Anhörung im Gesundheitsausschuss: Heftige Kritik am GMG

Berlin (ks). Trotz der zwischen Regierung und Opposition aufgenommenen Konsensgespräche zur Gesundheitsreform wurden in der vergangenen Woche die Anhörungen im Gesundheitsausschuss fortgesetzt. Bis einschließlich 30. Juni standen rund 30 Stunden Hearing zum Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz (GMG) und den Entschließungsanträgen der Union und der FDP auf der Tagesordnung des Gremiums. Am 25. Juni stellten die Gesundheitspolitiker der Fraktionen den geladenen Sachverständigen 3,5 Stunden lang Fragen zu den geplanten Änderungen in der Arzneimittelversorgung. Insbesondere der Versandhandel mit Arzneimitteln, der Apothekenmehrbesitz, Änderungen der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) und die neuen Preisgestaltungsmöglichkeiten bei Medikamenten wurden kontrovers diskutiert.

Die erste Fragerunde der SPD rankte sich um die neuen Preisgestaltungsmöglichkeiten für Arzneimittel. Die Änderungen der AMPreisV stieß bei vielen Sachverständigen auf Kritik. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände ABDA trägt den Ansatz des Kombimodells, das einen Festzuschlag und einen dreiprozentigen preisabhängigen Zuschlag vorsieht, zwar im Grundsatz mit. Notwendig sei jedoch eine Dynamisierungsregelung für den preisunabhängigen Festzuschlag, so ABDA-Präsident Hans-Günter Friese. Die Zahlenwerte des GMG zugrunde gelegt, würde sich die Apothekenvergütung nach Berechnungen der ABDA im Jahre 2004 im Vergleich zu 2002 um 1,1 Mrd. Euro reduzieren. Damit ginge sie nochmals deutlich über die Belastung durch das Beitragssatzsicherungsgesetz hinaus. Zudem bemängelte Friese, dass das neue Preismodell durch die vielfältigen Möglichkeiten von Einzelverträgen ausgehöhlt werde: "Wenn für gleiche Dienstleistungen ungleiche Honorare angestrebt werden, bekommen wir eine Schieflage, die nicht hinzunehmen ist".

Auch der Bundesverband der Betriebskrankenkassen (BKK-BV) hegt Bedenken gegen die Neuregelung der AMPreisV. Die vorgesehene Umstellung auf eine packungsbezogene Vergütung erfolge angesichts des Neuzuschnitts des Erstattungsmarkts auf unsicheren Rahmendaten. Eine Anpassung der Festzuschläge durch Rechtsverordnung sei daher notwendig.

Pro und Contra Einzelverträge

Die im GMG vorgesehenen Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Versandapotheken bzw. Apotheken für besondere Versorgungsformen über Arzneimittelpreise - etwa innerhalb des Hausarztmodells oder von Disease-Management-Programmen - stieß auf ein geteiltes Echo. Von Regierungsberater Karl Lauterbach wird die Regelung "ohne Einschränkung begrüßt". Er verspricht sich hierdurch eine Absenkung des Preisniveaus. Zudem werde so die Steuerungskompetenz der Krankenkassen für Qualität und Wirtschaftlichkeit gestärkt - langfristig ein "wichtiger Nebeneffekt", so Lauterbach.

Die ABDA sieht Apotheken durch diese Regelungen hingegen dem Oligopol der Krankenkassen ausgesetzt. Friese bedauerte, dass hier der Wettbewerb auf der Ebene des Preises und nicht der pharmazeutischen Dienstleistungsqualität stattfinde. Im verschreibungspflichtigen Bereich werde das Preisniveau durch Einzelverträge sicherlich sinken. Dafür müsse im OTC-Bereich durch die Aufhebung der Preisbindung mit einer Verteuerung der Preise gerechnet werden.

Wolfgang Schmeinck vom BKK-BV warnte vor einer Überregulierung im Arzneimittelmarkt. Die bereits vorgesehene Fülle neuer Vertragsoptionen mit Apotheken und Herstellern führe zu ungleichen Vertragschancen und dürfe nicht noch weiter ausgebaut werden: "Man kann eine Zigarre nicht von beiden Enden zugleich rauchen".

Apotheker als Rabatt-Erpresser?

Auch Bar- und Naturalrabatte von Großhändlern und Herstellern an Apotheker sind der Regierung ein Dorn im Auge und sollen mit der Reform möglichst unterbunden werden. Wolfgang Kaesbach vom BKK-BV ist überzeugt: "Das Problem der Geldrabatte des Großhandels an die Apotheken wird sich erledigen, wenn die AMPreisV in der Form in Kraft tritt, wie vorgesehen" - d. h. mit einer deutlichen Reduzierung der Großhandelszuschläge.

Keine Änderungen erwartet Kaesbach allerdings bei den Naturalrabatten: Schon bei der Umsetzung der Aut-idem-Regelung sei es teilweise zur "Rabatterpressung der Apotheken an die pharmazeutische Industrie" gekommen - dies werde sich sicherlich fortsetzen bei Apotheken, die z. B. an der integrierten Versorgung beteiligt sind, so Kaesbach, d. h., wenn Arzneimittelformularien vereinbart sind, die die Lagerhaltung drastisch reduzieren und auf bestimmte Produkte und Wirkstoffe abzielen.

Der BKK-BV regt daher an, in die AMPreisV aufzunehmen, dass von Herstellern gewährte Rabatte an Apotheken nicht den Listenpreis des Herstellers unterschreiten dürfen. Friese wies den Vorwurf der Rabatterpressung zurück: Faktisch werde die Aut-idem-Regelung nicht umgesetzt, eine Erpressung sei daher auch nicht möglich.

Versand als Einfallstor für Arzneimittelfälschungen

Die Union fragte ausführlich nach den Auswirkungen des Versandhandels und der Aufhebung des Mehrbesitzverbots. Auch Ralf Däinghaus, der Gründer der holländischen Internet-Apotheke DocMorris, lauschte aufmerksam - als Besucher. Nachdem er tags zuvor für seine "visionäre" Geschäftsidee den deutschen Gründerpreis der "StartUp-Initiative" von Stern, ZDF, Sparkasse und McKinsey erhalten hatte, steckt er in den Startlöchern für einen Ausbau seines Unternehmen auf deutschem Boden.

Friese wiederholte die bekannten Argumente der ABDA: Die Qualität der Arzneimittelversorgung werde zerstört - erst wenn die heute bestehende Arzneimittelsicherheit nicht mehr bestehe, werde man merken, was man an ihr hatte. Der ABDA-Präsident führte ein Beispiel aus Oregon/USA, wo im März "einige tausend Menschen" durch den Versand mit falschen Arzneimitteln versorgt worden seien.

Dr. Dieter Steinbach, ehemaliger Präsident des Weltapothekerverbands, ergänzte, dass der Versandhandel ein "wesentliches Einfallstor" für Arzneimittelfälschungen sei - das habe die Weltgesundheitsorganisation bereits 1999 festgestellt. Der Markt der Arzneimittelfälschungen habe mittlerweile mafiöse Strukturen und ein Volumen "im Milliarden-Dollar-Bereich", so Steinbach. "Es ist eine Illusion zu glauben, dass nationale Sicherheitsstandards außerhalb der jeweiligen Landesgrenze wirken".

ABDA, Ex-ABDA- Sprecher Dr. Johannes Pieck und Steinbach bekräftigten zudem, dass die Zulassung des Mehrbesitzes zwangsläufig zum Fremdbesitz führen werde. Dies zeigten Erfahrungen in Norwegen und den USA, wo sich mittlerweile die überwiegende Mehrzahl der Apotheken in den Händen weniger (Groß-)Handelsketten befinden. Die Aufhebung des Mehr- und Fremdbesitzverbots, so Steinbach, "ist ein klassischer Mittelstandskiller und überführt die deutschen Apotheken in die Hände des Großkapitals".

Fürchten Apotheker lediglich den Wettbewerb?

Auf Nachfrage der Grünen-Fraktion äußerten sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Bundesverband deutscher Versandapotheker (BVDVA) und die gesetzlichen Krankenkassen deutlich positiver zum Versandhandel und Mehrbesitz. Teilweise führten die Ausführungen der Gegner sogar zu einiger Belustigung. Dr. Volker Hansen vom BDA zeigte sich verständnislos über die Angst der Apotheker: Wenn deren Angebot tatsächlich so gut sei, wie Friese erklärte, so würden Patienten dort auch in Zukunft einkaufen. Hansen erwartet daher ein "optimales Nebeneinander von stationärer Versorgung und Versandhandel".

Dr. Thomas Kerckhoff vom BVDVA erklärte, die Vorgaben des GMG seien "gut geeignet, um Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten". Solange das Fremdbesitzverbot erhalten bleibe, sehe er keine Probleme für die Etablierung des Versands. Der AOK-Bundesverband betonte, auch wer für Versand und Mehrbesitz eintrete, stelle das Gut der Arzneimittelsicherheit nicht zur Disposition. Den Skeptikern wirft die AOK "Angst vor Wettbewerb und Europa" vor. Auch wenn vom Versand kein "wahnsinniger Schub" zu erwarten sei, so sei er doch überfällig, zugelassen zu werden. Wer den Mehrbesitz ablehne, unterstelle, dass der angestellte Apotheker nicht die gleiche Qualität erbringen könne wie der Freiberufler, so der Vertreter des AOK-Bundesverbands. Schon jetzt erfolge die Medikamentenabgabe zumeist durch Angestellte - wieso sollte es also beim Mehrbesitz zu Qualitätseinbußen kommen? Wohl werde es zu einer Bereinigung des Apothekenmarkts kommen - aber das müsse im Wettbewerb hingenommen werden.

Ungleichbehandlung von "Präsenz-" und "Kassenapotheken"

Dr. Klaus G. Brauer, Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags, sieht die Bedrohung des Apothekers als Freiberufler nicht nur in den neuen Versorgungsformen als solchen. Das Problem der Regierungspläne liege vor allem in der Ungleichbehandlung von normalen "Präsenzapotheken" gegenüber Versandapotheken und Apotheken, die Arzneimittel für besondere Versorgungsformen ("Kassenapotheken") abgeben. Diese besonderen Apothekenformen würden krass privilegiert, bevorzugt und gefördert - nicht nur, weil sie per Vertrag Sonderpreise mit Krankenkassen vereinbaren und sich auf profitable Teile des Sortiments beschränken dürfen. Versandapotheken seien auch faktisch vom Kontrahierungszwang befreit, sie könnten sich bis zu zwei Tage Zeit lassen, ehe sie Arzneimittel auf den Weg bringen, die sie versenden wollen. "Normale" Apotheken müssten demgegenüber weiterhin alle Verordnungen - auch wirtschaftlich uninteressante - ausführen, und zwar sofort oder schnellstmöglich, also nicht erst nach Tagen.

Brauer kritisierte zudem, dass nach dem GMG für "Kassen"- und Versandapotheken das Abspracheverbot nach § 11 Apothekengesetz fallen soll. D. h., Ärzte dürfen ihnen Patienten zuführen und Verschreibungen zuweisen. Derartige Strukturen seien unfair, wettbewerbsbeschränkend und "außerordentlich korruptionsfördernd". Welchen Einfluss die Anhörung nun auf die Konsensbemühungen von Regierung und Opposition haben werden, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Wenn ein neuer gemeinsamer Gesetzentwurf erarbeitet wird, wird es erneut zu Anhörungen im Gesundheitsausschuss kommen.

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