Fehlverhalten im Gesundheitssystem

AOKen holen sich Rekordsumme an Schadenrückforderungen

Berlin - 18.12.2024, 12:15 Uhr

(Foto: IMAGO/Michael Gstettenbauer)

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Durch Betrügereien entstehen den Krankenkassen jedes Jahr enorme Schäden. Allerdings werden deren Ermittlungsmethoden immer ausgefeilter und erfolgreicher. Für die Jahre 2022 und 2023 konnten die AOKen über 40 Millionen Euro erfolgreich zurückfordern.

Die AOKen konnten für die Jahre 2022 und 2023 42,8 Millionen Euro zurückfordern, die durch das Fehlverhalten von Versicherten oder Leistungserbringern unrechtmäßig erstattet worden waren. Das geht aus einer Pressemitteilung des AOK-Bundesverbandes anlässlich der Veröffentlichung des Fehlverhaltensberichts hervor.

Damit erreicht die Summe der Rückforderungen einen neuen Rekordwert. Gegenüber dem Vorberichtszeitraum 2020 und 2021 stieg der Wert um 7,4 Millionen Euro (21 Prozent).

Ein Grund für den Zuwachs der Rückforderungen ist nicht zuletzt die gestiegene Zahl an Hinweisen, die bei den elf AOKen eingegangen waren. Es waren knapp 11.000 im Zeitraum 2022/23 – 14 Prozent mehr als im Vorberichtszeitraum. 60 Prozent der Hinweise stammten demnach von externen Quellen. Dafür sei auch die wachsende Berichterstattung über das Thema verantwortlich, sagte die Aufsichtsratsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Susanne Wagenmann: „Die breite Medienberichterstattung über Betrugsfälle in der Pflege dürfte dazu beigetragen haben, dass Kassen, Angehörige, aber auch Beschäftigte aus der Pflege verstärkt auf Unregelmäßigkeiten achten.“

Von den insgesamt etwa 14.000 untersuchten Fällen handelte es sich bei 55 Prozent um neue Verdachtsfälle. Knapp 7.500 Fälle konnten nach Angabe der Kasse abgeschlossen werden. 1.100 der untersuchten Fälle wurden an die Staatsanwaltschaften übergeben.

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Der alterierende Aufsichtsratsvorsitzende des AOK-Bundesvorstandes, Knut Lambertin, zeigte sich erfreut über die wachsenden Erfolge bei den Rückerstattungen: „Die AOKs und die anderen gesetzlichen Krankenkassen sind immer erfolgreicher bei der Bekämpfung des Fehlverhaltens. So holen sie unrechtmäßig erlangte Beitragsmittel wieder für die Versicherten und ihre Arbeitgebenden zurück.“

Laut Bericht wurden die meisten Fälle von Fehlverhalten in der Pflege aufgedeckt. Im aktuellen Berichtszeitraum kamen 2.772 neue Fälle hinzu. Hier sanken jedoch die gesicherten Forderungen gegenüber dem Vorberichtszeitraum von 11,25 Millionen Euro auf 9,63 Millionen Euro. Platz zwei der häufigsten Betrugsfälle belegt der Bereich Arznei- und Verbandsmittel mit 1.139 neuen Fällen. Hier ist ein deutlicher Zuwachs bei den Rückforderungen der AOKen zu verzeichnen – sie stiegen von 5,23 Millionen Euro auf aktuell 16,96 Millionen Euro. Auf Platz drei folgen Betrugsfälle im Zusammenhang mit Versicherten.

Fehlverhalten bei Arznei- und Verbandsmitteln

Der massive Anstieg der Schadenssumme im Bereich der Arznei und Verbandsmittel geht vor allem auf den Betrugsfall eines Wundversorgers zurück. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Unternehmens hatte gegenüber den Kassen bereits 2018 gemeldet, dass eine systematische Überbelieferung der Leistungsempfänger erfolge, bei der abgerechnete Produkte zum Teil nicht ausgeliefert und stattdessen eingelagert wurden. Im Jahr 2022 erfolgte eine Übernahme des Unternehmens. Die neue Geschäftsführung bemühte sich um eine Aufklärung und bestätigte die betrügerischen Praktiken ihrer Vorgänger. Es wurde ein Gesamtschaden von 29 Millionen Euro bei insgesamt 61 Krankenkassen ermittelt, die von der AOK Bayern federführend vertreten wurden. Die neue Geschäftsleitung des Wundversorgers zeigte sich bereit, die gesamte Schadensumme zurückzuerstatten.

Auch für das Fehlverhalten durch Apotheken findet sich im AOK-Bericht ein Beispiel: Eine Apotheke in Süddeutschland war bei einer Plausibilitätsprüfung aufgefallen, weil hier vermehrt hochpreisige Rezepte für Fertigarzneimittel zur Behandlung pulmonaler arterieller Hypertonie eingelöst wurden – wobei Patient*innen und die verschreibende Arztpraxis mehrere hundert Kilometer von der Apotheke entfernt ansässig waren. Zudem seien Rezepte für Patient*innen nach deren Tod ausgestellt und eingelöst worden. Ende des Jahres 2022 erließ das zuständige Landgericht einen Arrestbeschluss gegen den Apotheker über einen Betrag von 11 Millionen Euro. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde deutlich, dass die Arzneimittel hauptsächlich nicht durch die beteiligte Apotheke, sondern durch einen Großhändler, der ein Patienten-Support-Programm betreut, abgegeben worden waren. Das Verfahren läuft noch.

KI und Schwerpunktstaatsanwaltschaften gegen Fehlverhalten

Zukünftig wollen die AOKen ihre Ermittlungstechniken zur Aufdeckung von Fehlverhalten weiter verbessern. So soll beispielsweise Künstliche Intelligenz helfen, „um Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen und die betrügerischen Aktivitäten einiger weniger Akteure im Gesundheitswesen noch effektiver zu verfolgen“, sagt Susanne Wagenmann. Außerdem fordern die Kassen die Schaffung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften in allen Bundesländern zur Ermittlung gegen Betrugsfälle im Gesundheitswesen: „Umso wichtiger ist eine Bündelung des Wissens in Staatsanwaltschaften, die sich langfristig und durchgängig mit diesem Thema beschäftigen. Denn die Krankenkassen sind keine Strafbehörden, und die Kriminalitätsbekämpfung ist Sache des Staates. Die Bürger haben ein Recht auf eine gute Ausstattung der Justizbehörden“, sagte Lambertin.

Änderungsbedarf im Apothekenrecht

Die AOKen melden auch konkrete Änderungswünsche im Apothekenrecht an. Um Fehlverhaltensfälle, bei denen Apotheken mit Arztpraxen oder Versicherten zusammenwirken, effizienter aufdecken zu können, sollte die Buchungsnummer, welche die Apothekensoftware bei der Buchung der Warenabgabe vergibt, als Teil des elektronischen Datensatzes im Datenträgeraustausch im Rahmen der Apothekenabrechnung mit übermittelt werden. Dies könne durch die Ergänzung des § 17 Abs. 6 Apothekenbetriebsordnung erreicht werden, heißt es. Diese Vorschrift definiert, welche Angaben bei der Abgabe eines Arzneimittels auf dem Kassenrezept bzw. der elektronischen Verordnung einzutragen sind. 

Ein weiterer Vorschlag: Analog zum Substitutionsregister, das bei der Bundesopiumstelle angesiedelt ist, sollte ein erweitertes BtM-Register geschaffen werden. Denn während etwa bei Methadon schon jetzt auffällt, wenn mehrere Arztpraxen Verordnungen für dieselbe Person ausstellen, ist das z. B. bei Fentanyl, Methylphenidat oder Oxycodon bislang nicht Fall. Das erweiterte Register sollte mit Daten der abgebenden Apotheken gespeist werden, die den Arztpraxen niederschwellig zur Verfügung sehen sollen (nicht aber den Kassen). 


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Datenkrake AOK

von Scarabäus am 18.12.2024 um 20:40 Uhr

Die AOKen überschätzen ihre Kompetenzen und werden gierig: Buchungsnummern individueller Kassenvorgänge geht maximal das Finanzamt (hoheitliche Behörde) etwas an und keine GKVen (hier Geschäftspartner). Es reicht schon die Übermittlung der Chargennummern im Rahmen des eRezeptes, wo sich die Apothekerverbände von den datengierigen Kassen übertölpeln ließen. GKVen sind keine Finanzämter!

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