Arzneimittel und Therapie

Quo vadis Diabetes-Versorgung?

Auf der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft wurde die zweite Auflage des "Weißbuch Diabetes" vorgestellt, ein Update der 2006 veröffentlichen Auflage. Es bewertet die aktuelle Situation und weist Wege für die dringend notwendige nationale Strategie im Umgang mit der Volkskrankheit.

Herausgegeben wird das Weißbuch Diabetes von IGES (Institut für Gesundheit und Sozialforschung; Vorsitzender der Geschäftsführung: Prof. Dr. Bertram Häussler) und diabetesDE mit Unterstützung von Roche. Mitglieder des Expertenforums sind unter anderem Diabetologen aus dem klinischen und niedergelassenen Bereich, Vertreter gesetzlicher und privater Krankenkassen sowie der Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch was hat es mit einem "Weißbuch" auf sich? "White papers" haben in den USA und Großbritannien, aber auch in Europa einen festen Platz als Informationsgrundlagen für die politische Entscheidungsfindung. Sie werden zu Themenfeldern erarbeitet, in denen sich aufgrund kritischer Entwicklungen Handlungsbedarf anbahnt, und gelten als objektive Darstellung, was durch einen weißen Einband demonstriert werden soll. Ein solcher Handlungsbedarf im Bereich des Gesundheitswesens existiert ohne Frage auch für den Diabetes mellitus. Die Stoffwechselstörung beherrscht derzeit als eine der chronischen Volkskrankheiten die medizinische, aber auch die gesellschaftliche Diskussion, insbesondere auch unter dem Aspekt wachsender Gesundheitskosten. Angesichts drastisch steigender Zahlen wird sich die Problematik in den nächsten Jahren eher zuspitzen als entspannen. Das aktualisierte "Weißbuch Diabetes" liefert eine unvoreingenommene Bewertung der aktuellen Situation, zeigt zukünftige Entwicklungen auf und gibt Perspektiven für die dringend notwendige nationale Strategie im Umgang mit Diabetes.

Stimmrecht für Patientenvertreter im G-BA

Der Vergleich zwischen 2006 und 2010 zeigt zwar, dass sich einiges in der Diabetesversorgung zum Positiven entwickelt hat, deckt aber gleichzeitig auch die Schwachstellen auf. So lässt sich zwar eine verbesserte Stoffwechseleinstellung verzeichnen. Der Blutdruck hat sich allerdings nur geringfügig verbessert: lediglich ein Viertel der Patienten erreicht den angestrebten Wert von 130/85 mmHg. Und in Sachen "Übergewicht" einem wesentlichen Kofaktor des Diabetes, hat sich laut Häussler "nichts bewegt". Der Anteil Übergewichtiger (BMI > 25 kg/m2) unter den Diabetikern liegt konstant bei etwa 85%. Häussler mahnte zudem Änderungen in der Beurteilung innovativer Antidiabetika an. Aus seiner Sicht sollten ärztliche Erfahrungen aus der Routineversorgung, aber auch die Meinung der Patienten in die Bewertung einfließen. Noch würde die Patientenperspektive nicht ausreichend berücksichtigt. Dem entsprechend empfiehlt das Weißbuch ein Stimmrecht von Patientenvertretern im G-BA.

Eine nationale Diabetes-Strategie wäre wichtig

Prof. Dr. Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender von DiabetesDE, forderte angesichts einer stetig zunehmenden Diabetesprävalenz eine nationale Diabetes-Strategie, wie sie bereits bei knapp der Hälfte der Länder in der europäischen Gemeinschaft realisiert ist. Sie könne zur Koordination der Maßnahmen für eine bessere Prävention, eine bestmögliche Versorgung und die kontinuierliche Erforschung der Volkskrankheit führen. Dagegen bringe ein nicht abgestimmtes Verfahren wenig, da es sich bei Diabetes um ein multifaktorielles Geschehen handle.

Ein Muss: effektive Primärprävention von Anfang an

Danne betonte die Notwendigkeit einer effektiven Primärprävention: "Nur, wenn es gelingt in der Primärprävention erfolgreich zu sein und die Zahl der Erkrankungen langfristig zu reduzieren, werden wir die Kosten für eine bestmögliche Versorgung der Erkrankten auf Dauer aufbringen können." Im Fokus präventiver Strategien steht dabei der Risikofaktor Nummer 1: Übergewicht. Bereits ab dem vierten Lebensjahr sollte aus Sicht von Danne mit der Primärprävention begonnen werde. Dabei gelte es Familien und soziales Umfeld einzubeziehen und das Selbst-Management der Kinder zu fördern. In diesem Sinne macht sich diabetesDE stark für eine Stunde Sport pro Tag in Schulen und Kindergärten, ein Schulfach Gesundheit und Ernährung und eine klare Lebensmittelkennzeichnung, etwa in Form einer Nährwertampel. Mit Blick auf die Kosten des Diabetes, die derzeit bei fünf Milliarden Euro in Deutschland liegen, muss die Strategie bei Menschen mit Diabetes zudem lauten: so früh und so gut wie möglich zu behandeln. Denn, so Danne: "Die Spätfolgen führen zu wesentlichen Zusatzkosten."

Quelle Prof. Dr. Thomas Danne, Berlin; Prof. Dr. Bertram Häussler, Berlin: Pressekonferenz "Weißbuch Diabetes 2010 – Bestandsaufnahme und Zukunftskonzepte für die Versorgung einer Volkskrankheit", Stuttgart, 12. Mai 2010, veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen.

 


Apothekerin Dr. Beate Fessler

Literaturtipp


Das Weißbuch Diabetes ist eine Zusammenstellung von Informationen über die Versorgungssituation von Diabetikern. Es beinhaltet die Themenbereiche Epidemiologie des Diabetes sowie seiner Folgeerkrankungen und Risikofaktoren, Versorgungssystem und -prozesse, Ergebnisse der Versorgung sowie Kosten, Finanzierung und Wirtschaftlichkeit. Für die jeweiligen Themenbereichen werden Handlungsempfehlungen entwickelt, die zuvor einen Konsensprozess mit ärztlichen und nicht-ärztlichen Experten der Diabetesversorgung, aber auch mit Wissenschaftlern aus Epidemiologie und Versorgungsforschung sowie mit Vertretern von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen durchlaufen haben.

Häussler, Bertram et al.:

Weißbuch Diabetes in Deutschland.

Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven der Versorgung einer großen Volkskrankheit

Georg Thieme Verlag KG: Stuttgart 2010, 2. Auflage, ISBN: 9783131437020, 29,95 Euro

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