Berichte

AIDS- und Malaria-Kongress in Nigeria: Afrika will sich auch selbst helfen

Alarmierende Berichte waren anlässlich des Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember 2000 zu lesen: 3 Millionen Menschen sollen mit dem HI-Virus infiziert sein, 25 Millionen davon allein in Afrika (Russland rückt übrigens an die 2. Stelle). 2 Millionen AIDS-Todesfälle im subsaharischen Afrika hat man für 1999 hochgerechnet. Am schwersten betroffen ist Südafrika, wo mittlerweile jeder 5. Erwachsene HIV-infiziert ist (vor 2 Jahren waren es noch 13%). Es folgen Sambia, Simbabwe, Botswana, Malawi und Nigeria. Die Lebenserwartung in diesen Ländern ist rapide gesunken - in Sambia z.B. von 54 Jahren (1970) auf derzeit 37 Jahre. In Abuja, der Hauptstadt Nigerias, trafen sich zwei Tage nach dem Welt-AIDS-Tag Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker aus Afrika, USA und Europa mit traditionellen Heilern aus fast allen betroffenen afrikanischen Staaten, um die einheimischen Ressourcen gegen AIDS und Malaria nutzbar zu machen.

Förderung der traditionellen Medizin

Während im Juli 2000 auf dem 13. Welt-AIDS-Kongress in Durban, Südafrika, mit Schlagworten wie "Break the Silence" (das Schweigen brechen) für umfassende Aufklärung, Impfstoffentwicklung und einen von Industrienationen unterstützten Zugang für die afrikanische Bevölkerung zu westlichen Medikamenten geworben wurde, so war das Ziel der "Internationalen Konferenz über Traditionelle Medizin bei HIV/AIDS und Malaria", sich auf eigene Möglichkeiten zu besinnen.

Nach Jahren der Unterdrückung zugunsten der westlich orientierten modernen Medizin ist in Nigeria (wie in den meisten afrikanischen Staaten) jetzt auch von offizieller Regierungsseite wieder eine Förderung der traditionellen Medizin zu spüren. Ihre Integration in das öffentliche Gesundheitswesen wurde sogar zum offiziellen Wahlkampfschlager ausgerufen. Nicht nur weil ein Großteil vor allem der ländlichen Bevölkerung mehr denn je bei traditionellen Heilern Hilfe sucht. Man erwartet, in der fast ausweglosen Situation der anwachsenden AIDS- und der neuerdings zurückkehrenden Malaria-Epidemie neue "alte" Möglichkeiten zur Behandlung, Vorsorge und Rehabilitation für diese beiden Krankheiten zu entdecken.

AIDS - eine alte Krankheit?

Man nimmt heute an, dass AIDS in Zentralafrika längst verbreitet war, bevor es im Westen als Epidemie eingestuft wurde. Das würde aber auch heißen, dass traditionelle Heiler immer schon AIDS behandelt haben, dass sie in ihrer Jahrhunderte alten Tradition im Umgang mit der lokalen Flora auch Arzneien zur Behandlung der heute unter AIDS subsumierten Infektionen und Krankheitsbilder entwickelt haben.

Viele Heiler sind auf Befragungen inzwischen sehr zurückhaltend geworden. Ihre Pflanzenzubereitungen seien nur dem Stamm vorbehalten, Rezeptur und Dosierung seien Familiengeheimnis, hieß es oft. Die Angst, "bestohlen" zu werden, sitzt tief bei vielen Heilern, genauso schwer aber wiegt die Sorge, dass ihr Wissen in einem anderen Sinn, in einer "fremden Spiritualität" verwendet wird.

Intellectual Property Rights

Inzwischen ist es bis in die Hinterwälder Afrikas vorgedrungen, dass naive Offenheit meist nur den Fragenden bzw. den dahinterstehenden Konzernen Profit und Reichtum bringt, dass aber altes, über Generationen vererbtes Wissen nur gering honoriert oder gewürdigt wird.

So nahm denn auch die Diskussion um die Möglichkeiten und Rechte zum Schutze und zur Förderung von einheimischem und lokalem Wissen (Intellectual Property Rights, IPR) auf der Konferenz breiten Raum ein. Südamerika, Südostasien und Afrika versuchen, mit eigenen Gesetzesinitiativen den weltweiten Regulierungsinstitutionen wie "World Intellectual Property Organisation" (WIPO), "United Nations Conference on Trade and Development" (UNCTAD) und "United Nations Convention on Biological Diversity" (CBD) auch eigene Interessensvorschläge entgegenzusetzen. Nur so seien Entwicklungen zu bremsen, die heute mit Schlagworten wie "Biopiraterie", "Biokolonialismus" oder "billige Handelsware Wissen" umrissen werden.

Erschwernisse der Therapie

Nach wie vor gilt in Afrika - wie überall - als oberstes Gebot, das Tabu und das schicksalsergebene Schweigen um HIV/AIDS zu brechen. Es wird erzieherische Aufklärungsarbeit in Bezug auf Ursachen, Ausbreitung und Auswirkungen der Krankheit betrieben, aber der verantwortliche Umgang mit der Sexualität und der Gebrauch von Kondomen widerspricht dem Denken und Naturell der einfachen Bevölkerung.

Man ist sich aber auch - allen offiziellen Übertragungstheorien zum Trotz - wohl bewusst (und das kam in vielen Beiträgen durch), dass Armut und Mangelernährung und das dadurch geschwächte Immunsystem weiter Bevölkerungskreise eine entscheidende Rolle in der rasanten Zunahme von AIDS und seinen charakteristischen Begleitkrankheiten (wie chronische Hautausschläge, Tuberkulose, Gewichtsverlust oder chronische Diarrhö) spielen. Auch Koinfektionen mit Malaria oder Leishmaniose, einer durch Sandmücken übertragenen Trypanosomenparasitose, fallen immer mehr ins Gewicht, weil sie bei AIDS häufig einen atypischen, wesentlich schwereren und schwierig therapierbaren Krankheitsverlauf zeigen.

Westliche Medikamente nicht erschwinglich

Obwohl inzwischen viel zur Pathogenese, Diagnose und Behandlung dieser Krankheiten bekannt ist und weiter geforscht wird, sind die entsprechenden Medikamente entweder unzureichend oder außerhalb der Reichweite der meisten Menschen in Afrika. Die Medikamente, die in den Industrieländern eingesetzt werden, sind für Entwicklungsländer nicht erschwinglich. Ein Dollar ist der durchschnittliche Tagesverbrauch für den Großteil der afrikanischen Bevölkerung. Da kann an westliche Medikation mit Chemotherapeutika und Zwei- und Dreifachtherapien bei diesen Krankheiten gar nicht gedacht werden - auch wenn UNAIDS (AIDS-Hilfe der Vereinten Nationen) vielerorts Subventionen gewährt. Bei Malaria ist es die sich immer schneller entwickelnde Resistenz, die erfolgreiche Medikamente unwirksam macht.

Qualitätsstandards in Afrika

Alle Hoffnungen stützen sich nun auf traditionelles Heilwissen in Verbindung mit moderner Arzneipflanzenforschung. Auch in Afrika kennt man die modernen Bioassays und die Möglichkeiten zum Qualitäts-, Sicherheits- und Wirksamkeitsnachweis moderner Phytopharmaka.

Noch gibt es in Nigeria und in den meisten afrikanischen Staaten keine gesetzlichen Auflagen, um ein Arzneimittel auf den Markt zu bringen. Es werden jedoch auch hier die Stimmen immer lauter, die gültige Richtlinien zur Standardisierung, Deklaration und Registrierung traditioneller pflanzlicher Arzneimittel fordern, für die Wirksamkeit, Qualität und Sicherheit gewährleistet sind. Man weiß aber auch, dass der Weg dahin lang und beschwerlich sein dürfte.

Der Kontrast zwischen moderner und traditioneller Medizin ist in Afrika aber um ein Vielfaches ausgeprägter als in westlichen Ländern, ist doch magisches Denken im Bezug zu Krankheiten noch weit verbreitet. Der spirituelle Gehalt der Heilpflanzen und Heilweisen ist für die breite Bevölkerung noch immer von großer Bedeutung.

Dementsprechend waren die Ziele der Konferenz abgesteckt: Neben der traditionellen Behandlung von AIDS und Malaria und der wissenschaftlichen Erforschung AIDS-wirksamer Heilpflanzen war vor allem die Entwicklung und Ausarbeitung von Rahmenrichtlinien zur Standardisierung und biochemisch-klinischen Evaluierung von Phytopharmaka ein Thema. "Die Regierung hat zu lange nichts in dieser Richtung unternommen und dadurch eine positive Entwicklung und Nutzung vorhandener Kapazitäten unterbunden", sagte Professor Maurice Iwu, Organisator der Konferenz und Motor dieser Bewegung.

Zentralafrikanische Pharmakopöe

Vorrangig schwebt den Verantwortlichen eine gemeinsame Zentralafrikanische Pharmakopöe im Stil der Extra Pharmacopoeia von Martindale (mit Fallstudien) vor und die Monographierung der wesentlichen Arzneipflanzen Zentral- und Westafrikas nach dem Vorbild der ESCOP-Monographien. Man war sich auch klar, dass nur starke Privatinitiativen die langsamen Mühlen der afrikanischen Behörden und Politik in Gang setzen können. Gute Zusammenarbeit zwischen Universitätsforschung und Wirtschaft und ein besserer Informationsfluss sind momentan die wichtigsten Ziele.

Man weiß aber auch, dass das Gitter der Vorschriften nicht zu engmaschig sein darf. Denn: "Traditionelle Medizin ist in Afrika eine Angelegenheit von Leben und Tod und nicht, wie in der westlichen Welt, nur eine zusätzliche Heilweise."

Behördliche Anerkennung der Traditionellen Medizin Afrikas

Zukunftsvision ist die offizielle Anerkennung und Gleichstellung der Traditionellen Medizin Afrikas mit der modernen, westlich orientierten Medizin (ordinary medicine) nach dem Vorbild Chinas.

Ein vor 30 Jahren bereits in Senegal initiiertes Forschungsprojekt wurde zum Vorbild für andere Regionen. Die traditionellen Heiler schlossen sich dort in der Vereinigung Prometra (Association for the Promotion of Traditional Medicine) zusammen. So wurden sie bald auch behördlich anerkannt. In einigen von Prometra unterhaltenen Gesundheitszentren arbeiten "normale" Ärzte mit gut ausgerüsteten Diagnostiklabors mit traditionellen Heilern zusammen. Die Patienten werden bei jedem Besuch immer zuerst genauestens untersucht, therapiert werden sie jedoch ihrem Wunsch gemäß nur vom Heiler, der nicht über die Diagnose informiert wird.

In zehn Jahren wurden so 38 000 Krankengeschichten dokumentiert und ausgewertet. Fast immer (97%) konnte - auch diagnostisch - eine Verbesserung festgestellt werden, bei etwa 70% eine Heilung.

Flammend war mancher Aufruf und manche Ermunterung: Es sei an der Zeit, Komplexe abzulegen. Afrika dürfe wieder stolz sein über den Reichtum seiner Natur und die - noch ungehobenen - Schätze einheimischen Wissens. Und pragmatisch waren die Vorschläge zur Realisierung: Einfache Beobachtungsstudien, mit der nötigen Ehrlichkeit und Ehrfurcht ausgeführt, könnten die langen und kostenreichen klinischen Studien westlichen Stils ohne weiteres ersetzen.

Neues Screening auf Anti-HIV-Aktivität

Mit Interesse begrüßt wurde ein neues, vereinfachtes, wenn auch nicht billiges Testsystem (CEM-TART-Assay), entwickelt an der US-Universität von Utah (Louis R. Barrow), mit dem in wenigen Schritten Anti-HIV-Aktivität in Vielstoffgemischen (z.B. Pflanzenextrakten) gemessen werden kann. Dabei verfolgt man die Replikation von defekten HIV-Partikeln in humanen T-Lymphozyten-Kulturen, die mit spezifischen Proteinen zur Förderung der Virusreplikation angereichert sind. Wird durch Zugabe der Prüfsubstanz die Virusproduktion gehemmt, zeigt dies eine Anti-HIV-Aktivität an. Der Test ermöglicht auch, antivirale Aktivität generell zu detektieren.

Integration der Heilweisen als Schlüssel zum Erfolg

Einig war man sich, dass die zahlreichen Berichte von Forschungsinstitutionen und privaten Unternehmen über positive klinische Ergebnisse bei der Behandlung von AIDS mit traditionellen Arzneimischungen wissenschaftlichen Kriterien nicht standgehalten haben. Sie haben nicht zur Entwicklung neuer aktiver Substanzen oder wirksamer neuer Behandlungsmethoden geführt.

Der endgültige Schlüssel zu einer wirkungsvollen Therapie liege wohl in der Integration westlicher Medizin mit traditionellen Heilungsverfahren. Die Nahrungsdefizite mit Aufbaumitteln auszugleichen, den kranken Körper zu entgiften und das Immunsystem zu stärken, halte man gleichwohl immer noch für günstiger als die modernen, antiretroviralen Therapien des Westens.

Uneinigkeit herrschte dagegen über Gültigkeit und Durchführbarkeit der heute gängigen AIDS-Tests: Da sie nicht auf das HI-Virus direkt, sondern auf Antikörper, prüfen, sei die Möglichkeit einer "false antibody reaction" nicht ausgeschlossen.

Erfolge bei Malaria

Weitaus erfolgreicher scheinen die Bemühungen um die Behandlung von Malaria zu sein. Etwa 500 einheimische Pflanzen werden derzeit intensiv auf ihre Wirkung gegen resistente und nicht resistente Plasmodium-Stämme getestet und weiter untersucht (110 Pflanzen übrigens gegen Leishmania). Malaria gehört jedoch so sehr zum afrikanischen Leben dazu, dass man gelernt hat, damit umzugehen: Jede Familie, jeder Stamm besitzt ein Geheimrezept dagegen. Das gängigste habe ich mir (für alle Fälle) notiert:

Über mehrere Tage Abkochungen der Blätter des Neembaums (Azadirachta indica) trinken und den Körper durch Dampfbäder mit Abkochungen aus Zitronengras, Bananen-, Guave- und Papayablättern zum aktiven Schwitzen bringen.

Hinweis

Wer gern helfen möchte, sei an den Bericht über die Dr. Holzheu-Stiftung und die Hilfsorganisation Parmed e.V. - Medizinischer Partner der Dritten Welt erinnert (DAZ, Heft 50, 2000, S.28 und www.parmed.de).

Kastentext: Mittel gegen AIDS

Pflanzen, die (neben vielen ungenannten Spezies) von traditionellen Heilern in Afrika bei HIV-Infektion und AIDS eingesetzt werden: Achillea millefolium (antiinflammatorisch, antiviral) Annona senegalensis Anogeissus schimperi Calendula officinalis (antifungal, antibakteriell, antiviral) Cassia goratensis Echinacea (immunstimulierend) Hymenocardia acida Ipomoea batatas (Blätter) Momordica charantia (CD4-Anstieg) Urtica urens (immunstimulierend) Flavonoid- und polyphenolreiche Grüngemüse, Bittergemüse (z.B. Karottenblätter, Kürbisblätter) Lactobacillus sporogenes (probiotisch)

Kastentext: Mittel gegen Malaria

Pflanzen, die in Afrika am häufigsten für traditionelle Arzneien gegen Malaria verwendet werden: Nigeria: Anacardium occidentale (Cashew-Blätter); Alstonia boonei (Blätter und Wurzeln); Ananas sativus (Blätter); Araliopsis tabouensis; Azadirachta indica (Neemblätter); Carica papaya (Samen, Blätter und Wurzeln); Citrus limon (Blätter und Saft); Cympopogon spp. (Zitronengras); Eupatorium odoratum; Gossypium hirsutum (Baumwollsamen und -blätter); Ipomoea batatas (Süßkartoffelblätter); Morinda lucida; Ocimum gratissimum (Blätter); Psidium guava (Guaveblätter) Zentralafrika: Aframomum spp. (Alligatorpfeffer, Paradieskörnerpflanze); Renealmia spp. (z.B. R.africana, R.cincinnata); Terminalia glaucescens und T.catappa (Blätter); Xylopia spp. (Samen und Rinde) Äthiopien: Ajuga remota; Artemisia afra und A.reha (Kraut); Bersama abyssinica (Zweig- und Wurzelrinde); Lepidium sativum (Samen); Securidaca longepedunculata (Wurzeln) Simbabwe: Amblygonocarpus andongensis; Carica papaya; Colophospermum mopane; Diplorhynchus condylocarpon; Garcinia huilensis; Harungana madagascariensis; Pterocarpus angolensis; Zanha africana Westafrika: Morinda lucida; Pycnanthus angolensis; Struchium sparganophora; Tithonia diversifolia

Literatur: P. Duesberg: The African AIDS Epidemic: New and contagious - or Old under a New Name? (vom AIDS panel in Durban am 22. Juni 2000), erschienen unter www.duesberg.com/africa2.html

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