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Der Irrsinn

Anno 2007 – die deutsche Pharmazie, der Praxisalltag in der Apotheke und die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln nach Inkrafttreten des GKV-WSG: Der Patient legt sein Rezept in der Apotheke vor. Der Apotheker muss dieses Rezept nun einem ausführlichen Studium unterziehen. Die erste Frage wird in Zukunft sein: Bei welcher Krankenkasse ist der Patient versichert? Denn davon wird es abhängen, mit welchen Produkten der Patient versorgt werden muss – mit gängigen Präparaten oder Superbillig-Produkten. Ist er AOK-Patient, dann könnte er schon mal schlechte Karten haben. Als nächstes ist zu prüfen, wie‘s in der linken Spalte des Rezeptes aussieht: Ist aut idem durchgekreuzt oder nicht. Pech für den AOK-Patienten, wenn das Kreuz fehlt: Sein Arzt hat das verordnete Präparat zur Substitution freigegeben, das bedeutet: Die Apotheke ist zur Abgabe des rabattierten Billigproduktes verpflichtet. Jetzt hängt es noch davon ab, ob der Arzt das Arzneimittel namentlich oder als Wirkstoffverordnung aufgeschrieben hat. Steht ein Wirkstoff auf dem Rezept, hat der AOK-Patient nochmal Glück gehabt, denn nach dem Wortlaut des GKV-WSG gelten die Rabattverträge der Kassen mit Herstellern nicht für Wirkstoffverordnungen. In diesem Fall kommt die bisherige Aut-idem-Regelung zum Zuge, bei der der Apotheker nach bestimmten Kriterien die Auswahl vornehmen kann.

Bei namentlicher Verordnung allerdings gelten die neuen Rabattverträge, hier sind Billig-Rabattprodukte von den kleinen Herstellern angesagt, mit denen die AOK Verträge geschlossen hat. Denn diese Kasse hat sich dafür entschieden, ihren Patienten nur die Billig-Produkte zu genehmigen, deren Hersteller sich auf den Rabatthandel eingelassen haben. Das hat für die Gesundheitskasse den Vorteil, dass sie mit Hilfe der tollen Rabatte, die sie von den Billig-Generikaherstellern bekommt, auch weiterhin gesund bleibt, ihre Patienten aber möglicherweise länger krank bleiben oder zumindest nicht so schnell gesund werden. Denn da kann es schon mal vorkommen, dass genau dieses AOK-Präparat in der Apotheke nicht vorrätig, vielleicht zurzeit gar nicht lieferbar ist. Der Patient muss also bestenfalls noch mal in die Apotheke kommen, obwohl der Apotheker ein ähnliches und sogar noch günstigeres Präparat in der Schublade hat. Schlechtestenfalls muss der arme kranke AOK-Patient sogar nochmal zum Arzt zurück, um sich ein anderes Präparat verordnen zu lassen, falls Lieferschwierigkeiten nicht behoben werden können. Die Arzneimitteleinnahme verzögert sich.

Doch weil diese Entscheidungsfindung den Gesetzesmachern bisher noch zu einfach ist, gibt es für den Apotheker noch eine weitere Option zu berücksichtigen. Künftig könnten auch Zielpreisvereinbarungen auf Landesebene zwischen Apotheken (Apothekerverbänden) und Krankenkassen zum Zuge kommen, bei denen der Apotheker das Arzneimittel aufgrund eines ihm zugestandenen preislichen Spielraums nach fachlichen, qualitativen, preislichen Kriterien und nach der Verfügbarkeit auswählen darf – und diese Vereinbarungen wiederum hätten dann Vorfahrt vor allen Rabattverträgen. Prinzipiell die bessere Alternative, wenn sie denn vereinbart wird.

Hat der Apotheker schließlich festgestellt, dass weder ein Rabattvertrag noch eine Zielpreisvereinbarung vorliegt, dann greift die bekannte Aut-idem-Regelung. Nicht zu vergessen, dass der Apotheker bei alldem auch noch eine Importquote zu berücksichtigen und zu erfüllen hat, sich mit Lieferengpässen bei Importen herumquälen und seinen Kunden erklären muss, warum die Pillen heute weiß statt hellblau sind.

Zwar kann ein Teil der Auswahlarbeit die EDV erledigen, wenn die Daten denn eingepflegt sind, aber bei weitem nicht alles. Und vor lauter Auswahl und Beachtung von irrsinnigen Verträgen könnte die Beratung zu kurz kommen.

Würde ich jetzt einen Menschen, ausgestattet mit gesundem Verstand, fragen, wie er diese Prozedur findet und ihm noch sagen, dass dies alles ablaufen muss, um ein paar wenige Cent bei einem Arzneimittel für die gesetzlichen Kassen zu sparen, dann wird er seinen Kopf schütteln und sagen: Irrsinn!

Ganz zu schweigen von den ungeklärten Fragen für die Apotheke: Wer haftet für Datenfehler, wann erfolgen Retaxationen, was gilt bei Kollisionen von Rabattverträgen, welche Stoffe sind überhaupt austauschbar gegen AOK-Präparate und so weiter.

Dann kommt für die Apotheke der Ärger mit Patienten hinzu, die von all diesen komplexen Regelungen nichts wissen, da weder Kassen noch das Bundesgesundheitsministerium auf die Idee gekommen sind, die Versicherten umfassend darüber zu informieren. Für Patienten wird es obendrein unverständlich, dass sie nicht einmal die Chance haben, ihr früher verordnetes Präparat zu erhalten, selbst wenn sie die Differenz zum AOK-Präparat selbst bezahlen wollten.

Für das peinliche Befolgen dieser irrsinnigen Verträge, den Ärger und die Mühen darf der Apotheker nun den Kassen auch noch 30 Cent mehr Rabatt geben. Als Krönung dieses Irrsinns möchte ich Ihnen ein Zitat aus einem Statement nicht vorenthalten, das die ABDA-Sprecherin dem "Tagesspiegel" (10. März) gab: "Es wäre jammerschade, wenn die an sich gute Regelung wegen Lieferschwierigkeiten einiger Produzenten möglicherweise einen Fehlstart hinlegt." Na, denn...

Peter Ditzel

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