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Nachtdienstturnus: In Ulm und um Ulm und um Ulm herum...
Willkür der Kammer, unzumutbar und mehr, so versuchten sich die Ulmer zu wehren. Einige Apotheker waren damit partout nicht einverstanden und gingen gegen diese Anordnung vor. Warum hat die Kammer diese neue Regelung durchgedrückt? Was steckt wirklich dahinter? Wir hörten einen Ulmer Apotheker, der mit der Neuregelung überhaupt nicht einverstanden ist, und sprachen mit dem Justitiar der Kammer.
Seit 1995 gab es in Ulm einen 40er Turnus versehen mit 19 Einzel- und 21 Doppeldienstgruppen, der von vielen Ulmer Apothekerinnen und Apothekern begrüßt wurde. Dieser Turnus bedeutete, dass an 19 Tagen einer Turnusperiode das 200.000 Einwohner zählende Gebiet in der Nacht nur durch eine Apotheke versorgt werden musste. Ein zwischenzeitlich eingeführter Spätdienst einiger Apotheken (bis 20 Uhr) wurde auf Betreiben der Ulmer Apotheker erst zum 1. April 2003 mit Unterstützung der Kammer abgeschafft.
Mit dem 40er Turnus hatte sich die Ulmer Bevölkerung laut dem Beschwerde führenden Apotheker angefreundet. Und aus Sicht der Kolleginnen und Kollegen war dies eine feine Sache: "Viele mussten erstmals zum ersten Mal nicht mehr nur herumsitzen und auf die wenigen Kunden warten – für sie bekam der Notdienst damit seinen Sinn".
Gegner fühlten sich überfahren Doch dann teilte die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg den Ulmer Apothekerinnen und Apothekern mit, den Nachtdienst so ändern zu wollen, dass nicht nur eine, sondern jeweils zwei Apotheken in der Nacht den Notdienst für das große Gebiet mit rund 200.000 Einwohnern versehen müssten, was für die Kolleginnen und Kollegen als "selbstherrlich angeordnete Änderung der bewährten Notdienstregelung" interpretiert wurde, "ein Missbrauch der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch die LAK". Starke Geschütze, mit denen man sich dagegen zu wehren versuchte. Begründungen der Kammer, dass ein 40er Turnus der Politik und der Bevölkerung nicht zu vermitteln sei, hielt die Ulmer Apothekengruppe entgegen, dass die Politik nicht danach frage und erst dann tätig werde, wenn es Klagen oder Missstände gebe – was aber hier nicht der Fall gewesen sei. Und überhaupt: Eine Änderung der seit elf Jahren bewährten Notdienstregelung habe doch niemand gewollt. Schlichtweg, die Ulmer Apothekergruppe fühlte sich von der Kammer mit dem Erlass des neuen Turnus einfach "überfahren" und nicht ernst genommen.
Beschwerden von Apothekern und Patienten Aus Sicht der Kammer stellen sich die Vorgänge zwangsläufig anders dar. So machten seit Frühjahr 2005 einzelne Apotheken auf eine hohe Belastung im Notdienst aufmerksam, sie regten Änderungen an, da sich Patienten bereits über zu lange Wege beschwerten. Die Kammer hörte sich bei den Ulmer Apothekerinnen und Apothekern um, sie machte eine Umfrage, ob man Änderungsbedarf sehe, Aussprachen folgten. Das Ergebnis der damaligen Umfrage: 17 von 43 Apothekern, die sich an der Umfrage beteiligt hatten, wünschten keine Änderung des 40er Turnus, dagegen sprachen sich 26 für eine Neueinteilung im Sinne einer Verkürzung des Turnus aus. Als Gründe nannten die Änderungsbefürworter, dass eine ausreichende Arzneimittelversorgung in der Nacht nicht mehr gewährleistet sei, wenn nur eine Apotheke im gesamten Gebiet Bereitschaftsdienst habe. Sie stöhnten über eine zu hohe Kundenfrequenz in der Nacht (bis zu 250 Patienten), die Kunden klagten über zu lange Anfahrtswege.
Statt alle 40 jetzt alle 30 Tage Die Kammer sah sich gezwungen zu handeln. Nach einer Abstimmungsphase führte dies zu der seit 1. Januar 2006 gültigen Anordnung der Kammer zur Notdienstbereitschaft der Ulmer Apotheken: Man führte einen 30er Turnus mit so genannten Doppeldienstgruppen ein. Die Kammer ist der Auffassung, dass dadurch eine gleichmäßige Belastung aller 60 Apotheken gegeben ist, die zugleich sachgerecht und zumutbar ist. Statt eines Notdiensts alle 40 Tage bedeutet dies nun Nachtdienst alle 30 Tage.
Aber diese Anordnung brachte die Gegner dieses Turnus auf die Palme. Sie legten Widerspruch dagegen ein. Es lägen keine Beschwerden aus der Bevölkerung vor, die meisten Ulmer Apothekerinnen und Apotheker wollten am 40er Turnus festhalten, die Anordnung stelle einen Missbrauch hoheitlicher Aufgaben der Kammer dar und einen empfindlichen Eingriff in das Verhältnis zwischen Kammer und Apotheker, um nur einige der vorgebrachten Gründe zu nennen. Sogar eine Beschwerde der Ulmer Apothekengruppe beim baden-württembergischen Ministerium für Arbeit und Soziales folgte.
Konsensbemühungen scheiterten In einem Schreiben ans Ministerium legte die Kammer dar, dass sie es als unzureichend angesehen habe, wenn an 21 von 40 Tagen der Notdienst nur durch eine Apotheke wahrgenommen werde oder, anders ausgedrückt, wenn an 191 Tagen pro Jahr den 200.000 Einwohnern des Turnusbezirks lediglich eine einzige dienstbereite Apotheke zur Verfügung stehe. Man habe mehrmals versucht, mit den Gegnern des neuen Turnus ins Gespräch zu kommen, doch die Bemühungen, einen Konsens zu finden, scheiterten, wie der Justitiar der Kammer Uwe Kriessler anmerkte.
Wie er in einem Gespräch mit der DAZ darlegte, habe man bereits im Juli 2005 ein Treffen "Kammer im Gespräch" in Ulm durchgeführt und über den Notdienst diskutiert. Man habe vereinbart, dass jedem der 60 betroffenen Apothekenleiter im Rahmen einer Umfrage Gelegenheit gegeben werde, sich dazu zu äußern. Dies sei auf ausdrücklichen Wunsch der Apotheker erfolgt mit der Zusage, das Ergebnis der Meinungsäußerungen vertraulich zu behandeln. Angesichts einer aufgeladenen und keineswegs einvernehmlichen Stimmung vor Ort erschien dies auch notwendig. "Bei uns ist der Eindruck entstanden", so Kriessler, "dass einige Apotheker Repressalien befürchteten, weshalb wir uns gegenüber Ulmer Apothekern weigerten, die einzelnen Fragebögen herauszugeben, da man aus ihnen die Absender hätte ermitteln können.
Letztendlich, so der Kammerjustitiar, gehört die Ulmer Notdienstregelung auch nach der Neuregelung zu den günstigsten Regelungen Baden-Württembergs. Die durchschnittliche Notdienstbelastung in Baden-Württemberg liegt bei einem Notdienst pro Apotheke etwa alle zehn bis zwölf Tage.
Und er brachte es auf den Punkt: Beim Ulmer Notdienststreit geht es um eine Erhöhung der Turnusfrequenz der Apotheker um drei Tage pro Jahr! Sind vor diesem Hintergrund die Auseinandersetzungen noch verständlich? Die Ulmer Gruppe will weiterkämpfen.
Nachtdienst? Ja, gerne!
Der Nacht- und Notdienst – für einige Kolleginnen und Kollegen ist dies ein Reizthema. Am liebsten würden sie diese – ich sehe es als Serviceleistung der Apotheke – Verpflichtung gänzlich abschaffen nach dem Motto: "Wer braucht noch einen Apotheken-Nachtdienst? Wehwehchen können bis morgen warten, alles Lebensbedrohliche muss sowieso ins Krankenhaus. Und ich hab meine nächtliche Ruhe."
Wer heute noch so denkt, hat den Ernst der Lage und die Zukunft der Apotheken nicht verstanden. Angesichts einer erneut aufgekommenen Diskussion um Apothekenketten (eine Konzernzentrale würde wohl mehr Nachtdienste anordnen als dem einen oder anderen lieb ist), angesichts der ersten DocMorris-Filiale auf deutschem Boden muss die heutige Apotheke demonstrieren, dass sie die Rundumversorgung leistet, auch nachts und sonntags. Als Apotheke sollten wir uns als Dienstleister verstehen, mehr denn je. Wir müssen der Politik zeigen, die Präsenzapotheke ist unersetzlich, auch für kleine Notfälle. Das zeichnet uns gegenüber Versandapotheken aus. Wir müssen aber auch unseren Patienten signalisieren, dass die Apotheke Serviceleistungen anbietet – und dazu gehören auch kundenfreundliche Öffnungszeiten, Nacht- und Notdienst eingeschlossen.
Wenn demnächst in einigen Bundesländern die Diskussion über verlängerte Öffnungszeiten anbricht, wird sich die Apotheke nicht heraushalten können. Ein Blick ins Ausland zeigt: In den USA gibt es schon lange Apotheken, die einen 24-Stunden-Dienst anbieten, auch in Frankreich gibt es in vielen Städten mindestens eine Apotheke, die Tag und Nacht dienstbereit ist. Meine Prognose: Das wird auch in Deutschland kommen.
Ein Streit, wie er in Ulm ausgebrochen ist, und bei dem es letztlich um eine Mehrbelastung der Apothekerinnen und Apotheker von drei Tagen in Jahr geht, ist vor diesem Hintergrund beim besten Willen nur schwer verständlich. Da sich sogar bereits Patienten über weite Anfahrtswege beschwerten, musste die Kammer handeln. Was wäre, wenn eines der einschlägigen Fernsehmagazine die Nachtdienstregelung unter die Lupe nähme und feststellt, dass für 200.000 Einwohner nur eine Apotheke dienstbereit ist, dass die Pharmazeuten in Ulm ihren Patienten weite Wege zumuten? Fürs Image nicht das Beste.
Ich weiß, die Überschrift "Nachtdienst? Ja, gerne!" mag provozierend sein. Aber: Vielleicht kann man unter dem oben dargestellten Blickwinkel dem Nachtdienst etwas Positives abgewinnen – wir profilieren uns als Dienstleister, wir sind kundenfreundlich, wir leisten etwas, das die (niederländischen) Versandapotheken nicht können. Kann man dafür nicht wenigstens einmal im Monat nachts aufstehen?
Peter Ditzel
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