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Gesundheitsreform: Sachverständigenrat will Kassenbeitrag um 4 Prozent senken
Am 24. Februar übergab der Sachverständigenrat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in Berlin sein neuestes, gut 680 Seiten starkes Werk. Der Vorsitzende der "Gesundheitsweisen", der Volkswirtschaftler Eberhard Wille, erläuterte die wesentlichen Punkte. Wert legte er vor allem darauf, dass Einnahmen- und Ausgabenseite gemeinsam unter die Lupe genommen wurden.
Der Befund schwindender Einnahmen und die These von vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven stünden nicht miteinander im Widerspruch, so Wille. Das Eine sei ohne das Andere nicht zu regeln. Tatsache sei, dass die beitragspflichtigen Einnahmen der GKV pro Mitglied zwischen 1980 und 2000 nicht entsprechend dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts zugenommen haben. Wäre dies der Fall gewesen, so hätten wir heute noch einen Beitragssatz von 11,6 Prozent, erklärte der Ratsvorsitzende. Auf der anderen Seite liefere die Entwicklung der GKV-Leistungsausgaben auch keine empirischen Belege für die "plakative These" von der "Kostenexplosion".
Reformen innerhalb des Systems
Der Ansatz des Gutachtens war daher: Verspricht nur ein Systemwechsel (z. B. steuerfinanzierte Versorgung, kapitalgedeckte Finanzierung, Kopfpauschalen) Rettung oder lässt sich das bestehende System zukunftssicher gestalten? Für den Rat ist das Ergebnis klar: Ein Systemwechsel ist nicht notwendig. In der GKV bestehe noch ausreichend Spielraum – auch was die Finanzierung betrifft.
So plädiert der Rat für eine "Revision der Politik der Verschiebebahnhöfe". Zudem müsse die GKV um krankenversicherungsfremde Leistungen entlastet werden, die sowohl auf der Ausgaben- wie auf der Einnahmenseite bestünden. Erstere sind etwa das Sterbegeld, Schwangerschafts- und Mutterschaftsleistungen, Empfängnisverhütung oder Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes.
Würden diese Leistungen ausgegliedert oder mit Steuergeldern umfinanziert, so ließen sich bereits 2,5 Mrd. Euro oder 0,25 Beitragssatzpunkte einsparen. Auf der Einnahmenseite bestehen versicherungsfremde Leistungen darin, dass bestimmte Personen aus sozial- oder familienpolitischen Gründen keine oder ermäßigte Beiträge zahlen: z. B. Personen im Erziehungsurlaub, Studierende, beitragsfrei mitversicherte Familienmitglieder.
Die Familienversicherung belaste die GKV bereits mit 12,5 Mrd. Euro. Hier schlägt der Rat etwa vor, für Ehepartner ein Splitting des gemeinsamen Arbeitsentgelts einzuführen, bei dem anschließend auf beide Teile der hälftige Beitragssatz angewendet wird. Im Hinblick auf eine Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage regt der Rat an, künftig auch andere Einkunftsarten, etwa Zinsen und Mieten, einzubeziehen.
Ausgliederung von Leistungen
Was die Ausgliederung von Leistungen aus dem GKV-Katalog betrifft, so gab es im Rat keine einhellige Meinung. Dargestellt wurde daher im Gutachten das gesamte Ideen-Spektrum. So könnten etwa – neben Privatunfällen – Fahrtkosten in Abhängigkeit von Verkehrsanbindungen und der Behandlungsintensität ausgegliedert werden. Ebenso ambulante Vorsorgeleistungen in Kur- oder Badeorten, in bestimmten – indikationsabhängigen – Fällen auch kieferorthopädische Leistungen, Psychotherapien und Massagen.
Nachgedacht werden müsse auch über eine moderate Erhöhung von Selbstbeteiligungen. Wille nannte etwa die Zuzahlungsbefreiung für chronisch Kranke: Es sei sinnvoller die Befreiung am Einkommen als an einer Indikation festzumachen.
Insgesamt könne der Beitragssatz um 4 Prozentpunkte auf 10,4 Prozent abgesenkt werden, wenn die Vorschläge des Rats umgesetzt würden, so der Vorsitzende der Sachverständigen. Dabei müssten 15 Mrd. Euro aus dem öffentlichen Haushalt aufgebracht werden – der Rest sei innerhalb des GKV-Systems zu aktivieren.
Schmidt erfreut über Übereinstimmungen
Schmidt freute sich, dass ihre Reformideen und das Gutachten "in vielen Punkten übereinstimmen". Insbesondere sei sie mit dem Rat einer Meinung, dass Reformschritte im Rahmen des bestehenden Systems der GKV vorgenommen werden sollten und ein Systemwechsel nicht erforderlich sei. Welche Maßnahmen nun wirklich praktikabel und geeignet seien, die demografischen Herausforderungen zu meistern und die Belastungen der Arbeitskosten zu mindern, werde nun diskutiert.
Auch die Rürup-Kommission werde das Gutachten erörtern. Deutlich machte Schmidt allerdings: die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern und Ehegatten, die Kinder erziehen, wird sie nicht antasten. "Dies gehört für mich zu einem der Kernelemente der solidarischen Versicherung", so die Ministerin.
Lob von allen Parteien und Gewerkschaften
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Bündnis 90/Grünen-Bundestagsfraktion Biggi Bender begrüßte, dass der Rat sowohl auf die Reform der Einnahmen- als auch der Ausgabenseite Wert legt. "Ohne die Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit auf der Leistungsseite unseres Gesundheitswesens wird jede Reform auf der Finanzierungsseite allenfalls ein kurzes Luftschnappen ermöglichen, bevor die Beiträge wieder steigen", so Bender.
Auch die Ausführungen des Rats für eine stärkere Patientenorientierung und zur Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage der GKV sind ganz nach dem Geschmack der Grünen. Der Vorschlag, die beitragsfreie Familienmitversicherung auf Kinder und auf Ehepartner zu beschränken, die Kinder erziehen oder Pflegedienste leisten, sollte Bender zufolge ebenfalls in der Gesundheitsreform umgesetzt werden.
Auch die Opposition sparte nicht an Lob: Die Union sehe sich im Grundsatz bestätigt, erklärten die Gesundheitsexperten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Annette Widmann-Mauz und Andreas Storm. Auch sie plädiere für eine Herausnahme versicherungsfremder Leistungen aus dem gesetzlichen Leistungskatalog, eine Umfinanzierung bestimmter Leistungsbereiche und eine moderate Ausweitung der Selbstbeteiligung. Keine Zustimmung findet indes der Vorschlag eines Splitting-Verfahrens bei Eheleuten. "An der beitragsfreien Mitversicherung von Familienangehörigen hält die Union fest", so Widmann-Mauz und Storm.
Auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Dieter Thomae begrüßt die Verlagerung krankenversicherungsfremder Leistungen, die Revision der Politik der "Verschiebebahnhöfe", die Ausweitung der Selbstbeteiligung sowie eine verbesserte Patientenbeteiligung. Eine Verbreiterung der Beitragsbemessungsgrundlage, lehne die FDP dagegen ab.
Insgesamt habe der Rat der Ministerin "eine Vielzahl von Vorschlägen in Richtung eines freiheitlichen Gesundheitssystems gemacht", so Thomae, "ich hoffe, dass sie die Vorschläge aufnimmt und in ein vernünftiges Gesamtkonzept einbettet".
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zeigte sich erfreut, dass der Sachverständigenrat das paritätisch finanzierte und solidarische Gesundheitssystems weiterentwickeln will. "Das Gutachten ist ein klares Signal gegen einen Systemwechsel" sagte die DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer. Vorschläge, wie die Einführung von Kopfpauschalen oder das Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge, die dem DGB zuwider laufen, hätten durch den Rat eine deutliche Absage erhalten.
Das Gutachten des Sachverständigenrats ist in seiner Kurz- und Langfassung im Internet unter www.svr-gesundheit.de abrufbar.
Auch wenn das System der solidarischen Krankenversicherung derzeit angeschlagen ist: es hat Zukunft. Allein durch Umfinanzierungen krankenversicherungsfremder Leistungen und die Ausgliederung von Privatunfällen könnte die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) um 30 Mrd. Euro entlastet werden – so sieht es der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen in seinem druckfrischen Gutachten "Finanzierung, Nutzerorientierung und Qualität". Erfolgen dann noch die nötigen Strukturreformen zur Qualitätsverbesserung, werde das System, das in diesem Jahr seinen 120. Geburtstag feiert, auch weiterhin bestehen können.
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