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Kartellrecht und OTC-Preise in der Apotheke (DAZ-Interview)

(hjv). Seit dem 1. Januar 2004 dürfen die OTC-Preise in der Apotheke frei kalkuliert werden. Auch wenn sich die Mehrheit der deutschen Apotheker an die vom Hersteller empfohlenen Abgabepreise hält, kann hier jederzeit ein harter Wettbewerb entstehen. In Kombination mit dem auf vier Apotheken beschränkten Mehrbesitz besteht allerdings auch die Möglichkeit regional jeglichen Wettbewerb zu verhindern oder einen schwächeren Konkurrenten vom Markt zu verdrängen. Es stellt sich die berechtigte Frage, wie das deutsche Kartellrecht hier angewendet wird. Die DAZ hat sich mit Rechtsanwalt Gerhard Pischel zu diesem Thema unterhalten.

DAZ:

Herr Pischel, seit diesem Jahr dürfen Apotheker nicht nur bis zu vier Apotheken besitzen, sondern auch die Preise im OTC-Bereich frei gestalten. Muss bei letzterem hinsichtlich Absprachen mit Kollegen etwas beachtet werden?

Pischel:

Ziel der Neuerungen im OTC-Bereich ist unter anderem, den Wettbewerb und damit die Vorteile für die Konsumenten zu erhöhen. Absprachen zwischen Kollegen und damit Wettbewerbern laufen dem naturgemäß zuwider. Die Kartellbehörden stehen deshalb Absprachen zwischen Wettbewerbern sehr kritisch gegenüber.

DAZ:

Konkret, wie sind Apotheker vom zurzeit gültigen Kartellrecht betroffen, wenn sie Preise absprechen?

Pischel:

Kartellrecht verbietet Wettbewerbern, sich über Wettbewerbsbedingungen abzusprechen. Es fasst den Begriff von Absprachen sehr weit, so dass jedes Verhalten, das geeignet ist, die Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt negativ zu beeinflussen, unter das Kartellrecht fällt. Hierzu zählen insbesondere Preisabsprachen, aber auch Vereinbarungen über Kundenkreise oder Gebiete oder von Quoten, bezüglich derer die Apotheker nicht in einen Wettbewerb zueinander treten.

DAZ:

Ist es auch schon eine Absprache, wenn man sich mit Kollegen darauf verständigt, sich an den vom Hersteller empfohlenen Abgabepreis zu halten?

Pischel:

Unverbindliche Preisempfehlungen können natürlich dazu führen, dass sämtliche Anbieter die Waren zu einem identischen Preis verkaufen. Nach dem geltenden Wettbewerbsrecht sind Preisempfehlungen von Herstellern deshalb nur zulässig, wenn sie ausdrücklich als unverbindlich bezeichnet werden, der empfohlene Preis dem von der Mehrheit der Empfehlungsempfänger voraussichtlich geforderten Preis entspricht, es sich um Markenwaren handelt und kein Druck auf die Verkäufer ausgeübt wird, die Ware ausschließlich zu diesem Preis zu veräußern.

Eine unverbindliche Preisempfehlung darf damit nicht zu einem Fixpreis werden. Absprachen haben genau diese Folge, weshalb sie verboten sind. Auch die Absprache über derartige unverbindliche Preisempfehlungen stellt damit eine verbotene Preisabsprache im Sinne des Wettbewerbsrechts dar und ist deshalb verboten.

DAZ:

Wie können sich Apotheker in einem Ort mit zwölf Apotheken wehren, wenn jede Apotheke dort den gleichen Aspirin-Preis hat und jemand fälschlicherweise behauptet, die Apotheken hätten sich abgesprochen?

Pischel:

Bedrohlich wird die Situation für die Apotheken nur dann, wenn Beweise für Absprachen vorliegen oder – falls diese fehlen – die einzige sinnvolle Erklärung für einen einheitlichen Preis eine Absprache ist. Ein solches Indiz ist etwa eine parallele, synchrone und identische Veränderung der Preise.

Entspricht der Verkaufspreis der unverbindlichen Herstellerempfehlung, gibt es eine andere Erklärung für den Preis. Handelt es sich um einen anderen Verkaufspreis als den empfohlenen und die Apotheker haben sich tatsächlich nicht abgesprochen, so können die Apotheker auf Marktfaktoren – wie etwa die Beobachtung der Konkurrenz – verweisen, die sie zu dieser Preisgestaltung veranlasst haben.

DAZ:

Mit welchen Konsequenzen muss ein Apotheker rechnen, wenn er vom Kartellamt belangt wird?

Pischel:

Er muss mit Bußgeldern von bis zu 500 000 Euro rechnen, über diese Summe hinaus bis zur dreifachen Höhe des durch das kartellrechtswidrige Verhalten erlangten Mehrerlöses. Dieser Mehrerlös kann geschätzt werden. Insoweit besteht eine hohe Rechtsunsicherheit.

Auch kennt das Kartellrecht eine Kronzeugenregelung, wonach mit Verschonung vor Bußgeldern oder geringeren Geldbußen rechnen kann, wer die Behörden über kartellrechtswidrige Absprachen informiert und so die anderen "ans Messer liefert". Der Anreiz für einzelne Mitglieder ist deshalb groß, die Absprachen irgendwann offen zu legen. Absprachen ohne Zeugen gibt es nicht, weshalb die Gefahr der Erpressbarkeit stets besteht.

DAZ:

Sind Apotheken nicht prinzipiell als Kleinbetriebe vom Kartellrecht ausgenommen?

Pischel:

Bei Preis-, Gebiets- und Quotenabsprachen schützt auch die geringe Größe nicht vor Maßnahmen der Kartellbehörden. Bei anderen Wettbewerbsbeschränkungen ist der Begriff des Kleinbetriebes relativ, weil er an einer Schwelle von fünf Prozent Marktanteil der betreffenden Unternehmen anknüpft, der auch bereits bei kleinen Unternehmen in einem kleinen Markt erreicht sein kann. Ab dieser Schwelle nehmen die deutschen Kartellbehörden eine Spürbarkeit für die Wettbewerbsbedingungen am Markt an.

Um ein Beispiel zu bilden: Unterstellt, es gibt in einem Ort zwanzig Apotheken, die alle etwa dieselbe Größe haben. Andere Apotheken liegen mehrere Kilometer von dem Ort entfern. Treffen nun zwei Apotheker eine Absprache, so haben sie bereits zusammen einen Marktanteil von 10%; ihre Maßnahmen sind für den Wettbewerb in diesem Ort damit spürbar.

DAZ:

Ist dabei zwischen kleinen und großen Apotheken zu differenzieren?

Pischel:

Wenn die Spürbarkeit für das Marktgeschehen erreicht ist, nein. Die Umsatzgröße hat dann nur für die Höhe des Bußgeldes Bedeutung.

DAZ:

Inwieweit muss ein Apotheker das Kartellrecht beachten, wenn er in einer Region durch den Besitz mehrerer Apotheken eine marktbeherrschende Stellung erlangt?

Pischel:

Leider ist das Kriterium der Marktbeherrschung unscharf, da es an die Definition des relevanten Marktes anknüpft. Dieser kann bei Apotheken rein lokal sein und hängt davon ab, inwieweit es Konsumenten möglich ist, auch andere Apotheken zu besuchen. Hat nun ein Apotheker mehrere Apotheken, so ist es durchaus denkbar, dass er eine marktbeherrschende Stellung erlangt, die es ihm ermöglicht, sich von Wettbewerbern und Wettbewerbsbedingungen unabhängig am Markt zu verhalten.

Liegt eine derartige Marktbeherrschung vor, unterliegt der Unternehmer besonderen Verpflichtungen. Er darf gleichgelagerte Sachverhalte nicht ohne triftigen Grund unterschiedlich behandeln, er muss versuchen, den ohnehin eingeschränkten Wettbewerb nicht weiter zu schädigen.

Hierzu zählt insbesondere, dass er Wettbewerbern durch einen Verdrängungswettbewerb das Leben nicht unnötig schwer machen darf. Es ist ihm dann etwa verboten, die anderen Apotheken des Ortes systematisch im Preis bei OTC-Produkten zu unterbieten oder Waren unter Einstandspreis weiterzuverkaufen.

DAZ:

Sieht der Gesetzgeber bei Apotheken eine konkrete "Regelung" der Markanteile vor und wenn ja, wer ist dann hierfür zuständig?

Pischel:

Marktanteile haben eine ganz wichtige Bedeutung im Kartellrecht. Dies gilt zum einen für die Frage, ab wann Kartellrecht überhaupt zur Anwendung gelangt und für die Schwelle, ab der eine marktbeherrschende Stellung angenommen werden kann. Wie oben angesprochen, wird es unter fünf Prozent Marktanteil der beteiligten Unternehmen mangels Spürbarkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung im Regelfall nicht zur Anwendung von Kartellrecht kommen.

Allerdings gelten in der Praxis die erwähnten Ausnahmen, die gewisse Kernbeschränkungen – wie Gebiets-, Quoten- und Preisabsprachen – verbieten und bei deren Vorliegen die Kartellbehörden einschreiten können und auch werden. Welche Kartellbehörde sich des Falles annehmen wird, hängt vom jeweiligen Markt ab. Für Apotheker in einem Ort, die gemeinsam Preise absprechen, werden vermutlich die Landeskartellbehörden zuständig sein.

Erst wenn der Fall größere – insbesondere über mehrere Bundesländer reichende – Dimensionen erreicht, wird das Bundeskartellamt einschreiten. Hat die Vereinbarung spürbare Auswirkungen für den gemeinsamen Markt der europäischen Gemeinschaft oder einen relevanten Teil davon, so wird sich die Europäische Kommission des Themas annehmen. Letzteres ist jedoch für eine Preisabsprache unter Apothekern innerhalb einer Stadt ausgeschlossen.

DAZ:

Hat man durch die zuvor beschriebene Konstellation eine marktbeherrschende Stellung erreicht und kann somit die "restlichen Kollegen" – durch z. B. aggressive Preispolitik vom Markt verdrängen – welche Möglichkeit besteht dann bzw. mit wessen Hilfe kann dieser Mechanismus verhindert werden?

Pischel:

Die unterlegenen Kollegen können sich bei den Landeskartellämtern oder dem Bundeskartellamt beschweren. Hierzu sollten sie darlegen, worin die marktbeherrschende Stellung und deren Missbrauch besteht und inwieweit die betreffende Apotheke ihre Marktmacht missbraucht. Erfahrungsgemäß nehmen die Kartellbehörden derartige Anregungen ernst und werden eigene Ermittlungen anstrengen. Je detaillierter dabei die Angaben und mögliche Beweise und je größer die negativen Auswirkungen sind, desto eher werden die Behörden dann einschreiten.

DAZ:

Wie ist denn in anderen Branchen eine marktbeherrschende Stellung geregelt?

Pischel:

Die Frage wird nach einheitlichen Kriterien beurteilt: Die marktbeherrschende Stellung richtet sich zum einen nach dem Marktanteil. Es wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens einem Drittel hat. Mehrere Unternehmen sind zusammen marktbeherrschend, wenn sie aus drei oder weniger bestehen, die zusammen einen Marktanteil von fünfzig Prozent besitzen oder aus fünf oder weniger Unternehmen besteht, die zusammen einen Marktanteil von zwei Dritteln erreichen.

Diese Vermutung ist nicht unumstößlich; es ist den betroffenen Unternehmen also möglich, das Gegenteil nachzuweisen. Neben dem Marktanteil ist die Zahl, Größe und Schlagkraft möglicher Wettbewerber sowie sonstige Faktoren, die eine Stärke der betroffenen Unternehmen nahe legen, ausschlaggebend; so etwa Patente und Know how, besondere Vertriebswege und ähnliches.

DAZ:

Wie könnte dies bei den Apotheken aussehen?

Pischel:

Umsatzstärke und Lage einer Apotheke werden sicherlich ein großes Gewicht besitzen.

DAZ:

Würden bei der Apothekerschaft die Marktanteile durch die Anzahl der Apotheken, den Umsatz oder die Kundenzahl bewertet werden?

Pischel:

Die Marktabgrenzung und damit der relevante Marktanteil sind im Kartellrecht leider – selbst wenn man die einschlägigen Mitteilungen und Informationsbroschüren der Kartellbehörden liest – keinesfalls klar. Juristen versuchen hier, die komplexe Wirklichkeit in dürren Worten abzubilden und vornehmlich betriebs- und volkswirtschaftliche Probleme juristisch zu lösen, was naturgemäß nicht ohne Unschärfen möglich ist. Die Marktanteile richten sich im Regelfall nach Umsatz und Kundenzahl im Vergleich zu Wettbewerbern und dem relevanten Gesamtmarkt.

DAZ:

Im Mai sind Änderungen des Kartellrechts geplant. Kann es Ihrer Meinung nach deshalb zu Auswirkungen auf die Apothekerschaft kommen, und wenn ja, welche sind zu erwarten?

Pischel:

Hinsichtlich der marktbeherrschenden Stellung wird sich an der bestehenden rechtlichen Regelung deutschen Kartellrechts nichts ändern. Bei Absprachen zwischen Wettbewerbern wird es zukünftig zu einem einheitlichen Verbot kommen, das zahlreiche Ausnahmen, die deutsches Kartellrecht derzeit noch vorsieht, ersetzt. Bei Preis- Quoten- und Gebietsabsprachen bleibt es bei dem Verbot. Auch darüber hinaus sind für die Apothekerschaft Auswirkungen derzeit nicht erkennbar.

Herr Pischel, wir bedanken uns für das Gespräch!

Dr. Gerhard Pischel, LL.M. (Lond.) ist als Rechtsanwalt bei Heussen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in München im Bereich Kartell- und Vertriebsrecht tätig. Daneben ist er Lehrbeauftragter für Europarecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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