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"Die Chance, Spreu und Weizen frühzeitig zu trennen"

STUTTGART (du). Im Vorfeld der Diskussionen zum Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) gab es heftige Diskussionen um die geplanten Regelungen zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Jetzt ist das AMNOG verabschiedet, ein Entwurf einer Rechtsverordnung zur Nutzenbewertung liegt vor. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wird davon in besonderem Maße betroffen sein. Im Gespräch mit der Deutschen Apotheker Zeitung äußert sich der Leiter des IQWiG, Prof. Dr. Jürgen Windeler, zu den Chancen, aber auch den Problemen der neuen Gesetzgebung.

DAZ: Das AMNOG ist verabschiedet und die Rechtsverordnung, die die Nutzenbewertung von Arzneimitteln (Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung) näher regeln soll, soll in Kürze verabschiedet werden. Welche wichtigen Änderungen ergeben sich daraus für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das IQWiG?

Windeler: Im AMNOG ist festgelegt, dass auf das IQWiG als wesentliche neue Aufgabe die frühe Nutzenbewertung zukommt. Gleichzeitig bleiben die bisherigen Aufgaben im Prinzip unverändert erhalten. Der Entwurf der Rechtsverordnung enthält in der bisherigen Form keine überraschenden oder im Grundsatz problematischen Dinge. Hier muss man aber abwarten, wie die weitere Diskussion werden wird.


Prof. Dr. Jürgen Windeler
Foto: IQWiG

DAZ: Ist die Behauptung, wie sie auch in der Sendung "Hart aber fair" vom 10. November 2010 getroffen wurde, richtig, dass die Beweislast in der Nutzenbewertung umgekehrt worden ist und nicht mehr Sache des pharmazeutischen Unternehmers, sondern des G-BA ist? Wenn ja, bedeutet das, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, den Nutzen bzw. Zusatznutzen eines zugelassenen Arzneimittels abzustreiten, wie es der G-BA-Vorsitzende Hess geäußert haben soll?

Windeler: Die Konsequenz des AMNOGs ist, dass der Nachweis der Unzweckmäßigkeit jetzt in zwei Schritten passieren muss. Für den ersten Schritt gilt, dass die Beweislast zum Nachweis von Zweckmäßigkeit umgekehrt ist. Bisher konnte der G-BA ein Arzneimittel ausschließen, wenn der Nachweis der Zweckmäßigkeit fehlte. Zukünftig kann er es nur, wenn Unzweckmäßigkeit nachgewiesen ist. Hier sieht das Gesetz immerhin vor, dass der G-BA in einem zweiten Schritt Studien fordern kann, in denen der Hersteller Zweckmäßigkeit belegen muss. Die Beweislastumkehr im ersten Schritt verschafft den Unternehmen deutlich mehr Zeit, bevor sie einen Ausschluss fürchten müssen. Trotzdem wird es natürlich auch weiterhin schon im ersten Schritt möglich sein festzustellen, dass ein Nutzen oder Zusatznutzen nicht belegt ist. An dieser Schlussfolgerung der Nutzenbewertung ändert sich nichts.


DAZ: In der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung gibt die Politik vor, was unter Nutzen und Zusatznutzen eines Arzneimittels zu verstehen ist. Danach gilt als Nutzen eines Arzneimittels ein patientenrelevanter therapeutischer Effekt, auch hinsichtlich einer Verbesserung der Lebensqualität. Sind Sie mit diesen Vorgaben einverstanden? Was bedeutet die Berücksichtigung der Lebensqualität für die zukünftige Nutzenbewertung? Müssen die Entscheidungen in solchen Fällen anders ausfallen als bislang?

Windeler: Die Vorgaben sind dieselben wie im bisherigen Sozialgesetzbuch V, hier ändert sich nichts. Das IQWiG hat auch schon immer gesundheitsbezogene Lebensqualität in seinen Berichten berücksichtigt, das Problem war aber oft, dass zur Lebensqualität entweder keine validen Daten vorgelegt wurden oder die Unterschiede nicht bedeutsam waren. Für die Messung von gesundheitsbezogener Lebensqualität gibt es valide Instrumente, die das Institut anerkennt – sie müssen nur eingesetzt werden. Das Gesetz enthält keine Änderungen, die zu anderen Schlussfolgerungen in den bisherigen Berichten des IQWiG führen würden.


DAZ: Ein Zusatznutzen ist belegt, wenn ein qualitativ und quantitativ höherer Nutzen eines Arzneimittels nachgewiesen ist. Was sind die Kriterien für einen qualitativen, was für einen quantitativen höheren Nutzen?

Windeler: Diese Kriterien sind in den Studien vorgegeben, in denen Arzneimittel verglichen werden. Hier bewertet das IQWiG wie bisher, ob es valide Studien zu patientenrelevanten Endpunkten sind. Zur quantitativen Abstufung des Zusatznutzens enthält die Rechtsverordnung eine Regelung.


DAZ: Welche Chancen bieten die neuen Regelungen zur Nutzenbewertung für die Arzneimittelversorgung gesetzlich Versicherter, wo sehen Sie Probleme?

Windeler: Die neuen Regelungen schaffen eine Grundlage für eine systematische und frühe Bewertung von Arzneimitteln. Das bietet die Chance, Spreu und Weizen früh voneinander zu trennen. Es hängt nun viel davon ab, ob die Pharmaindustrie die Neuregelungen als Chance erkennt, ihre Produkte mit aussagefähigen Studienergebnissen herauszustellen oder ob sie nach Ausweichstrategien sucht.


DAZ: Herr Professor Windeler, vielen Dank für das Gespräch!


Prof. Dr. Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Dillenburger Straße 27, 51105 Köln

Das AMNOG und die Rolle des G-BA


Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen, der in Form von Richtlinien den Leistungskatalog für etwa 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherte festlegt. Im Rahmen seiner Entscheidungen zur Erstattungsfähigkeit von Arzneimitteln bewertet er auch den therapeutischen Nutzen. Mit dem AMNOG wird nun erstmals eine frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen eingeführt. Spätestens zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens oder bei der Zulassung neuer Anwendungsgebiete muss der pharmazeutische Unternehmer anhand der von ihm durchgeführten klinischen Prüfungen die Nachweise zur Nutzenbewertung erbringen. Wie im Detail vorzugehen ist, muss der G-BA bis zum 31. Januar 2011 in einer Verfahrensordnung regeln. Der G-BA ist verpflichtet, die Nutzenbewertung anhand der eingereichten Unterlagen entweder eigenständig oder durch Hinzuziehung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder Dritter innerhalb von drei Monaten durchzuführen. Ein entsprechender G-BA-Beschluss hat innerhalb von drei Monaten nach der Veröffentlichung der Nutzenbewertung zu erfolgen. Ausgenommen von diesen Regelungen sind neben Arzneimitteln mit geringer wirtschaftlicher Bedeutung sogenannte Orphan drugs, also Arzneimittel zur Behandlung seltener Erkrankungen. Ein Nutzenbeleg wird hier erst erforderlich, wenn mit dem Arzneimittel ein Umsatz von mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaftet wird.

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