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Arzneimittel und Therapie
Retigabin verhindert Aktionspotenzialentladungen
Phenytoin, Carbamazepin, Lamotrigin und Lacosamid: Sie und viele andere Antiepileptika vermindern epileptische Anfälle, indem sie auf spannungsabhängige Natriumkanäle wirken und so die repetitive Aktivität bei hochfrequenten Aktionspotenzialserien reduzieren. Anders Retigabin. Es ist der erste Wirkstoff gegen Epilepsie, der auf spannungsabhängige Kaliumkanäle vom Subtyp Kv7 wirkt. Dass diese Kaliumkanäle für die Epilepsie von Bedeutung sind, ist seit Ende der Neunzigerjahre bekannt. Damals wurde entdeckt, dass Genmutationen der Kaliumkanal-Subtypen Kv7.2 und Kv7.3 eine kausale Rolle bei einer gutartigen juvenilen Form der Epilepsie spielen, nämlich bei den benignen familiären Neugeborenenanfällen, erläuterte Prof. Dr. Holger Lerche, Tübingen. Sie führen zu einem verminderten Kaliumeinstrom und damit zu einer Erhöhung der neuronalen Feuerungsrate. Umgekehrt zieht eine Öffnung dieser Kaliumkanäle eine Hyperpolarisation nach sich mit einer Verschiebung des Ruhemembranpotenzials in den stärker negativen Bereich. Die erhöhte neuronale Exzitabilität sinkt. Das neue Antiepileptikum Retigabin macht genau das: Es öffnet relativ selektiv die Kaliumkanäle vom Kv7-Subtyp und erhält den offenen Zustand. Das Membranpotenzial wird stabilisiert und die neuronale Feuerungsrate reduziert. Lerche betonte zudem, dass Retigabin nicht am "Herz-Kanal" Kv7.1 wirkt, kardiale Nebenwirkungen deshalb nicht zu befürchten seien. Auch in den klinischen Studien wurden Arrhythmien nicht häufiger berichtet als unter Placebo.
Anfallsreduktion um etwa 40%
Die Zulassung von Retigabin basiert auf den beiden randomisierten doppelblinden Phase-III-Studien RESTORE(Retigabine Efficacy and Safety Trial for Partial Onset Epilepsy) I (n = 256) und RESTORE II (n = 471) bei Patienten mit schweren, therapierefraktären fokalen Epilepsien (etwa zehn fokale Anfälle pro Monat). 80% waren bereits mit einer Kombination aus zwei oder drei Antiepileptika vorbehandelt. Sie erhielten zusätzlich Retigabin bis zur vorgegebenen Zieldosis, nämlich 600 mg oder 900 mg pro Tag in RESTORE II und 1200 mg pro Tag in RESTORE I, oder Placebo. Die Dauer der Erhaltungsphase lag dann bei zwölf Wochen. Ein offenes Follow-up war möglich. Retigabin senkte die Zahl der Anfälle dosisabhängig und signifikant stärker als unter Placebo. Die mediane Anfallsfrequenz ging unter 900 mg um 40%, unter 1200 mg um 44% (Placebo: 18% bzw, 16%) zurück. Die Ansprechrate, definiert als mindestens 50%ige Reduktion der Anzahl fokaler Anfälle pro Monat gegenüber dem Ausgangswert, lag bei 47% beziehungsweise 56% (Placebo: 19% und 23%). Eine Reduktion der Anfälle um 75% wird unter der 1200 mg-Dosierung bei bis zu einem Drittel der Patienten erreicht. 8% wurden völlig anfallsfrei. In der offenen Weiterbehandlung über mindestens ein Jahr konnte bei 5% der Patienten unter einer mittleren Tagesdosis von 1052 mg vollständige Anfallsfreiheit erreicht werden. Die 50%-Responderraten lagen nach etwa einem Jahr bei 57% beziehungsweise 54%, und damit ähnlich hoch wie nach zwölf Wochen. Es gibt also keinen Hinweis auf ein Nachlassen der Wirksamkeit beziehungsweise eine Toleranzentwicklung. In der Praxis muss Retigabin entsprechend des individuellen Ansprechens des Patienten aufdosiert werden. Bei Therapiebeginn beträgt die maximale Gesamtdosis laut Fachinformation 300 mg. Dann kann abhängig von der Verträglichkeit und dem Ansprechen wöchentlich um maximal 150 mg aufdosiert werden. Die maximale Gesamterhaltungsdosis beträgt 1200 mg pro Tag.
"Klassisches Nebenwirkungsprofil"
Retigabin zeigt laut Prof. Dr. Bernd Steinhoff, Kehl-Kork, ein für Antiepileptika "klassisches Nebenwirkungsprofil". Die meisten Nebenwirkungen betrafen das zentrale Nervensystem und waren im Allgemeinen leicht bis mittelschwer ausgeprägt. Geklagt wurde unter anderem über Schwindel, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Ataxie und Verschwommensehen. Am häufigsten wurden Nebenwirkungen in den ersten acht Behandlungswochen berichtet. Steinhoff betonte zudem, dass nur ein geringes Potenzial für Interaktionen mit anderen Antiepileptika bestehe. So haben beispielsweise Lamotrigin, Levetiracetam, Oxcarbazepin, Topiramat oder Valproinsäure keinen Einfluss auf die Pharmakokinetik von Retigabin. Über Warnhinweise sowie besondere Vorsichtsmaßnahmen sollte der Patient laut Steinhoff aufgeklärt werden. Hier lohnt sich der Blick in die Fachinformation.
RetigabinHandelsname: Trobalt Hersteller: GlaxoSmithKline GmbH, München Einführungsdatum: 15. Mai 2011 Zusammensetzung: 1 Filmtablette enthält 50, 100, 200, 300 bzw. 400 mg Retigabin Packungsgrößen, Preise und PZN: Trobalt 50 mg: 84 Filmtabletten, 52,41 Euro, PZN 7386445; 168 Filmtabletten, 95,16 Euro, PZN 7386451; Trobalt 100 mg: 84 Filmtabletten, 95,16 Euro, PZN 7386474; 168 Filmtabletten, 180,69 Euro, PZN 7386480 Trobalt 200 mg: 84 Filmtabletten: 180,69 Euro, PZN 7386497; 168 Filmtabletten: 351,74 Euro, PZN 7386505 Trobalt 300 mg: 84 Filmtabletten, 236,98 Euro, PZN 7386511 168 Filmtabletten, 464,34 Euro, PZN 7386528 Trobalt 400 mg: 84 Filmtabletten, 292,55 Euro, PZN 7386534; 168 Filmtabletten, 575,48 Euro, PZN 7386540 Trobalt Startpackung 50 mg/ 100 mg: 21 + 42 Filmtabletten (63 Stück) 63,11 Euro, PZN 7385440 Stoffklasse: Antiepileptika; ATC-Code: N03AX21. Indikation: Als Zusatztherapeutikum für fokale Krampfanfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung bei Erwachsenen mit Epilepsie im Alter von 18 Jahren und darüber. Dosierung: Maximale Gesamttagesdosis bei Therapiebeginn: 300 mg (100 mg dreimal täglich); wird um maximal 150 mg pro Woche aufdosiert; die wirksame Erhaltungsdosis liegt zwischen 600 und 1200 mg/Tag. Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile Nebenwirkungen: Sehr häufig: Schwindel, Müdigkeit; Erschöpfung. Häufig: Gewichtszunahme, Appetitzunahme; Verwirrtheitszustände, psychotische Störungen, Halluzinationen, Desorientierung, Angst; Amnesie, Aphasie, Koordinationsstörungen, Drehschwindel, Parästhesien, Tremor, Gleichgewichtsstörungen, Gedächtnisstörungen, Wortfindungs- und Verständnisstörungen, Dysarthrie, Aufmerksamkeitsstörungen, Gangstörungen, Myoklonien; Diplopie, Verschwommensehen; Übelkeit, Obstipation, Dyspepsie, Mundtrockenheit; erhöhte Leberwerte; Dysurie, Harnentleerungsverzögerung, Hämaturie, Chromaturie; Asthenie, Unwohlsein, periphere Ödeme. Wechselwirkungen: Kann in therapeutischen Dosen die Digoxin-Serumkonzentrationen erhöhen; kann die Dauer einer durch einige Anästhetika induzierten Anästhesie verlängern, zum Beispiel von Thiopental-Natrium. Die gleichzeitige Einnahme von Ethanol mit Retigabin führte bei gesunden Probanden zu vermehrtem Verschwommensehen. Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Vorsichtig anwenden bei Patienten, bei denen das Risiko für einen Harnverhalt besteht. Vorsicht bei gemeinsamer Verordnung von Retigabin mit Arzneimitteln, die das QT-Intervall verlängern, sowie bei Patienten mit verlängertem QT-Intervall, dekompensierter Herzinsuffizienz, ventrikulärer Hypertrophie, Hypokaliämie oder Hypomagnesiämie sowie bei Patienten, die bei Behandlungsbeginn 65 Jahre und älter sind. |
Quelle
Apothekerin Dr. Beate Fessler
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