Gesundheitspolitik

Empfehlungsmarketing

Im Zuge des Hypes um Web 2.0 ist ein guter alter Bekannter der Marketing-Strategen – die Mundpropaganda – wieder in aller Munde. Allerdings mit neuen Namen wie Buzz-Marketing ("das dauerhafte Summen und Brummen eines Themas"), Advocacy ("sich zum Anwalt einer Sache machen") oder auch virales Marketing ("die virusgleiche Verbreitung von Stimmungen"). Traditionelle Werbe- und Vermarktungsformate haben in den letzten 20 Jahren aus vielerlei Gründen ihre Anziehungskraft und damit an Durchdringung verloren, so dass die One-to-many-Ansätze via Fernsehen, Zeitschriften oder Radio deutlich an Beachtung eingebüßt haben, zu groß die Reizüberflutung und zu vehement die Zweifel an der Seriosität der klassischen Medien. Lange Zeit war das Kernproblem der Mundpropaganda, dass sie alles andere als effizient verfolgt werden konnte, da es extrem mühsam war, Menschen auf herkömmlichem Wege zu ermuntern, anderen mitzuteilen, was sie alles erlebt haben und damit über Themen und Unternehmen positiv zu sprechen. Das Internet und die jetzt etablierte zweite Generation an technischen Möglichkeiten hat aber gerade unter der Sammelbezeichnung Social Media Plattformen geschaffen, die insbesondere nutzergenerierte Inhalte zum Gegenstand haben. Da parallel dazu eine Studie verdeutlicht hat, dass weltweit und auch in Deutschland mit geringen Abweichungen nach unten Bewertungen von Verwandten, Freunden und Bekannten mit 90 bzw. 89% das größte Vertrauenspotenzial hinsichtlich abgesonderter Botschaften erreichen, gefolgt von Bewertungen durch fremde Menschen wie du und ich, zeigt auf, dass an diesen Medien in Zukunft nur schwer vorbeizukommen ist.

Auf einer zweitägigen Tagung zu Technologiethemen vor wenigen Monaten haben in einem Innovationsblock vier Vertreter im 20-Minuten-Rhythmus dargestellt, was im deutschen Handel und im Dienstleistungsbereich mit Social-Media-Anwendungen alles möglich ist. Binnen anderthalb Stunden war ich als Moderator der Veranstaltung um Jahre gealtert und habe dieses Gefühl auch danach vor der Fragenrunde zum Ausdruck gebracht. Das durchweg technikaffine Publikum reagierte mit großem Applaus und in der sich anschließenden Pause wurde vielfach gelobt, dass ich mit meinem ehrlichen Bekenntnis den Leuten aus der Seele gesprochen hätte. Also war doch alles gut und beim alten geblieben. Dennoch hat mich der Nachmittag unruhig gemacht und ich habe zwei Tage später rund 150 Studenten an ihrer Beteiligung bei Facebook, Twitter und StudiVZ gefragt. 149 sind eingetragen. So abgedreht uns manches vorkommen mag, so wahr wird es in den nächsten Jahren werden. Auch danach befragt, was alles genutzt wird, war die gelebte Realität zwar entfernt von den vorgetragenen Ideen, aber nicht weit entfernt.

Was kann dies für Apotheken heißen. Ist es ein realistisches Szenario, dass die 17-jährige Melanie beim Besuch einer Apotheke mit ihrer Urgroßmutter ihrem Freundeskreis in Twitter oder Facebook von der abgedrehten Blutdruckmessung oder Rezepterstellung berichtet und sich daraus Nachfrage generiert? Warum nicht? Nur wie ist dies zu steuern?

Betrachtet man die Motive für Empfehlungen, ist dies zuallererst Hilfsbereitschaft. Gerade im Bereich von Gesundheitsprodukten könnte dies ein Anlass zum Aussprechen einer Empfehlung sein. Aber auch der Wunsch nach Lob und Anerkennung ist vielfaches Motiv der Empfehlenden, Empfehlungen konkret auszusprechen. Am stärksten korreliert der sogenannte Kennerstatus mit der uns vertrauten Mundpropaganda. Wenn du etwas über X wissen möchtest, dann wende dich an Y. Schließlich sind auch Machtspielchen nicht zu unterschätzen, bei denen Menschen ganz subtil überprüfen, inwieweit andere ihren Empfehlungen folgen oder nicht. Schließlich stärken gegenseitige Empfehlungen das Miteinander, in der Regel prägt und stärkt dies Beziehungen.

Ziel ist es, Kunden zu einem sog. advocacy zu machen, also zu einem Anwalt meiner Sache. Dass dies auch nach hinten losgehen kann, muss man nicht erwähnen. Dass nicht nur in Deutschland eher das Negative als das Positive thematisiert wird, ist bekannt. Dass Positives eher nur im engeren Kreis berichtet wird, während Skandalgeschichten auch einem weniger bekannten Publikum nahegebracht werden kann, ist auch bedrohlich.

Aus allem heraus ist eines deutlich geworden. Sich der Social-Media-Thematik zu verschließen, ist falsch. Zu prüfen, ob es vor dem Hintergrund des Einzugsgebietes, der gegebenen Kundschaft aber auch für die Zukunft anzugehenden Geschäftsmodelle angezeigt ist, sich mit Social Media zu beschäftigen, ist auf jeden Fall richtig. Dies schließt überhaupt nicht aus, noch darauf zu verzichten und es schließt mit ein, es ggf. zu versuchen. Aber Vorsicht: Schnell ist Geld verbrannt und halbherzige Lösungen sind auch hier kontraproduktiv. Ein bisschen Social Media gibt es nicht, wer dabei ist, muss die hohe Schlagzahl mitgehen. Sonst kommt es zum Tour-de-France-Effekt: Was nutzt die Beteiligung an einer Ausreißergruppe bis 5 km vor dem Ziel, wenn ganz am Ende die Luft fehlt? Denn schlechte Beispiele werden gnadenlos kommuniziert und schnell gerät dann eine lokal agierende Apotheke auf Youtube zu nationaler Bekanntheit. Und Image ist ein geborgtes Gesicht!


Andreas Kaapke


Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de



AZ 2011, Nr. 16/17, S. 2

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