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Wir drucken den Beitrag von Andreas Mihm nachfolgend ab und bedanken uns bei der FAZ für die Nachdruckgenehmigung.
Ein Gespenst geht um in den deutschen Apotheken. Es verbreitet Angst und Schrecken unter den Apothekern, ihren Mitarbeitern, gar unter den Studenten der Pharmazie: Es ist das des baldigen wirtschaftlichen Niedergangs, des Verlustes Tausender Arbeitsplätze, der Zerstörung einer jahrhundertealten – erprobten und für gut befundenen – Versorgungsstruktur.
Aber zum Leidwesen der Apotheker will die Öffentlichkeit die Gefahr nicht recht wahrhaben. Denn der böse Geist kommt im modernen Gewand daher, präsentiert sich offen und der Zukunft zugewandt in Gestalt einer niederländischen Versandapotheke. Das DocMorris-Virus schleicht sich ein und verbreitet sich schneller, als es den Funktionären der Apothekerkammern und -verbände mit ihren 21 500 Apotheken lieb ist. Die Bundesregierung, Krankenkassen, Sachverständige, Gewerkschaften und sogar Ärzte – fast alle sind für den Versandhandel, nur die Apotheker und ihre Lieferanten nicht.
Doch noch geben diese sich nicht geschlagen. 7,7 Millionen Unterschriften ihrer Kunden haben sie aufgeboten, um Gesundheitsministerin Ulla Schmidt noch vor dem Wahltag zu bedeuten, daß es falsch sei, hierzulande Versandhandel zuzulassen. In Befragungen läßt der Pharmagroßhandel feststellen, daß die meisten Kunden der Apotheken gar kein Interesse an Bestellungen über das Internet hätten.
Unablässig warnt die Standespresse vor den Gesundheitsgefahren, die von unzuverlässigen Pillenversendern ausgehen, wenn sie die bestellten Tabletten überhaupt binnen akzeptabler Zeit auf den Postweg bringen. Die Apotheker tun alles, um den Einbruch des Neuen in ihre etablierten Strukturen zu verhindern.
Doch scheinen sie der Kraft der eigenen Argumente zu misstrauen. Denn warum sollte jemand einen Wettbewerber fürchten – um nichts anderes handelt es sich beim Versandhandel –, wenn der keine Kunden finden wird? Maximal acht Prozent werden den Versand nutzen, erwartet die Bundesregierung. In Amerika sind es kaum 15 Prozent, in den Niederlanden und der Schweiz weniger.
Ein Kaufmann, der sich seiner Kompetenzen und Produkte bewußt ist, muß die Konkurrenz nicht fürchten. Zumal es um die deutschen Apotheken in der Gesamtheit nicht schlecht bestellt ist: Gesundheitsleistungen sind ein Gut, das sich wachsender Nachfrage erfreut. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Apotheken stetig.
Die vordringliche Frage lautet aber nicht, wie hoch die Kostensenkungen ausfallen, die die klammen Krankenkassen erzielen, wenn ihre Versicherten Medikamente über Versandhandelsapotheken beziehen. Die entscheidende Frage heißt: Ist es gerechtfertigt, daß der Gesetzgeber dem Bürger vorschreibt, wie und wo er seine Medikamente zu beziehen hat? Dürfen Apotheker in ihrer Berufsfreiheit so beschnitten werden, daß ihnen bestimmte Geschäftsmodelle untersagt werden? Zu rechtfertigen wäre dies nur, wenn Gesundheit und Versorgungssicherheit der Patienten durch neue Vertriebswege gefährdet würden. Dafür gibt es keine trifftigen Anhaltspunkte.
Unbestritten ist, daß der Vertrieb von Medikamenten staatlicher Aufsicht unterliegen muß. Aber es ist nicht einsichtig, warum die Bestellung und Lieferung von Medikamenten per Post nicht ebenso sicher gewährleistet werden kann wie am Apothekenschalter an der Ecke.
Der von Ulla Schmidt organisierte "Runde Tisch im Gesundheitswesen" hat Bedingungen aufgelistet, unter denen der erst 1998 untersagte Versandhandel in Deutschland wieder erlaubt werden könnte. Auf dieser Basis sollte der Handel zugelassen werden. Dann können die Kunden entscheiden und mit ihnen geschäftstüchtige Gründer. Auch für Nacht-, Sonn- und Feiertagsdienste ließe sich eine Lösung finden, die die klassischen Apotheker dann nicht mehr zu bisherigen Konditionen sicherstellen wollen.
Wer das alles dennoch ablehnt, der muß sich nachsagen lassen, eigene Interessen zu verfolgen. Das ist statthaft. Doch sollte er sie nicht mit dem Mantel der Gemeinnützigkeit und Versorgungssicherheit bekleiden wollen. Unverständlich ist, warum Union und FDP sich gegen den Versandhandel von Arzneimitteln aussprechen. Will doch die Union den Versicherten mehr Wahlfreiheiten einräumen, die Liberalen der Wirtschaft Freiräume schaffen. Klientelinteressen scheinen im Wahlkampf vor ordnungspolitischen Überzeugungen zu rangieren. Apotheker sind eben auch Wähler.
Natürlich würde eine auch vom Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen angemahnte vorsichtige Liberalisierung des Arzneimittelvertriebs die herkömmliche Struktur verändern. Das System würde effizienter. Einerseits würden Apotheken ausscheiden, andernorts würden Pharmazeuten neue Geschäftsmodelle ausprobieren. Diese Veränderungen bergen Chancen im wachsenden Gesundheitsmarkt. Sicher würde das Verbot vom Fremd- und Mehrbesitz für Apotheken bald fallen.
Wäre das falsch? Nein, denn über die wirtschaftliche Effizienz von Vertriebsstrukturen sollte der Markt entscheiden, nicht der Gesetzgeber. Pharmazeuten in Ketten-Apotheken würden die Verbraucher wohl nicht weniger gut beraten und beliefern, als dies heute geschieht. Schon jetzt gibt es enge wirtschaftliche Beziehungen unter Apotheken sowie zwischen Apotheken und Großhändlern – nicht nur bei Naturalrabatten, jenen kostenfrei gelieferten Medikamenten, mit denen Hersteller ihre Präparate ins Regal drücken. Mehr Transparenz würde hier nicht schaden. Der Arzneimittelvertrieb ist eine Baustelle der Gesundheitspolitik, die weit über den Versandhandel hinausreicht.
Noch wollen die wichtigsten Kunden der Apotheker, die Rentner, nichts von Bestellungen bei Versandhändlern und über das elektronische Netz wissen. Doch wächst die nächste Generation heran, erfahren im Umgang mit neuer Technik, erprobt im Beschaffen von Informationen und Beratung – nicht nur am Schalter. Die Apotheker verspielen eine große Chance. Gemeinsam mit der Politik sollten sie eine Lösung für den Versandhandel suchen, bevor sie der Europäische Gerichtshof im kommenden Jahr wohl erzwingt.
Andreas Mihm
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 08. 2002, Nr. 195/Seite 11
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