Ulla und die Märchenkarte

Haben Sie auch mal an die Märchen geglaubt? Erinnern Sie sich? Vor gar nicht langer Zeit war es für junge Studienabbrecher noch ganz einfach, ein paar Millionen (damals noch D-Mark) zu verbrennen. Das ging etwa so: Die Jungunternehmer (im Fachjargon: "Boygroup") stellten eine mäßig gestaltete Web-Seite mit einem schönen Namen ins Internet. Darauf schilderten sie ihre großartigen Pläne und Visionen zur vernetzten Zukunft der europäischen Computerbesitzer (mindestens), der amerikanischen Schwerindustrie (besser) oder gleich zur Lösung aller Kommunikationsdefizite weltweit (am besten). Das Ganze garnierten sie mit vielen schönen Schaubildern und den Namen von bekannten Unternehmen als Partner und Kunden. Daraufhin rannten ihnen die Investoren (mit Ihrem Geld) die Bude ein und ließen einfach mal auf Verdacht ein paar Millionen liegen. Die konnten die Jungmanager dann auf Business-Flügen, Business-Terminen und für Business-Handys ausgeben. Am Ende war das Geld weg und die Lösung aller Probleme der westlichen Welt noch ein wenig hinausgeschoben.

Lange vorbei, denken Sie? Dann stellen Sie sich doch mal vor, im Jahr 2004 gründet jemand ein Projektbüro und nennt das etwa "protego.net". Weils so schön modern und auch irgendwie nach Sicherheit klingt. Weil aber leider die gleich lautende Web-Adresse schon vergeben ist, nimmt er einfach eine andere: www.protego-net.de (kleiner Schönheitsfehler, macht ja nichts). Und dann schreibt er auf dieser Webseite, seine Erfolgskriterien seien "Akzeptanz, Zweckdienlichkeit, Wirtschaftlichkeit, Rechtmäßigkeit und Sicherheit". Klingt doch gut, oder?

Und noch was Schönes zu den Zielen, etwa: "Bessere medizinische Versorgung, geringere Krankheits- und Sterblichkeitsrate, Reduktion von Aufwand" und (jetzt kommts) "Vermeidung von Fehlern". Und was passiert dann? Es kommt eine strahlende Prinzessin namens "Selbstverwaltung im Gesundheitswesen" vorbei und gibt diesem Büro den Auftrag, eines der größten und prestigeträchtigsten Technologie-Projekte der Bundesrepublik im Wert von mehreren Milliarden Euro umzusetzen.

Klingt wie im Märchen? Ist aber leider wahr. Dieses Projektbüro gibt es wirklich. Protego.net soll in der Tat das Prestigeprojekt von Gesundheitsministerin Schmidt, die elektronische Gesundheitskarte, umsetzen. Und die Planung ist immerhin schon so weit gediehen, dass die technischen Anforderungen ("Pflichtenheft" genannt) in einem 16 (!) Seiten starken Dokument festgehalten sind. (Zum Vergleich: Das Vertragswerk zu einem anderen Glanzstück unserer Regierung namens "Toll-Collect" umfasst rund 17.000 Seiten). Aber wer will da schon unken, es sind ja noch über 400 Tage Zeit bis zum Start? Außerdem sind Farbe und Form der Karte auf 32 Seiten wenigstens schon mal genau erläutert. Die Seite "Termine" hat man auf protego-net.de aber lieber mal leer gelassen. Und weil alles so gut läuft, hat "Superminister" Clement noch eine Superidee draufgesetzt: Warum nicht gleich noch die Daten aller Arbeitnehmer auf die gleiche Karte speichern? Ich meine: Da sollte man für die Umsetzung aber schon zwei Wochen mehr einplanen.

Gerrit Brinkhaus

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