Kommentar

Europäischer Gerichtshof: Standesrecht vor großen Umbrüchen?

(cr). Zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs sorgen bei den Apothekerkammern und den Berufsvertretungen anderer freier Berufe für Unruhe: Nach Auffassung des Luxemburger Gerichts handelt es sich bei berufsständischen Kammern um Unternehmensvereinigungen, die beim Erlass berufsordnungsrechtlicher Regelungen an das europäische Wettbewerbsrecht gebunden sind. Welche Konsequenzen die beiden Entscheidungen auch für die Regelungsbefugnis der deutschen Apothekerkammern haben, ist noch nicht endgültig absehbar.

Zwei Fälle hatte der Europäische Gerichtshof am 19. Februar zu entscheiden: Zum einen stand das niederländische Standesrecht der Anwälte auf dem Prüfstand, das - anders als in Deutschland - Rechtsanwälten verbietet, mit Wirtschaftsprüfern in einer Kanzlei zusammen zu arbeiten (Urteil vom 19. Februar, Az: C-309/99). Im zweiten Fall ging es um die Rechtsmäßigkeit der Gebührenordnung der italienischen Rechtsanwälte (Az.: C-35/99). Diese wird zwar vom Gesetzgeber erlassen worden - allerdings auf Vorschlag der italienischen Rechtsanwaltskammer.

Kammer als Unternehmensvereinigung

Beide Regelungen erklärten die europäischen Richter für zulässig, rechtlichen und politischen Sprengstoff enthält jedoch die vorgelagerte Feststellung des Gerichts, dass "Rechtsanwaltskammern als Unternehmensvereinigungen im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft zu betrachten seien". Damit könnte das Luxemburger Gericht der EU-Kommission eine weitreichende Befugnis eingeräumt haben, standesrechtliche Bestimmungen der Kammern freier Berufe auch unter Gesichtspunkten des europäischen Wettbewerbsrechts zu überprüfen. Die EU-Kommission hat bereits angekündigt, dass sie auch in Deutschland etliche Standesregeln für rechtlich problematisch hält. Ins Visier der Wettbewerbshüter scheinen dabei insbesondere berufsordnungsrechtliche Werbebeschränkungen zu geraten.

Konsequenzen...

Die Konsequenzen der beiden Entscheidungen für die Regelungsbefugnis der deutschen Apothekerkammern sind nur schwer zu prognostizieren, zumal der Europäische Gerichtshof im Jahre 1993 Werbebeschränkungen in der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg bei apothekenüblichen Waren und freiverkäuflichen Arzneimittel für europarechtlich zulässig erklärt hatte (Urteil vom 15.12.1993, DAZ 1993, S. 4906). Ironie der Geschichte: Die entsprechenden Regelungen wurden dann gut zwei Jahre später vom deutschen Bundesverfassungsgericht wegen Verstoßes gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) für verfassungswidrig erklärt (Urteil vom 22.5.1996, DAZ 1996, S. 2785).

...und Reaktionen

Die ersten Reaktionen auf die beiden Entscheidungen waren geteilt: Gegenüber dem "Handelsblatt" äußerte sich Professor Bernhard Möschel, Professor für Wettbewerbsrecht in Tübingen und ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission, erfreut: "Jetzt ergeben sich manche Möglichkeiten, das Standesrecht einmal auszuforsten." Auch für Peter Schlosser, Direktor des Instituts für Anwaltsrecht an der Universität München, sind die Entscheidungen folgenreich, da sie auf andere wirtschaftsnahe freie Berufe übertragen werden könnten.

Allerdings, so Schlosser, glaube er nicht, dass die beiden Urteile vorbehaltlos auch bei freien Berufen anwendbar seien, die dem Gesundheitsschutz dienten. Arno Metzler, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der freien Berufe, sieht bei der EU eine verstärkte Tendenz, "auf freie Berufe einzuschlagen". Wettbewerbskommissar Monti gehe zu weit, wenn er etwa Apothekerkammern als "Kartelle im Pharmabereich" ansehe. Skeptische Zurückhaltung auch bei Lutz Tisch, Geschäftsführer Recht bei der ADBA: "Ob und in welchem Umfang die beiden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs auf die Berufsordnungen der Apothekerkammern in Deutschland zu übertragen werden können, bedarf noch einer sorgfältigen Analyse. Vorschnelle Schlüsse sollten nicht gezogen werden. Insbesondere darf auch der Verbraucherschutz nicht aus dem Blickfeld geraten."

Auch Claudia Dittberner, Referentin für Berufs- und Europarecht beim Bundesverband der freien Berufe, beurteilt die EuGH-Entscheidungen eher vorsichtig: "Die innerstaatliche Konstruktion der Kammern wird akzeptiert, soweit der Gesetzgeber Vorgaben macht und die Letztentscheidungsbefugnis behält, wie es in Deutschland der Fall ist." Dennoch: Auch auf europäischer Ebene ist die Diskussion um mögliche Wettbewerbsverkrustungen bei den freien Berufen nicht neu. Es sei daher damit zu rechnen, dass die Urteile des EuGH "Signalwirkung für die zukünftige politische Bewertung von freien Berufen" haben werden, so Dittberner gegenüber der AZ.

Die beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind im Internet abrufbar unter: http://europa.eu.int/cj/de/index.htm

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