Kommentar

Der wilde Osten

Eine Reise nach Polen kann sehr schön sein, beispielsweise nach Krakau, wo zum zweiten Mal ein Internationaler Kongress für Apotheker, in erster Linie für Polen und Deutsche, stattfand. Man kann Polen als ein aufstrebendes junges EU-Mitglied spüren. Auch wenn das Lohnniveau noch weit unter dem in Deutschland liegt - das Straßenbild zeigt uns viele westliche Marken, moderne Autos, Jugendliche im neuesten Look und kaum einer ohne Handy. Polen geht den Weg nach Westen.

Nur im Apothekenwesen herrscht der wilde Osten. Schuld daran sind im Grunde nicht unsere polnischen Kolleginnen und Kollegen, die sehr fortbildungswillig und -interessiert sind, sondern Polens Gesundheitspolitiker. Sie haben das Wort Liberalisierung wohl gänzlich missverstanden und im Liberalisierungstaumel nur noch Wettbewerb und Billigpreise im Gesundheitswesen im Kopf.

Insgesamt gibt es in Polen 13.000 Apotheken, dazu 1500 Apothekenverkaufspunkte (Arzneimittelabgabestellen) sowie Supermärkte und Tankstellen, an denen bestimmte Arzneimittel abgegeben werden dürfen. Im Durchschnitt versorgt eine Apotheke 3400 Einwohner, also in etwa mit deutschen Verhältnissen vergleichbar. Fremd- und Mehrbesitz ist erlaubt, die Preise für Arzneimittel sind freigegeben - und das hat Folgen. Zwar sind derzeit noch 87% der Apotheken inhabergeführt, doch die restlichen sind schon in Ketten organisiert.

Mein Weg vom Hotel zum Kongresshaus führte mich an mehreren Apotheken vorbei. Erbitterte Preiskämpfe, marktschreierische Werbung sind zu sehen. Arzneimittel werden zum Einkaufspreis abgegeben (wobei die Arzneipreise bereits eh viel niedriger sind als bei uns), Patienten bekommen finanzielle Anreize, wenn sie bestimmte Apotheken besuchen, Gewinnspiele, bei denen Autos als Preis verlost werden, sind an der Tagesordnung. Die Kunden stehen Schlange in diesen Apotheken, zahlen sie doch beim Erwerb von billigen Arzneimitteln auch eine geringere prozentuale Zuzahlung. Das Apothekenpersonal kommt in diesen Apotheken kaum nach, die Kunden abzufertigen. Und abfertigen ist das richtige Wort - für Beratung ist hier keine Sekunde Zeit. Kleine Apotheken dagegen, die eine Beratung hoch halten, verlieren Kunden und müssen Umsatzverluste hinnehmen. Ähnliche Zustände sind aus Litauen zu hören.

Das ist der wilde Osten. Eine Aufforderung an unsere Wettbewerbspolitiker: Wer sehen will, wohin die vollkommene Liberalisierung führt, blicke nach Polen. Solche Zustände zerschlagen die pharmazeutische Zukunft, opfern die Arzneimittelsicherheit und reduzieren die Apothekenzahl gewaltsam. In Polen gewollt?

Peter Ditzel

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