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"Mehrwertverträge mit Krankenkassen schließen"

BERLIN (lk). Auf welchem Weg kann auch die Pharmaindustrie, die innovative Arzneimittel auf den Markt bringt, dazu beitragen, dass Arzneimittelkosten bezahlbar bleiben? Heinz Riederer, Geschäftsführer Medizin & Gesundheitspolitik der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, sieht im Abschluss von "Mehrwertverträgen" mit Krankenkassen einen gangbaren Weg. Was er darunter versteht, erläutert er im DAZ-Interview. Mit Heinz Riederer sprach DAZ-Korrespondent Lothar Klein, Berlin.
Leistungsfähig Deutschland ist nach wie vor ein wichtiger Standort der pharmazeutischen Industrie. Damit das so bleibt, benötigt der deutsche Markt laut Riederer jedoch ­dringend einen Klimawandel.Foto: Sanofi-Aventis

DAZ: Kostentreiber Nummer eins bei den Arzneimittelausgaben der Krankenkassen sind neue, patentgeschützte Arzneimittel. Die Ausgaben im Jahr 2009 sind um fünf bis sechs Prozent gestiegen. Warum?

 

Riederer: Diese Entwicklung ist nicht überraschend. Die Budgets waren mit Steigerungsraten zwischen fünf und sechs Prozent darauf eingestellt. Darin liegt wesentlich weniger Dramatik, als die aktuelle politische Diskussion über die Arzneimittelpreise vermuten lässt. Aber: die pharmazeutische Industrie muss sich der Diskussion stellen, dass auch neue, innovative Arzneimittel einen Beitrag leisten müssen zur soliden Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems. Trotzdem müssen bestmögliche Therapien für Patienten erlaubt sein. Denn eines ist doch klar: Die Arzneimittelausgaben werden angesichts der demografischen Entwicklung weiter steigen.

DAZ: Wie erklären Sie die überproportionalen Ausgabensteigerungen für patentgeschützte Arzneimittel? 

Riederer: Zum einen werden mehr patentgeschützte Arzneimittel, und zum anderen werden teurere Arzneimittel verbraucht. Der Einsatz innovativer Arzneimittel beruht auf ihrem höheren therapeutischen Nutzen. Auch der demografische Faktor spielt eine Rolle: Je älter die Menschen werden, umso kränker werden sie. Und das ist mit entsprechend höheren Kosten verbunden. Daher werden auch in Zukunft die Ausgaben für Arzneimittel nicht sinken können. Für die pharmazeutische Industrie ist angesichts dieser unaufhaltsamen Entwicklung sehr wichtig, sich in die aktuelle politische Diskussion konstruktiv einzubringen. Dazu sind wir bereit. Unsere Vorschläge zu Preisverhandlungen mit den Krankenkassen skizzieren einen guten und richtigen Weg dafür.

DAZ: Kritiker halten Ihnen vor, dass nicht alles neu ist, was die pharmazeutische Industrie als Innovationen auf den Markt bringt.

Riederer: Das ist ein vorschnell ausgesprochener Vorwurf, der nicht generell zu belegen ist. Tatsächlich gibt es nicht so viele therapeutische Durchbrüche, wie sie die Patienten, die Ärzte und auch die pharmazeutische Industrie gerne hätten. Innovation verläuft in Schritten, nicht in Sprüngen. Vielfach forschen Unternehmen parallel an Innovationen und die erste Zulassung eines Wirkstoffes einer neuen Substanzklasse erhält nicht immer der Erste. Das ist von vielen Zufällen abhängig. Deshalb ist die Einführung mehrerer Wirkstoffe positiv zu bewerten. Mit den hohen Investitionen wird so die Diversität für den Fortschritt erhalten. Das heißt aber nicht, dass wir in Zukunft für neue gleichwertige Arzneimittel wesentlich höhere Preise verlangen können.

DAZ: Also halten Sie eine Kosten-Nutzen-Bewertung für sinnvoll?

Riederer: Der unmittelbare Markteintritt innovativer Arzneimittel muss auf jeden Fall erhalten bleiben. In der Regel verfügen neue Arzneimittel über einen Mehrnutzen. Ich kenne niemanden, auch nicht bei den Krankenkassen, der neue Arzneimittel mit erkennbarem Mehrnutzen nicht sofort in der Therapie einsetzen möchte. Unbestritten ist, dass der Mehrnutzen eindeutig nachzuweisen ist. Bei der Bewertung müssen dann aber auch die Gesamtkosten der Therapie berücksichtigt werden, d. h. der Preis des neuen Arzneimittels und die Folgekosten. Krankenkassen müssen hier sehr genau analysieren. Wie verändern sie die Gesamtkosten einer Behandlung oder einer Krankheit, wenn die Therapie durch neue Arzneimittel verändert wird? Diese Bilanz ist das eigentliche ökonomische Kriterium für die Preisdiskussion, zusätzlich zum medizinischen Mehrnutzen.

DAZ: Das ist ein aufwendiger und zeitraubender Prozess.

Riederer: Dafür gibt es in der Gesundheitsökonomie brauchbare Standardverfahren. Mit der Zulassung eines neuen Arzneimittels ist die Patientengruppe für eine neue Therapie definiert. Zusammen mit den Krankenkassen lässt sich ermitteln, welche ökonomischen Konsequenzen ein neues Arzneimittel bei den Krankenkassen auslöst: Verursacht es mehr oder sogar weniger Kosten? Beides ist möglich.

DAZ: Leichter gesagt als getan.

Riederer: Bei Kooperationsbereitschaft ist eine solche Bewertung rasch machbar. Eine erste Entscheidung ist unmittelbar bei Zulassung eines neuen Arzneimittels möglich. Während der Zulassungsphase fallen fast alle für die Vermarktung relevanten Daten an. Damit lässt sich bereits ein realistischer Preis ermitteln. In der zweiten Phase nach Markteinführung werden die so ermittelten Ergebnisse anhand der Erfahrungen in der Alltagsanwendung mit gemeinsam definierten Kosten-Effektivitätsstudien evaluiert. Auf Basis dieser Ergebnisse kann man dann die Preisstellung der neuen Therapie überprüfen und gegebenenfalls anpassen.

DAZ: Wie soll so ein Modell in der Praxis funktionieren?

Riederer: Ich setze dabei auf den gemeinsamen Willen der Partner im Gesundheitswesen, Ärzte, Kassen und Industrie. Wir möchten Verträge mit den einzelnen Krankenkassen schließen, sogenannte Mehrwertverträge. Das heißt, Verträge über eine bessere Therapie mit bekannten ökonomischen Konsequenzen. Im Rahmen prospektiver Erhebungen und Versorgungsstudien werden die Annahmen überprüft. Ein solches Verfahren ist nach meiner Meinung viel wirksamer als alle zentralen regulierenden Maßnahmen für innovative Arzneimittel.

DAZ: Das Modell des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie schlägt einen anderen Weg vor.

Riederer: Zur Klarstellung: Das ist die Position von Sanofi-Aventis. Wir sind überzeugt, der beste Weg sind individuelle Verhandlungen mit den Krankenkassen über den Einsatz neuer Arzneimittel. Fast alle diskutierten Vorschläge haben eines gemeinsam: Funktionierende Marktmechanismen statt zentrale Regulierung und der Blick auf die Kosten und nicht auf die Preise. Es geht um die Verbesserung der Therapie. Der Schlüssel zur Kostensenkung innovativer Arzneimittel ist der gezielte und sinnvolle Einsatz, in einem guten Therapiemanagement. Das ist der viel bessere Ansatz.

DAZ: Da sehen Sie derzeit Defizite?

Riederer: Dem kann ich definitiv zustimmen und sicher auch die gesamte pharmazeutische Industrie. Das Therapiemanagement ist stark verbesserungsfähig. Dabei haben Krankenkassen, Ärzte und pharmazeutische Industrie spezielle Kompetenzen. Die müssen wir bündeln. Dies sollte dann in vertraglichen Beziehungen zwischen einzelnen pharmazeutischen Firmen, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen über die Verbesserung der therapeutischen Versorgung unter Berücksichtigung der ökonomischen Daten münden, den sogenannten Mehrwertverträgen.

DAZ: Falls sich die Bundesregierung anders als von Ihnen gewünscht für staatliche Eingriffe in die Preisgestaltung für Arzneimittel entscheidet: Was bedeutet das für den Standort Deutschland?

Riederer: Die gesamte pharmazeutische Industrie befindet sich weltweit in einem Prozess der Umschichtung. Das ist auf dem schwierigen deutschen Markt besonders wichtig, mit seinen im internationalen Vergleich starken und auch merkwürdigen Reglementierungen. Deshalb: Der deutsche Markt braucht einen Klimawechsel. Das Ansehen des Standortes Deutschland ist bei den Entscheidern in den international operierenden pharmazeutischen Unternehmen derzeit nicht besonders gut.

DAZ: Ist die Schmerzgrenze schon erreicht?

Riederer: Bedauerlicherweise verloren gegangen ist in Deutschland der Respekt vor der Leistung der pharmazeutischen Industrie. Wenn mit der neuen Bundesregierung etwas mehr Neutralität einziehen würde, wäre das allein bereits ein wichtiges Signal. Wir haben in Deutschland eine noch immer sehr leistungsfähige pharmazeutische Industrie, die Hunderte von Millionen von Patienten in aller Welt mit wichtigen Arzneimitteln versorgt.

DAZ: Herr Riederer, vielen Dank für das Gespräch.

Heinz Riederer
Foto: Sanofi-Aventis

Vita


Heinz Riederer hat Physik studiert und in Biophysik und physikalischer Biochemie promoviert. Seine Laufbahn in der Arzneimittelindustrie begann im Jahr 1982 bei einer Tochter der Pfizer-Gruppe. Bei Sanofi-Aventis bzw. den Vorgängerunternehmen ist Riederer seit 1985 in verschiedenen wissenschaftlich-technischen Funktionen tätig. Als Geschäftsführer Medizin & Gesundheitspolitik der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH ist er verantwortlich für gesundheitspolitische und medizinische Fragestellungen.


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