- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 38/2002
- Raumfahrt: Mit Hyper-X ...
DAZ wissenswert
Raumfahrt: Mit Hyper-X ins All
Ersatz für die Space Shuttle
Die Zeit ist also schon lange reif für einen großen Wurf. Die Hauptaufgabe eines neuen Raumgleiters wird es sein, Menschen zur Internationalen Raumstation ISS zu bringen und den Vorposten im All mit Material zu beliefern. Die ISS ist bereits heute unterversorgt, da kein effektiver Pendelverkehr aufrechterhalten werden kann. Die drei Mann Besatzung der ISS haben alle Hände voll zu tun, die Plattform am Laufen zu halten. An Forschung ist derzeit nicht zu denken. Neues tut not.
Dennoch war die Entwicklungsarbeit zwischenzeitlich zum Erliegen gekommen. Die enormen Kosten einer Neuentwicklung sind kaum noch zu schultern. Die Space Shuttle, deren Technik aus den Siebzigerjahren stammt, werden deshalb wohl noch bis 2020 fliegen müssen, trotz ihrer teuren Haltung. Jedes Kilogramm, das sie ins All hieven, kostet 11000 US-Dollar, eine gesamte Mission bis zu 800 Millionen US-Dollar.
Für Europa zu teuer
Auch in Europa wurde an solchen visionären Gefährten gearbeitet. Der Bau des von der European Space Agency (ESA) entwickelten Raumgleiters Hermes, der schon 1998 hätte fliegen sollen, wurde 1992 wegen der gigantischen Kosten von mehr als 6 Milliarden Euro gestoppt. Buran, die Raumfähre der Russen, steht schon im Museum. Sogar die USA hatten die Entwicklung eines Nachfolgemodells der Space Shuttle – die einstufige X-33 – nach Investitionen von mehr als 1 Milliarde US-Dollar im März 2001 wieder eingestellt.
Hyper-X mit Hyperschall
Das Hyper-X-Programm, das die USA nun aufgelegt haben, soll die Lücke schließen. Zwischen Mach 7 und Mach 10, das sind etwa 11 500 km/h, sind projektiert. Das nennt man Hyperschall, der definitionsgemäß bei Mach 4,5 beginnt. Der bisherige Weltrekord liegt bei Mach 6,7. Ihn stellte 1967 die X-15 auf, ein von einer Rakete getriebenes Fluggerät. Das X stand schon damals für etwas Besonderes. Damit bezeichnen die USA ihre zukunftsweisenden Konzepte (Tab. 1). Allerdings sind bisher viele X-Programme gründlich schief gegangen. Auch das Hyper-X-Projekt hat schon einen Rückschlag erlebt. Das erste Fluggerät des Projektes, die 3,5 m lange X-43, ist im vergangenen Jahr abgestürzt.
Das Besondere an Hyper-X wird der Antrieb sein. Nachdem mit der X-33 das einstufige System zu Grabe getragen worden war, konzentriert man sich heute auf ein zweistufiges System. Denn eine siebenfache Schallgeschwindigkeit wird nur mit einem Staustrahltriebwerk zu erzielen sein, das erheblich weniger Gewicht aufweist als das Raketentriebwerk der Space Shuttle.
Die Space Shuttle starten senkrecht wie eine Rakete und überwinden die Erdanziehung sehr schnell. Das erfordert einen sehr starken Schub. Die Fähren benötigen deshalb große zusätzliche Treibstofftanks, getrennt für Wasserstoff und Sauerstoff. Die wiederum sind nicht nur sehr schwer, sie werden nach dem Abbrennen abgeworfen, versinken im Meer und sind damit verloren. Ein Space Shuttle wiegt leer nur 35 t, betankt dagegen 760 t.
Kastentext: Mach-Zahl
In der Luftfahrttechnik wird die Mach-Zahl der Luft als Bezugsgeschwindigkeit zur dimensionslosen Angabe der Fluggeschwindigkeit verwendet. Da die Schallgeschwindigkeit in Luft in Bodennähe bei einer Temperatur von 20 °C etwa 340 m/s beträgt, bedeutet M = 0,5 (0,5 Mach) eine Geschwindigkeit von 170 m/s oder etwa 600 km/h, M = 1 eine Geschwindigkeit von 340 m/s oder etwa 1200 km/h. Die Angabe der Geschwindigkeit durch die Mach-Zahl berücksichtigt, dass sich die Geschwindigkeit mit der Temperatur ändert.
Raketenflugzeug statt Rakete
Der Hyper-X-Raumgleiter der Zukunft soll alle diese Nachteile nicht mehr haben. Er wird starten wie ein normales Flugzeug. Teure Starteinrichtungen und Startrampen entfallen. Er wird weniger Energie benötigen, da er sein Gewicht nicht senkrecht in den Himmel heben muss. Die Aerodynamik spielt eine herausragende Rolle. Obwohl das Fluggerät möglichst reibungsarm ist, entstehen bei der hohen Geschwindigkeit hohe Temperaturen. Den erforderlichen Hitzeschutz bieten Kohlenstoff-Siliciumcarbid-Kacheln, die 2220 °C standhalten. Sie sind in Stuttgart am Institut für Bauwesen und Konstruktionsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) bereits zu einer Nase für den Raumgleiter X-38 weiterentwickelt worden. Doch das Projekt X-38 ist gerade eingestellt worden (Tab. 1).
Neu: das Staustrahltriebwerk
Ein extrem leitungsfähiges Düsentriebwerk (Turbostrahltriebwerk), wie es herkömmliche Düsenflugzeuge besitzen, treibt den Raumgleiter der Zukunft dereinst in 30 km Höhe. Dort oben in der Stratosphäre stößt er die erste Brennstufe ab, die selbstständig zum Flughafen zurückfliegt. Zugleich wird das Staustrahltriebwerk oder Scramjet, wie es die Amerikaner nennen, als zweite Stufe gezündet. Dies ist nun das Besondere an dem Konzept.
Ein Staustrahltriebwerk hat gleich mehrere unschätzbare Vorteile. Im Gegensatz zu herkömmlichen Strahltriebwerken besitzt es keine Kompressoren, die mit ihren Schaufelrädern sehr schwer sind und Energie kosten. Es besitzt überhaupt keine beweglichen Teile und ist sehr einfach aufgebaut: Die Luft tritt vorne in einen Kanal ein, staut sich durch eine Verengung auf und presst sich durch die Brennkammer. Zudem muss es nur Wasserstoff als Brennstoff mit sich führen, da es den Sauerstoff der Luft zur Verbrennung nutzt.
Ein Staustrahltriebwerk funktioniert in der sehr dünnen Atmosphäre in 30 km Höhe erst ab einer Geschwindigkeit von etwa Mach 3. Darunter ist der Luftdruck zu gering. Andererseits macht die hohe Geschwindigkeit es schwierig, den Wasserstoff gut mit der Luft zu vermischen und stabil völlig zu verbrennen. Der erste Prototyp der Hyper-X musste mit einem B-52-Bomber in 6 km Höhe gebracht werden. Dort klinkte die auf eine Pegasus-Rakete montierte X-43 aus. Die Rakete stieg 30 km hoch in die Stratosphäre und setzte die X-43 frei. Hier sollte sie ihren ersten eigenen Flug machen. Wegen technischer Schwierigkeiten musste sie jedoch gesprengt werden.
Vorläufer der Hyper-X
Das Prinzip der Hyper-X ist nicht neu. Bereits 1933 veröffentlichte Eugen Sänger den Entwurf eines Raketenflugzeugs mit einer Geschwindigkeit von 13 000 km/h. Das war damals vor allem aus werkstofftechnischen Gründen undurchführbar. 1941 erhielt er den Auftrag des deutschen Luftfahrtministeriums für einen Abfangjäger, der in zwei Minuten 12 km Flughöhe erreichen sollte. Für dieses Projekt "Feuerlilie" entsann er sich der Patente des französischen Ingenieur René Lorin. Der hatte bereits 1908 eine solche Idee aufs Papier gebracht.
Bis 1941 war die notwendige Feuergastemperatur von 1750 K das größte technische Problem. Sänger entwarf noch im selben Jahr einen Jäger, der in 2,5 Minuten auf 12 km Höhe steigen und dort für 50 Minuten bei Mach 0,75 fliegen sollte. Die ersten Schleppversuche machte Sänger mit einem Rohr, das er auf einen Opel Blitz geschraubt hatte, und mit Kohle als Brennstoff. Am Ende des Krieges lagen Konstruktionsentwürfe in Reinzeichnung für den "Rochen" (SkP14) vor, der in den Skoda-Werken gebaut werden sollte. Dann war Schluss.
Zukunft offen
Immer wieder beschäftigen sich deutsche, englische, französische, russische und japanische Ingenieure mit diesem Konzept. Und immer wieder werden solche Projekte wieder eingestellt. Zuletzt haben die Amerikaner die Entwicklung der Notfall-Rettungsfähre X-38 für die ISS sang- und klanglos fallen lassen. Es bleibt abzuwarten, ob es der X-43 besser ergehen wird.
Kasten: Satelliten im All
Fliegt ein Hyper-X eines Tages durch die geostationäre Umlaufbahn, muss es ganz schön aufpassen. Denn gegenwärtig befinden sich ungefähr 2270 Satelliten im All. 1300 gehören der GUS, den USA nur 660. Rang drei belegen die Japaner mit 55 Satelliten im Weltraum.
Kasten: X-Flugzeuge
Die X-Flugzeuge der USA sind Vorreiter neuer Entwicklungen. Die über 40 Experimentalflugzeuge dienten zur Erforschung verschiedenster Fragen im Zusammenhang mit Hochgeschwindigkeitsflugkörpern, Nuklearantrieben, Senkrechtstart sowie neuen Raumgleiterkonzepten. Auch für die Grundlagenforschung werden Flugapparate entwickelt.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.