Fortbildung

Neurologie: Schmerztherapie heute und morgen

Die moderne Schmerztherapie beruht im Prinzip auf zwei Wirkstoffklassen, deren natürliche Vorläufer seit Tausenden von Jahren bekannt sind: den nichtsteroidalen Antiphlogistika (NSAID) und den zentral wirksamen Opioiden. Während NSAID in der Peripherie die Prostaglandinsynthese hemmen und damit die Schmerzentstehung verhindern, blockieren Opioide die Schmerzweiterleitung und -Verarbeitung im Zentralnervensystem. Für die Bekämpfung von starken Schmerzen gibt es zahlreiche innovative Ansätze.

COX-Hemmer

Unter den zahlreichen NSAID gibt es Arzneistoffe, welche die Cyclooxygenase 1 (COX-1) stärker hemmen als die vor wenigen Jahren entdeckte COX-2. Hierzu gehören u. a. Acetylsalicylsäure und Ibuprofen. Diclofenac hemmt die beiden Isoenzyme etwa gleich stark. Celecoxib besitzt eine Selektivität für COX-2, die bei Rofecoxib noch etwas stärker ausgeprägt ist.

Im Gegensatz zu COX-1 ist COX-2 induzierbar und wird – wenn keine Entzündung vorliegt – nur in geringen Mengen exprimiert. NSAID werden zur Behandlung schwacher und mäßig starker Schmerzen eingesetzt, sind aber in Bezug auf ihre analgetische Potenz limitiert, da sie nur die Prostaglandin-vermittelte Schmerzentstehung beeinflussen. Deshalb ist die Therapie starker Schmerzen durch eine Dosiserhöhung von NSAID nur bedingt möglich.

Erst kürzlich wurde eine dritte COX-Isoform (COX-3) entdeckt, die von Paracetamol und vielen NSAID inhibiert wird. Die Hemmung der COX-3 durch Paracetamol ist allerdings so gering, dass dessen analgetische Wirkung nur schwer über diesen Mechanismus erklärt werden kann. Die Hoffnung, dass sich mit der Entwicklung der selektiven COX-2-Inhibitoren die für NSAID typischen Nebenwirkungen wie gastrointestinale Blutungen oder Schädigungen der Niere von den therapeutischen Wirkungen trennen lassen, hat sich nur teilweise erfüllt. Auch COX-2-Inhibitoren zeigen gastrointestinale Nebenwirkungen.

Opioide

Opioide sind stark wirksame Analgetika, die G-Protein-gekoppelte Opioid-Rezeptoren aktivieren und so die Ausschüttung von Neurotransmittern vermindern. Meilensteine in der Opioid-Forschung waren die Isolierung von Morphin aus Opium durch Sertürner 1804 sowie die Markteinführung von Heroin (Diacetylmorphin) im Jahre 1898. Erst 1939 gelang die Herstellung des ersten vollsynthetischen Opioids Pethidin, dem weitere Analgetika wie zum Beispiel Methadon, Fentanyl und Tramadol folgten. Obwohl Opioide, wie z. B. Morphin oder Fentanyl, hervorragend für die Therapie starker Schmerzen geeignet sind, gibt es schwere Schmerzzustände, die mit ihnen nicht zufriedenstellend therapierbar sind. Vielversprechende Neuentwicklungen für diese Indikation sind die transdermale Applikation von Buprenorphin (Transtec®) und die fixe Kombination von Tramadol mit Paracetamol (Zaldiar®).

Neue Targets

Um die Schmerztherapie zu optimieren, sucht man ständig nach neuen Targets. Dazu gehören beispielsweise nicotinische Acetylcholin-Rezeptoren (nAChR), N-Methyl-D-aspartat (NMDA)-Rezeptoren, Neurokinin-Rezeptoren, Capsaicin-Rezeptoren sowie die α- und β-Subtypen des Opioid-Rezeptors. Epibatidin, welches aus dem Hautsekret des Pfeilgiftfroschs Epipedobates tricolor isoliert wurde, ist ein unselektiver nAChR-Agonist mit einer ausgeprägten analgetischen Wirkung, aber auch gravierenden Nebenwirkungen, die dessen therapeutischen Einsatz verhindern.

Glutamat ist der bedeutendste exzitatorische Neurotransmitter im ZNS und ein Agonist am NMDA-Rezeptor. NMDA-Antagonisten sind hochwirksam gegen neuropathische Schmerzen, allerdings wurden fast alle Entwicklungsprojekte aufgrund von Nebenwirkungen eingestellt. Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten, die den endogenen Liganden Substanz P vom Rezeptor verdrängen, wirken zwar in Tierversuchen antinozizeptiv, sind aber in klinischen Studien bisher wegen Unwirksamkeit gescheitert.

Capsaicin und Cannabinoide

Ein zur Zeit weltweit besonders intensiv erforschtes Target ist der Capsaicin-Rezeptor, der auch Vanilloid-like Receptor 1 (VR-1) genannt wird, weil viele Liganden eine Vanillin-ähnliche Struktur besitzen. Der VR-1 wird besonders stark auf primären sensorischen Neuronen exprimiert, was auf eine zentrale Rolle im Schmerzgeschehen hindeutet. Natürliche Liganden des VR-1 sind Resiniferatoxin aus Euphorbia resinifera und Capsaicin aus Chilifrüchten (Peperoni, Capsicum frutescens), deren Extrakt in topischen Zubereitungen (z. B. ABC-Pflaster®) bei chronischen Schmerzen verwendet wird.

Welche herausragende Bedeutung der VR-1 für die Schmerzempfindung hat, zeigt die verminderte Reaktion auf Säure und Hitze bei Knock-out-Mäusen, die den VR-1 nicht exprimieren. Ebenfalls reduziert ist die thermische Hyperalgesie bei einer neurogenen Entzündung zum Beispiel durch Senföl.

Hanf (Cannabis sativa), der 1976 aus dem britischen Arzneibuch wegen Unwirksamkeit entfernt wurde, erlebt derzeit eine Renaissance in der Medizin. α-9-Tetrahydrocannabinol (THC, Dronabinol), sein wichtigster psychoaktiver Inhaltsstoff, bindet im ZNS an Cannabinoid-Rezeptoren (CBR) und besitzt in niedrigen Dosierungen (10 – 20 mg) eine dem Codein vergleichbare analgetische Potenz.

THC befindet sich in Phase I der klinischen Prüfung zur Behandlung von postoperativen Schmerzen, Spasmen und Multipler Sklerose. Marinol® ist ein neues Medikament zur Appetitanregung bei AIDS-Patienten und enthält als Wirkstoff ebenfalls THC. Ein endogener Ligand der CBR ist das Anandamid (Arachidonyl-ethanolamid), dessen hohe Lipophilie und geringe Bioverfügbarkeit einen therapeutischen Einsatz verhindern.

Gabapentin, ein Antiepileptikum und GABA-Analogon, das 1994 in den Markt eingeführt wurde, interagiert weder mit GABAA- noch mit GABAB-Rezeptoren, wirkt aber gegen neuropathische Schmerzen wie zum Beispiel Ischias-Neuralgien. Weitere interessante Targets einer zukünftigen Schmerztherapie sind verschiedene Ionenkanäle, metabotrope Glutamatrezeptoren, Adenosin- und Purin-Rezeptoren, aber auch die als Neurotransmitter fungierenden Neuropeptide wie Cholecystokinin und Somatostatin sowie Stickstoffmonoxid.

Quelle

Dr. Bernd Sundermann, Aachen: "Schmerztherapie und -forschung – etablierte und neue Ansätze". Vortrag auf einer Veranstaltung der DPhG am 8. Juni 2004 in Würzburg.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.