20 Prozent vermindert", sagte PD Dr. Michael Soyka, München, in seinem Beitrag zur neurobiologischen Grundlagenforschung und Therapieforschung bei Suchterkrankungen. Die Grundlagen der Sucht sind nach Soyka die Persönlichkeit, die Neurobiologie, psychische Störungen, aber auch die Genetik. So ist die Alkoholabhängigkeit zum Beispiel mit Loci auf den Chromosomen 1 und 7 assoziiert. Als Therapieziele bei Suchterkrankungen nannte Soyka die Abstinenz sowie die Verbesserung der psychosozialen Integrität und der Frustrationstoleranz. Die Chancen für eine ambulante Entgiftung Alkoholkranker sind nach Soykas Erfahrungen sehr gut, wenn man als Suchtersatzstoffe Clonidin, Carbamazepin oder trizyklische Antidepressiva einsetzt.

Software-Fehler im Gehirn

Bekanntlich ist das Schmerzgedächtnis bei der Entstehung chronischer Schmerzen von Bedeutung. Ebenso spielt, wie die Erfahrung zeigt, das Suchtgedächtnis eine große Rolle bei der Entstehung der Sucht und bei Rückfällen der Suchtkranken. "Das Suchtgedächtnis kann man sich als Software-Störung der Hirnsysteme vorstellen, die für das Erleben menschlichen Wohlbefindens verantwortlich sind", erklärte Prof. Dr. Jobst Böning, Würzburg. Die Befriedigung der Sucht führt zu einer "Belohnung", die sich im "Limbo-präfrontalen Reward-System" abspielt. Das so gelernte Suchtverhalten verharrt in ständiger "Lauerstellung" und kann jederzeit durch Schlüsselreize zu Rückfällen führen. Das erklärt, warum ehemals Süchtige auch nach jahrelanger Abstinenz plötzlich rückfällig werden können.

Diagnostik besser einsetzen

"Die Therapeuten und Berater in der Suchtbehandlung verwenden zu selten diagnostische Hilfsmittel, obwohl die klinische Diagnostik ein Teil der Therapie sein müsste", sagte Dr. Heinrich Küfner vom Münchner Institut für Therapieforschung. Die psychosoziale Diagnostik hat in der Suchtbehandlung Fortschritte erzielt. So lässt sich heute mit einem einfachen Kriterienkatalog die Gruppe der "chronisch mehrfach beeinträchtigten Abhängigen" (CMA), die besonders gefährdet ist, von den übrigen Suchtkranken abgrenzen. Von CMA spricht man, wenn die Suchtkranken mindestens drei der folgenden vier Kriterienbereiche erfüllen:

  • Konsum psychotroper Substanzen,
  • bereits Therapieerfahrung,
  • schlechte gesundheitliche Situation,
  • soziale und rechtliche Probleme in den letzten zwei Jahren.

Interviews in der Diagnostik

In den letzten Jahren wurde in die Diagnostik von Suchtkranken eine europäische Version des "Addiction Severity Index" eingeführt (EuropASI). In sieben Interviews werden verschiedene Lebensbereiche des Süchtigen durchleuchtet und aufgrund der Ergebnisse die Schwere der Sucht beurteilt. Folgende Bereiche werden untersucht:

  • körperlicher Zustand,
  • Arbeits- und Unterhaltssituation,
  • Alkoholgebrauch,
  • Drogengebrauch,
  • rechtliche Probleme,
  • familiärer Hintergrund,
  • Sozialbeziehungen.

Ein weiteres Verfahren, dessen Brauchbarkeit zur Zeit untersucht wird, ist das "psychosoziale ressourcenorientierte Diagnostiksystem" PREDI, mit dem lösungsorientierte Therapieansätze erarbeitet werden.

Früher Kontakt mit Alkohol

Dr. Roselind Lieb stellte die ersten Ergebnisse einer prospektiven Studie mit 3021 Jugendlichen und jungen Erwachsenen (14 bis 24 Jahre) aus München vor. In der EDSP (early development stages of substances problems) wurde von 1995 bis 1999 Konsum, Missbrauch und Abhängigkeit von legalen und illegalen Substanzen untersucht. Mit 24 Jahren hatten 99 Prozent der Untersuchten Erfahrungen mit Alkohol gesammelt, der erste Kontakt fand in extremen Fällen bereits mit fünf oder sechs Jahren statt. Bei den illegalen Drogen ist Cannabis mit großem Abstand die wichtigste Substanz. 38 Prozent der untersuchten Männer und 27 Prozent der untersuchten Frauen hatten schon Erfahrungen mit Cannabis.

Verteufeln oder erlauben?

"Autofahrten unter Drogen finden statt, wenn eine erhöhte Risikobereitschaft vorhanden ist, als Folge der Drogenwirkung, weil das Unrechtsbewusstsein fehlt, nach dem Genuss von Alkohol oder wenn es die Freunde auch tun", erklärte Dipl.-Psych. Rebecca Löbmann, Würzburg, die gefährdete junge Erwachsene zum Thema Drogen und Autofahren befragte. Interessant sei, dass bei den jungen Erwachsenen zwar ein Unrechtsbewusstsein bei Alkohol vorhanden war, nicht jedoch bei Drogen, zumal die bei Polizeikontrollen kaum entdeckt werden.

Laut Löbmann sind zur Prävention von Drogenfahrten zwei unterschiedliche Strategien möglich. Einerseits könnte man den Drogenkonsum durch eine härtere Drogenbekämpfung verhindern. Andererseits könnte man ähnlich wie beim Alkohol den Konsum von Drogen nicht generell "verteufeln", sondern die jungen Erwachsenen davon überzeugen, unter Drogen nicht Auto zu fahren. Gerade letztere Strategie sei problematisch, so Löbmann, weil sie eine liberale Einstellung zu den Drogen voraussetze.

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