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Haus- und Serviceapotheken: Spezialisiert auf künftige Bedürfnisse
Spezialisierung aus kommerziellen ...
Die typischen Anbieter von Spezialisierungskonzepten sind Unternehmen, die selbst in dem jeweiligen besonderen Marktsegment arbeiten und sich einen Absatzmarkt für ihre Serviceleistungen oder Produkte erhoffen, sowie Apothekenkooperationen der verschiedensten Art und Zielsetzung. Mit der stärkeren Differenzierung des Angebots auf ein bestimmtes Marktsegment sollen Marketinginstrumente gezielter und damit wirkungsvoller einzusetzen sein. Davon profitieren die Apotheken ebenso wie ihre Partner, die die Kooperation organisieren. Diese Logik machen sich nun auch die Standesorganisationen zu Nutze.
... und politischen Motiven
Die Zeiten, in denen alle Apotheken gleich sein sollten, sind auch bei der ABDA vorbei. Ausgehend von den Apothekerverbänden in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern und mittlerweile auch auf Bundesebene werden Hausapothekenverträge mit verschiedenen Krankenkassen angeboten, denen die einzelnen Mitgliedsapotheken der Verbände beitreten können, aber nicht müssen. Damit ist die Mitgliedschaft in einem Landesapothekerverband erstmals nicht mehr gleichbedeutend mit der Teilnahme an bestimmten Verträgen, wenn sich auch die mögliche Wahlmöglichkeit der Apotheker bisher auf ein simples Ja oder Nein zur Teilnahme an einem Vertrag für Haus- oder Serviceapotheken beschränkt. Dies sollte aber nicht als unbedeutend eingestuft werden, sondern könnte sich als standespolitischer Dammbruch erweisen. Denn so ist der Weg für viele weitere differenzierte Angebote, auch von den Apothekerverbänden, geebnet. Wenn sich die bisherigen Projekte bewähren und die Vertragspartner bei den Krankenkassen vermehrt auf das Potenzial dieser Idee aufmerksam werden, dürften solche weitergehenden Alternativen nicht lange auf sich warten lassen.
Neue Versorgungs- formen
Es geht dabei keineswegs nur um Haus- und Serviceapotheken, denn vermutlich werden die meisten Apotheken einen solchen Titel führen, wenn sich das Konzept erst einmal durchgesetzt hat. In den nördlichen Bundesländern, in denen diese Entwicklung begonnen hat, ist dies heute schon erreicht. Die einmal begonnene Differenzierung eröffnet viel mehr die Möglichkeit, weitergehende Unterscheidungen zu treffen. Dafür bieten sich insbesondere Disease-Management-Programme (DMP) für verschiedene Krankheiten und die integrierte Versorgung an. Beide werden durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) gefördert, spielen aber bisher in der Praxis der Apotheken so gut wie keine Rolle. Für eine solche Entwicklung spricht die ökonomische Logik einer differenzierten Marktbearbeitung, die zu den Grundregeln des Marketings gehört. Der riesige Markt der Apothekenkunden, der praktisch alle Einwohner Deutschlands umfasst, schreit geradezu nach individuelleren Angeboten, die stärker auf die Menschen in ihrer jeweiligen Verschiedenheit eingehen. Ganz offensichtlich haben junge Familien, Senioren, aktive Gesunde und chronisch Kranke mit den verschiedensten Leiden unterschiedliche Bedürfnisse - und damit auch unterschiedliche Erwartungen an Apotheken und die Arzneimittelversorgung.
Zukunftsvisionen
Vielleicht würden die großen Krankenversicherungen sich dann im Wettbewerb um die besten und selbstverständlich flächendeckenden Serviceverträge mit den Apotheken gegenseitig überbieten. Möglicherweise wird der Marktdruck eine solche Entwicklung beschleunigen, wenn die Patienten die Serviceverträge als Wettbewerbskriterien erkennen. Für Krankenversicherungen, die sich ansonsten in ihren Leistungskatalogen nur wenig unterscheiden können, ist dies eine große Chance. Vielleicht werden sich Krankenversicherungen mit Versicherten in primär ländlichen Wohngebieten entwickeln, die besondere Servicewünsche haben. Auch Versicherungen mit einem Schwerpunkt bei jungen Familien sind denkbar. Disease-Management-Programme für die großen Volkskrankheiten werden dann wahrscheinlich selbstverständlich, aber deren Inhalte können sich durchaus unterscheiden. Zusätzlicher Wettbewerb könnte durch Programme für seltenere Krankheiten entstehen.
Die Realität: Vertragsbedingungen ...
So weit die Visionen - doch was ist bisher geschehen, und wie sieht die Praxis aus? Der erste Hausapothekenvertrag zwischen dem LAV Niedersachsen und dem dortigen BKK-Landesverband wird seit April 2003 praktiziert. Namensgebend für den Begriff ist die Zusicherung der Apotheker, die Patienten bei Bedarf zu Hause zu versorgen. Das ist schneller als jeder Versandhandel und macht diesen überflüssig. Die Patienten sollen sich im Gegenzug an eine Apotheke binden. Diese Kundenbindung ist der wesentliche wirtschaftliche Vorteil für die Apotheke und zugleich die inhaltliche Voraussetzung für weitere pharmazeutische Leistungen. Denn die Medikation der eingeschriebenen Patienten wird in einem individuellen Medikationsprofil ausgewertet. Zeitliche Lücken in der Versorgung, Noncompliance, Doppelverordnungen und Wechselwirkungen lassen sich erkennen, die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung lassen sich mit Hilfe dieser Informationen verbessern. Für die Erstellung des Medikationsprofils erhalten die Apotheken 5 Euro pro Quartal.
Als Voraussetzung für die Teilnahme der Apotheken müssen Schulungen besucht werden. Dort werden Grundlagen der pharmazeutischen Betreuung vermittelt, die für die Auswertung der Medikationsdaten hilfreich sind. Hinzu kommt die praktische Schulung im Umgang mit der jeweiligen Software, die von den EDV-Anbietern durchgeführt wird. Ende April 2003 schloss der Apothekerverband Schleswig-Holstein einen ähnlichen Vertrag über die IKK-Serviceapotheke ab, der im Herbst 2003 wirksam wurde. Darin wird die honorierte Wirtschaftlichkeit noch stärker betont. Später folgten Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt. Der bisher einzige Hausapothekenvertrag auf Bundesebene wurde zwischen dem Deutschen Apothekerverband und der Barmer Ersatzkasse geschlossen und trat zum 1. April 2004 in die praktische Phase. In einigen Bundesländern wurde schon früher mit der Umsetzung begonnen. Die Vertragsinhalte weichen teilweise voneinander ab. So sind beispielsweise unterschiedliche Schulungen mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten vorgesehen.
... und Reaktionen der Apotheker
Die ersten Reaktionen der Apothekerschaft auf diese Verträge waren kontrovers. In Leserbriefen und auf regionalen Versammlungen wurden einige Aspekte der Verträge kritisiert. Einige Apotheker fürchten, die Patienten könnten das Versprechen der Hausbelieferung zu wörtlich nehmen und nachts ein paar Kopfschmerztabletten ins Haus bestellen. Dies wäre mit den Mitteln einer normalen Apotheke nicht zu leisten und würde jede Kalkulation über den Haufen werfen. Andere kritisierten, dass die Apotheker gegenüber den Krankenkassen umfangreiche Verpflichtungen eingingen, während die Versicherungen nur minimale Gegenleistungen böten. Die vereinbarten 5 Euro pro Quartal dürften kaum den Aufwand für das Medikationsprofil und seine langfristige Pflege abgelten und keinesfalls angemessen für die weiteren Mühen sein.
Die verantwortlichen Standespolitiker betonen dagegen immer wieder die grundsätzliche Bedeutung solcher Verträge, die im wörtlichen Sinne dazu führen sollten, sich mit den Krankenkassen zu "vertragen". Werbung für Versandapotheken wäre damit vom Tisch. Mögliche Schwächen in den Formulierungsdetails und in der praktischen Umsetzung dürften zu beheben sein, viel wichtiger seien die strategischen Vorteile für die Apotheker. Die meisten Apotheker scheinen diese Sichtweise zu teilen, denn sie nehmen die angebotenen Verträge in großer Zahl an. So besuchten in Schleswig-Holstein bereits bis Mitte Oktober 2003 etwa 800 Teilnehmer aus 514 Apotheken (von insgesamt gut 700 Apotheken im Land) die vorgesehenen Schulungen.
Perspektive der Patienten ...
Die neue Freundschaft zwischen Krankenkassen und Apotheken hat jedoch nur eine Chance, wenn auch der dritte Partner in diesem Bund seinen Vorteil findet. Das sind die Patienten - und hier scheint derzeit noch das größte Problem zu liegen. Zuverlässige Zahlen über die Beteiligung der Patienten gibt es nicht. In Niedersachsen liegt das an der Struktur der Betriebskrankenkassen. Die Daten über die Anzahl der eingeschriebenen Krankenkassen liegen bei den über 200 beteiligten Krankenkassen und fließen an keiner Stelle zusammen. In Schleswig-Holstein wird über erste praktische Erfahrungen berichtet, doch ist die Beteiligung der Patienten bisher wohl noch recht gering. Hierfür kommen viele Gründe in Betracht. Gerade in Schleswig-Holstein startete das Projekt zu einer sehr ungünstigen Zeit. Der Beginn der Einschreibungsphase fiel mit den Wirren um die Umsetzung des GMG zusammen. In dieser Zeit waren die Patienten verunsichert und die Apothekenteams mit der Umsetzung der Reform und den Erklärungen zu neuen Zuzahlungen und Preisen überlastet.
Erfahrungen aus dem Apothekenalltag zeigen außerdem, dass die Vorteile des Hausapothekenmodells den Patienten oft nur schwer vermittelt werden können. Denn gerade die betreuungsintensiven Patienten haben meist bereits eine Kundenkarte und werden schon seit Jahren in der vorgesehenen Weise versorgt. Das Hausapothekenmodell hat für sie keinen Neuigkeitswert und keinen Zusatznutzen. Daher gibt es für sie keine Motivation, erneut eine Unterschrift zu leisten und damit einem Datentransfer zur Krankenversicherung zuzustimmen, der ihnen keinen Vorteil bringt. Neue Kunden für das Hausapothekenmodell sind demnach nur in dem Maße zu gewinnen wie neue Kundenkartennutzer. Dies ist naturgemäß eine langsame Entwicklung. Der Erfolg des Konzeptes bei den Kunden wird daher nur langfristig zu beurteilen sein.
... und der Medien
Doch so selbstverständlich die Leistungen der Apotheken für viele Stammkunden sind, so neu sind sie für manche Gesunde und insbesondere für die Medien. Dr. Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, machte hierzu eine erstaunliche Erfahrung im Zusammenhang mit den Ende Februar veröffentlichten Untersuchungen von Stiftung Warentest zur Beratung in Apotheken. Gegenüber den Medien hatten Verbandsvertreter erläutert, dass Wechselwirkungen und Kontraindikationen anhand der individuellen Daten aus dem Hausapothekenmodell erkannt werden könnten und die diesbezüglichen Beratungsmängel damit vermieden würden.
Der Norddeutsche Rundfunk berichtete daraufhin so positiv über die Hausapotheken, dass dort zahlreiche Anrufer nach den Möglichkeiten für eine Einschreibung gefragt haben sollen. Offenbar brauchen die Publikumsmedien einen eingängigen Begriff wie die Hausapotheke, um die auch bisher schon weitgehend selbstverständlichen Leistungen von Apotheken zu kommunizieren. Allein dies dürfte es bereits rechtfertigen, den Begriff weiter aufzubauen. So dürfte die Öffentlichkeitsarbeit der entscheidende Schlüssel sein, um neue Patienten in größerer Zahl für dieses Konzept zu gewinnen.
Diesem Zweck soll auch der Hausapothekenverband dienen, der am 23. Juli 2003 unter dem Dach des Deutschen Apothekerverbandes gegründet wurde. Während das Hausapothekenmodell noch kräftig um Patienten werben muss, hat in Schleswig-Holstein parallel dazu schon die nächste Stufe der Entwicklung begonnen. Dort nehmen die Apotheker seit Januar 2004 an einem Disease-Management-Programm der IKK Schleswig-Holstein für Diabetiker teil. Die Aufgabe der Apotheken besteht vorläufig nur darin, geeignete Patienten für eine Einschreibung zu identifizieren und auf das DMP aufmerksam zu machen. Doch auch dies könnte der Einstieg in eine viel weiter reichende Entwicklung werden.
Thomas Müller-Bohn
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