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Lassa-Fieber: Der Fall in Deutschland ist nur die Spitze des Eisbergs

Das tödlich verlaufene Lassa-Fieber einer deutschen Studentin hat schlaglichtartig eine Krankheit beleuchtet, über die selbst medizinische Experten nur sehr wenig wissen. Mehr noch, genährt durch die Spekulation, dass es sich bei dem Virus um eine besonders aggressive Variante gehandelt habe, wird Ų in Anlehnung an den Hollywood-Thriller "Outbreak" Ų der Öffentlichkeit suggeriert, dass immer neue Erreger aus dem tropischen Afrika drohen, gegen die die moderne Medizin rat- und machtlos ist. Eine Bestandsaufnahme zeigt, dass sich die Mutmaßungen nicht erhärten lassen und dass Lassa-Fieber als Gesundheitsproblem in Westafrika im Wesentlichen ein hausgemachtes Übel ist.

Einige erste Hinweise sprechen dafür, dass das aus dem Blut der vor wenigen Wochen in Würzburg verstorbenen Patientin isolierte Lassa-Virus sich von den bislang bekannten Virusvarianten unterscheidet. Dies bemerkten die Virologen vom Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin bereits, als sie versuchten, die Verdachtsdiagnose mit Hilfe der Polymerase-Ketten-Reaktion zu bekräftigen. Die so genannten Primer, Nukleotidbruchstücke, die zur Identifizierung der Virus-RNA benutzt werden und die üblicherweise wie ein ausgefeilter Schlüssel in das betreffende Schloss passen, "erkannten" die genetische Information des Lassa-Virus der verstorbenen Patientin nur teilweise.

Auch wuchs das Virus in der Zellkultur außergewöhnlich gut und rasch an. Daraus lässt sich allerdings nicht automatisch ableiten, dass es sich um eine besonders virulente Erregervariante handelt. Welche Teile des Virusgenoms nämlich für krankmachende Eiweiße, die so genannten Pathogenitätsfaktoren, codieren, ist derzeit noch völlig unbekannt. Erst nach der völligen Aufschlüsselung der viralen Erbinformation und dem Vergleich mit der RNA-Sequenz anderer Isolate aus Guinea, Sierra Leone und Nigeria, so Professor Herbert Schmitz, der leitende Virologe des Hamburger Instituts, wird es möglich sein zu entscheiden, ob hier tatsächlich Mutationen vorliegen, die zu einer deutlich "aggressiveren" Virusvariante geführt haben. Andere Erklärungen für den Tod der Lassa-Fieber-Patientin sind genauso wahrscheinlich (siehe Kasten 1).

Lassa-Fieber – eine Volksseuche in Ländern Westafrikas

Bei der Berichterstattung über den tragischen Einzelfall geriet die Tatsache gänzlich ins Hintertreffen, dass in einig en Ländern Westafrikas das Lassa-Fieber eine regelrechte Volksseuche ist. Für Nigeria, Liberia, Sierra Leone und Guinea - die am meisten betroffenen Länder – schätzt man 300 000 bis 500 000 Infektionen pro Jahr mit rund 5 000 Todesfällen. 70% aller durchgemachten Infektionen mit dem Lassa-Virus verlaufen allerdings symptomlos oder werden von den Betroffenen mit anderen fieberhaften Erkrankungen wie Malaria verwechselt. Alleine in Sierra Leone sind in den letzten Jahren mehrere 10000 Fälle von Lassa-Fieber aufgetreten (bei einer Gesamteinwohnerzahl von rund fünf Millionen). Das Land, in dem seit 1991 ein blutiger Bürgerkrieg tobt, zeigt wie unter einem Brennglas, warum das Lassa-Fieber in Westafrika seit Jahren für Furore sorgt. Das Virus zirkuliert normalerweise in der so genannten Multizitzenratte (Mastomys natalensis), einem kleinen Nagetier, dass in den Wäldern Westafrikas zu Hause ist. Die Nager erkranken selbst nicht, haben aber in ihrem Blut Myriaden von Lassa-Viren, die über den Urin in die Umwelt gelangen.

Übertragung durch Rattenurin ...

Sind Menschen auf der Flucht (in Sierra Leone zeitweise die Hälfte der Bevölkerung) können natürlich die Lebensmittel nicht mehr ordnungsgemäß gelagert werden, und eine Verunreinigung durch Rattenurin ist dann nahezu zwangsläufig. Gleichzeitig bieten verlassene Dörfer mit noch vollen Getreidesilos der Multizitzenratte eine üppige Nahrungsquelle. Die Folge: Die Population der Nager schwillt an und damit auch die Zahl der Erreger. Die zu Heerscharen angewachsenen Ratten folgen den Flüchtlingsbewegungen sozusagen auf dem Fuß – und damit auch über Landesgrenzen hinweg – und "verstreuen" das Virus über ihren Urin. So wird das Lassa-Fieber zum ständigen Begleiter einer entwurzelten und umherirrenden Bevölkerung. Wo Elend und Hunger Weggenossen sind, greifen die Menschen natürlich zu jedem Notnagel: mit selbst gebastelten Fallen werden alle möglichen Nagetiere gefangen, darunter auch die Multizitzenratte. Beim Entleeren der Fallen und bei Aufbereitung der Beute führen Bluttröpfchen oder Aerosole dann leicht zu einer Infektion.

... und Verzehr von "Nagerbraten"

Dass diese Vermutung richtig ist, bewiesen kürzlich Forscher des Hamburger Instituts bei einer Studie in Guinea. Während rund 15 Prozent aller Einwohner, die regelmäßig ihren Speisezettel mit Nagerbraten bereicherten, Hinweise auf eine durchgemachte Lassa-Virus-Infektion aufwiesen, waren es bei Personen, die keine Ratten jagten oder aßen, nur sieben Prozent. Auch Schwerhörigkeit, eine typische Folge einer durchgemachten Lassa-Virus-Infektion, war bei den Fallenstellern vier Mal häufiger als beim Rest der Bevölkerung.

Bis zu einem Drittel sind infiziert

Wie verbreitet das Lassa-Virus in der westafrikanischen Bevölkerung ist, zeigen so genannte Seroprävalenzstudien, systematische Reihenuntersuchungen, in denen nach Antikörpern gefahndet wird, die nach Kontakt mit dem Lassa-Virus gebildet werden. Ob in Guinea oder Liberia, bei 10% , in einigen Gebieten sogar 35% aller Einwohner waren Virus-Antikörper in Blut nachweisbar. Diese Personen haben also mindestens einmal eine Infektion mit dem Lassa-Virus durchgemacht. Wenn das Virus dermaßen häufig in der Bevölkerung vorkommt, ist es beim häufig desolaten Zustand der medizinischen Versorgung im ländlichen Afrika auch nicht verwunderlich, dass sich Krankenpflegepersonal regelmäßig mit dem Erreger ansteckt. In der Tat belegten Untersuchungen in Nigeria, dass in ländlichen Gesundheitszentren bis zu 24% der Mitarbeiter Kontakt mit dem Lassa-Virus gehabt hatten. Jeder Hundertste war sogar akut an Lassa-Fieber erkrankt, ohne dass dies dem Betreffenden bewusst war.

Antikörper bieten keinen Schutz

Die vom Körper gebildeten und für die Diagnose relevanten Antikörper bieten allerdings keinen Schutz gegen eine erneute Infektion. Notwendig hierfür sind zellulare Komponenten des Immunsystems. Wie diese zusammengesetzt sein müssen, ist noch weitgehend unbekannt. Es spricht vieles dafür, dass es Dutzende Varianten des Lassa-Virus gibt, von denen die meisten eine eher leichte Erkrankung hervorrufen. Kommt es nach einer Erstinfektion mit einer "schwächlichen" Variante später zu einer Infektion mit einer "aggressiveren" Spielart des Virus und sind beide Virustypen ausreichend eng miteinander verwandt, so halten – so die derzeitige Lehrmeinung – die zellulären Abwehrkräfte die Virusvermehrung in Schach. Wird dagegen die Erstinfektion bereits durch einen hochvirulenten Erreger verursacht, so hat der Patient ausgesprochen schlechte Karten. Die Todesfallrate liegt dann bei 20%.

Lassa-Fieber wird wohl häufiger eingeschleppt

Das Lassa-Fieber ist nur ein Beispiel unter vielen dafür, dass eine Veränderung im natürlichen Gleichgewicht einer Tierart, die einem potenziell lebensbedrohlichen Erreger als Reservoir dient, eine ursprünglich seltene Krankheit zu einer Volksseuche werden lässt (Kasten 2). Solange sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Westafrika nicht ändern, solange Bevölkerungswachstum und Zerstörung der Umwelt Hand in Hand gehen, werden die Multizitzenratte und mit ihr das Lassa-Virus weiter auf dem aufsteigenden Ast bleiben. Wir müssen uns deshalb darauf einstellen, dass eingeschleppte Fälle von Lassa-Fieber in Mitteleuropa in Zukunft häufiger werden.

Kasten 1

Verstirbt ein Patient an einer so spektakulären Erkrankung wie dem Lassa- Fieber, obwohl das medizinisch Menschenmögliche getan wurde, liegt es für die behandelnden Ärzte nahe, die Ursache für den Tod in einer besonders aggressiven Variante des Erregers zu suchen. Im Falle der Würzburger Patientin ist jedoch auch denkbar, dass die Krankheit bereits so weit fortgeschritten war, dass das eingesetzte Medikament Ribavarin zwar eine weitere Virusvermehrung verhindern, ein Multi-Organ-Versagen mit Todesfolge aber nicht mehr aufhalten konnte (ähnlich wie bei einer fortgeschrittenen Malaria tropica auch häufig der Tod eintritt, obwohl die Anti-Malaria-Mittel ihren Dienst tun). Dafür spricht, dass die erste Blutprobe der Patientin noch eins zu einer Million verdünnt werden konnte, gleichwohl immer noch eine Anzüchtung der Viren in der Gewebekultur gelang.

Möglich ist auch, dass das Immunsystem der Patientin durch die Viren sozusagen überrannt wurde. Das Lassa-Virus vermehrt sich nicht nur in den so genannten Endothelzellen, die die Blutgefäße wie einen Teppich auskleiden, sondern auch in bestimmten Zellen des Immunsystems. In der Tat ist bei anderen rasch verlaufenden Viruserkrankungen wie dem Ebola- und dem Marburg-Fieber eine Unterfunktion der Abwehrkräfte relativ häufig. Dies könnte auch für die verstorbene Patientin zutreffen, die 13 Tage nach Auftreten der ersten Krankheitszeichen immer noch keine Antikörper gegen das Virus gebildet hatte.

Kasten 2

Auch wenn keine exakten Zahlen für die zahlreichen Arten hämorrhagischer Fieber-Viren vorliegen, so zweifeln die Fachleute nicht daran, dass diese Gruppe von Krankheiten in Afrika, Asien und Südamerika im Aufwind ist. Wie Bernard le Guenno, Leiter des Referenzzentrums für hämorrhagische Fieber- Viren am Pasteur-Institut in Paris, ausführt, sind die Epidemien im vergangenen Jahrzehnt in der Regel eine Folge der Zerstörung des natürlichen Ökosystems, in dem die verschiedenen Viren in ihrem Wildtierreservoir kreisen. So führte beispielsweise die Rodung von Regenwald im venezuelanischen Hinterland im Jahre 1989 zu einer Epidemie durch das bis dato unbekannte Guanarito-Virus, an dem innerhalb kürzester Zeit 115 Menschen erkrankten. Der normale Wirt dieses Arenavirus, zu dem auch das Lassa-Virus gehört, ist eine im Urwald lebende Baumwollratte. Der bei den Rodungsarbeiten aufgewirbelte Staub enthielt Spuren von Exkrementen dieses Nagetiers, die als Aerosol von den Neusiedlern eingeatmet wurden.

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