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E10 – ein kleiner Mosaikstein der großen Dekarbonisierung

Jahrtausendelang hat sich der Mensch am Lagerfeuer gewärmt. Holz gab es genug. Heute werden die Brennstoffe dagegen knapp. Und die nachwachsenden Energieträger konkurrieren bereits mit den Lebensmitteln um die begrenzten Anbauflächen.

Kraftstoff zur Rettung der Welt zündet

Der Kraftstoff der Zukunft wird aus Unkräutern am Wegesrand, aus Äpfeln und Sägemehl, aus nahezu allem gewonnen. Henry Ford (1863 – 1947) hatte diese Vision vor 90 Jahren. Er ging von Alkohol als Kraftstoff seiner Blechliesel, dem Ford T-Modell, aus. Schon Nikolaus Otto (1832 – 1891), der Erfinder des gleichnamigen Motors, nutzte anfangs Kartoffelsprit als Brennstoff seiner Motoren. Carl Benz (1844 – 1929) verwendete 1886 für seinen ersten Motor bereits die Leichtbenzine Ligroin oder Gasolin. Wohl auch durch den Aufschwung der Standard Oil Company von John D. Rockefeller setzte sich nach dem 1. Weltkrieg Benzin aus Erdöl endgültig durch. Ganz verschwand der Spiritus aber nicht aus dem Tank. Die Reichskraftspritgesellschaft mischte ab 1925 25% Kartoffelsprit ins Benzin und nannte das Produkt Monopolin. Der Alkohol ersetzte so ausländisches Mineralölbenzin durch einheimische Kraftstoffe. 1932 wurden dann 10% Alkoholbeimischung gesetzlich vorgeschrieben. 1938 mussten nördlich der Linie etwa Berlin – Hamburg 13% zugesetzt werden, südlich davon Bleitetraethyl.

Ligroin


Bertha Benz kaufte 1888 auf ihrer Fahrt von Mannheim nach Pforzheim in der Apotheke von Wiesloch Ligroin und machte sie so zur quasi ersten Tankstelle der Welt.

Das Thema Alkohol im Tank versandete dann bis zur ersten Ölkrise von 1973. Danach begannen vor allem Brasilien und die USA, die eigenen Feldfrüchte Zuckerrohr bzw. den Mais zur Ethanolproduktion zu nutzen. Heute hängt in Brasilien der Zapfhahn für Alkohol neben dem für Benzin. Jeder Autofahrer entscheidet selbst, wie viel Alkohol er dem Benzin beimischt. In der Regel scheinen das etwa 20% zu sein.

Die Einführung des Kraftstoffs E10 mit 10% Ethanolgehalt in Deutschland hat allerdings nichts mit der Ölkrise zu tun. Begründet wird die erzwungene Einführung mit der Notwendigkeit der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Deshalb wird die EU-Richtlinie 2009/30/EG über "die Spezifikationen für Otto-, Diesel- und Gasölkraftstoffe und die Einführung eines Systems zur Überwachung und Verringerung der Treibhausgasemissionen" über das Bundesimmissionsschutzgesetz in deutsches Recht überführt. Der Ausstoß an Kohlendioxid soll verringert werden, um das Weltklima zu schützen.

E10 sollte schon 2009 eingeführt werden. Der damalige Umweltminister stoppte das Vorhaben aber kurzfristig, da zu viele Motoren nicht dafür geeignet waren. Nun ist es also eingeführt. Dabei ist E10 ein alter Hut mit ärgerlichen Folgen für die verunsicherten Autofahrer. Im politischen Konzept der Dekarbonisierung allerdings, also der im Ideal vollständigen Vermeidung des Ausstoßes von Kohlendioxid, stellt es nur einen kleinen Mosaikstein dar.

Autofreie Stadt


Masdar City in Abu Dhabi ist die erste autofreie Stadt. Hier fahren ausschließlich Elektrogondeln. Der Stromverbrauch ist reglementiert. Die Klimaanlage darf auch bei
40 °C nicht immer laufen.

Große Verwirrung um eine Schnapsidee

Zur Einführung Anfang des Jahres wollten weder die Mineralölverbände noch die Automobilhersteller eine Haftung für die Verträglichkeit des E10 übernehmen. Im Gegensatz zu E5 ist es nur für Fahrzeuge geeignet, die von ihrem Hersteller dafür freigegeben sind. Angeblich drei Millionen Autos vertragen 10% Ethanol im Kraftstoff nicht. Deshalb ist E10 an der Zapfsäule zu kennzeichnen. Zusätzlich liest man den Hinweis: "Verträgt Ihr Fahrzeug E10? Herstellerinformationen einholen!" Viele Autofahrer sind verunsichert und meiden das "Ökobenzin" bis heute.

Doch die "Schnapsidee" hat Vorteile, denn Alkohol hat eine sehr hohe Oktanzahl, die ein Maß für die Klopffestigkeit des Motors ist. Seine ROZ (Research-Oktanzahl) beträgt 108,6, während Isooktan, der Hauptbestandteil des Benzins, eine ROZ von 100 hat (ROZ von n-Heptan = 0). Das aus deutlich mehr als hundert verschiedenen Kohlenwasserstoffen mit ebenso unterschiedlichen Oktanzahlen bestehende Normalbenzin hat eine ROZ von mindestens 91 (Superbenzin ≥ 95).

Das Kraftstoff-Luft-Gemisch wird im Zylinder komprimiert und erhitzt, bis bei optimaler Kompression die Zündkerze zündet und der Kraftstoff explosionsartig verbrennt. Bei der Erhitzung spalten sich von den linearen Kohlenwasserstoffen Wasserstoffradikale ab, die sehr leicht mit Sauerstoff reagieren und dadurch das Gasgemisch vorzeitig zünden. Die Zündkerze kann also keine optimale Flammenfront aufbauen, wenn an verschiedenen Stellen im Zylinder bereits vorher kleine Brandnester entstehen. Das nennt man dann "Klopfen" oder "Klingeln". Um dies zu verhindern, werden allen Benzinsorten entsprechende Additive als Radikalfänger zugesetzt. Ethanol könnte also das Additiv ETBE (Ethyl-tert-butyl-ether, ROZ = 117) ersetzen, das bis zu 15 Volumenprozent dem normalen Benzin beigemischt wird. Da ETBE zur Hälfte aus Ethanol besteht, kann man mit ihm dem Benzin Ethanol indirekt beimischen (z. B. als ternäre Mischung aus Benzin + ETBE + Ethanol).

Beim E5 ergab die Beimischung (5 Vol.‑% Ethanol) keine nachteiligen Eigenschaften. Beim E10 ist das bereits anders. Der Alkohol verschlechtert einige wichtige Brennstoffeigenschaften, vor allem den Dampfdruck und das Destillationsprofil. So erschwert der höhere Dampfdruck den Kaltstart. Da Ethanol ein elektrischer Leiter ist, kann es an den Kontaktstellen von Bauteilen aus Aluminium und einem anderen Metall zu elektrolytischer Korrosion kommen. Zudem können die im Ethanol in geringer Menge enthaltenen Säuren die Teile aus Gummi und Kunststoff angreifen. Da aber keine langjährigen Erfahrungen vorliegen, sind die Aussagen zu diesen Themen schwierig zu gewichten. Wahrscheinlich sind die genannten Probleme des E10 auf wenige ältere Fahrzeuge begrenzt.

"Weniger Autos ist besser. Zu einem neuen Mobilitätskonzept sollten Laufen, Fahrradfahren, Autofahren und Eisenbahnfahren gehören."

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg

Ökobilanz schlechter als erwartet

Viele Umweltverbände lehnen E10 wegen des zur Gewinnung von Ethanol erforderlichen Anbaus der Rohstoffpflanzen ab. Das Institut für Europäische Umweltpolitik in London (IEEP) rechnete im vergangenen Jahr vor, dass die CO2-Gesamtbilanz von Ethanol im Vergleich mit Benzin deutlich negativ sei. Der nachwachsende Kraftstoff soll zwar ein Drittel der CO2-Emissionen einsparen. Bei dieser Rechnung scheinen aber einige Parameter nicht berücksichtigt worden zu sein. Eine CO2-Bilanz reicht weiter als vom Motor bis zum Zapfhahn.

Zunächst hat E10 eine geringere Energiedichte als Benzin. Der Verbrauch soll um etwa zwei Prozent höher liegen. Man kann also mit einer Tankfüllung entsprechend weniger weit fahren.

Und vom Acker bis zu Tankstelle ist ebenfalls ein gutes Stück Wegs zurückzulegen. Zuckerrüben oder Weizen werden nach der Ernte gewaschen und gehäckselt. Nach dem Zusatz von Wasser wird die Maische mit dem Enzym Diastase unter Druck und hoher Temperatur verzuckert; dann wird die Hefe hinzugegeben. Nach der Gärung liegt der Alkoholgehalt je nach Hefestamm zwischen acht und 16%. Durch einfache Destillation lässt sich keine ausreichende Reinheit des Alkohols erreichen. Deshalb wird das Gärprodukt durch fraktionierte Kolonnendestillation in zehn Meter hohen Destillationstürmen mit mehreren Glockenböden im Gegenstromverfahren rektifiziert und auf gut 90% Alkoholgehalt gebracht. Der maximale Wert beträgt 94,6%, denn ein Teil des Ethanols bildet mit Wasser über Wasserstoffbrücken ein azeotropes Gemisch, das auch in der Gasphase stabil ist; das bedeutet, dass Ethanol und Wasser sich durch Destillation nicht vollständig trennen lassen.

Weil das Azeotrop im Ethanol auch dessen Brenneigenschaften als Kraftstoff verschlechtert, muss es daraus entfernt werden. Die Entwässerung oder Absolutierung erfolgt meistens durch den Zusatz von Toluol, das im Vergleich zu Ethanol eine größere Affinität zu Wasser besitzt und mit ihm ein Azeotrop bildet, das dann abdestilliert wird (Ergebnis: 99,8%iges Ethanol).

Der gesamte Herstellungsprozess ist sehr energieintensiv, und das Äquivalent der CO2-Emission soll in der Ökobilanz nicht enthalten sein.

Ein positiver Nebeneffekt der Vergärung von Mais, Weizen oder Zuckerrüben ist die dabei anfallende Schlempe, die getrocknet ein sehr gutes Viehfutter darstellt, weil die Fermentation viele Mineralien und unverdauliche Proteine bioverfügbar macht. Allerdings können sich unerwünschte Inhaltsstoffe oder Kontaminationen wie Mykotoxine und Schwermetalle, die das Gären unbeschadet überstehen, in der Schlempe zu kritischen Konzentrationen anreichern.

Vor allem bei Getreide spielen Toxine von Fusarium ssp. eine Rolle. Deshalb lässt sich die Schlempe aus nicht verkehrsfähiger Ware nicht vermarkten. Dies verschlechtert die Ökobilanz nochmals.

"Wir können vom Acker nicht alles abfordern."

Andreas Graner, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenzüchtung

Kritik der Berater

Diese Kritik wird von manchen Beratern der Politik in drastische Worte gefasst. So äußerte sich der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium in seiner Empfehlung an die Politik im Jahr 2008 sehr deutlich: Die im Fokus stehenden Bioenergielinien weisen hohe CO2-Vermeidungskosten auf. Die Ethanolproduktion auf Weizenbasis koste fast 500 Euro je Tonne vermiedenes CO2. Wenn die deutsche Politik mithilfe der Bioenergie Klimaschutzpolitik betreiben möchte, so sollte sie sich auf solche Energielinien konzentrieren, bei denen die CO2-Vermeidungskosten unter 50 Euro/t CO2 liegen wie z. B. bei der Erzeugung von Biogas aus Gülle. Was die Effizienz der Flächennutzung betrifft, so vermeidet Ethanol aus Weizen weniger als 2 t CO2 pro Hektar und Jahr, während der Anbau von "Energieholz” (Pappeln, Robinien) auf Kurzumtriebsplantagen 12 t CO2/ha/a vermeidet.

Der Beirat mahnte: Eine Förderung der Bioenergie im großen Stil bedeutet zwangsläufig, dass bisher anders genutzte Flächen für den Anbau von Energiepflanzen unter den Pflug genommen werden. Grasland wird umgebrochen, Wälder werden gerodet. Die Landwirtschaft wird intensiviert, sodass letztlich die Emissionen von Treibhausgasen zunehmen. Zudem konkurrieren die Energiepflanzen angesichts der weltweit knappen Ackerflächen mit den Nahrungspflanzen. Steigende Energiekosten werden auch die Agrarpreise mit nach oben ziehen.

Die Experten rechneten vor, dass der Anbau von Pflanzen zur Gewinnung von Bioethanol, Biodiesel und Biogas auf 30% der Ackerfläche nur 2,3% des Endenergieverbrauchs Deutschlands decken würde. Die Politik solle die deutsche Landwirtschaft nicht durch hohe Förderungen ineffizienter Bioenergielinien in eine neue Politikabhängigkeit führen und auf einen Energiesektor ausrichten, in dem die deutsche Landwirtschaft international kaum wettbewerbsfähig sein kann, sodass er auch nur ein geringes Wertschöpfungspotenzial aufweist.

Kurz: Die Politik sollte die Förderung der Agrokraftstoffe grundlegend überdenken.

"Wir müssen schon heute mit der Züchtung der Pflanzen für das Klima von morgen beginnen."

Volker Mosbrugger, Senckenberg-Gesellschaft

Zukunftsprojekt 4F

Die Politik hat reagiert. 2009 hat die Bundesregierung mit dem Bioökonomierat ein weiteres Gremium mit vielen Fachleuten ins Leben gerufen. Er soll die Land- und Forstwirtschaft steuern, indem er Technologie, Ökonomie und Ökologie unter einem Dach vereint. Inhaltlich geht es um 4F (Feed, Food, Fibre, Fuel). Was das vierte F betrifft, so soll ein Bioethanol der zweiten Generation entwickelt werden. Henry Fords Traum soll wahr werden. Alle organische Restmasse aus der Land- und Forstwirtschaft soll dann zu Spiritus vergoren werden. Die Hoffnung ruht vor allem auf der Cellulose. Sie zu vergären ist noch nicht sehr effizient. Aber Clostridium thermocellum ist ein vielversprechender Kandidat als "Cellulosefresser".

Der Bioökonomierat verfolgt mit 4F ein ehrgeiziges Ziel: Die Pflanze soll der Technologieträger des 21. Jahrhunderts werden. Dazu brauche man auch "smart breeding", eine neue Dimension der Pflanzenzüchtung. Die Bundesforschungsministerin Schavan hat deshalb auf der Grünen Woche 2011 gefordert, auf weniger Fläche mehr Biomasse zu produzieren. Das bedeutet in erster Linie eine effiziente Landwirtschaft, moderne Technologie und Gentechnologie mit allem, was dazu gehört. (Wie das mit dem derzeitigen Verbot des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen wie Bt-Mais oder Amflora-Kartoffeln zusammenpasst, ist allerdings rätselhaft.) Und in zweiter Linie würde F4 konsequenterweise die Abschaffung der sogenannten ökologischen Landwirtschaft bedeuten, die zu wenig produktiv ist. (Vielleicht billigt man ihr eine kleine Nische zu, in der die Qualität mehr zählt als die Quantität).

In jedem Falle wird das Tanken von E10 zum großen Ziel der globalen Dekarbonisierung wenig beitragen können. Dagegen spricht bereits, dass so wichtige Länder wie China und Indien kein Interesse an einer solchen Politik haben. Die EU setzt die Politik der "Low Carbon Technologies" allein fort – und lässt sich das etwas kosten: Die Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard will bis zum Jahr 2050 elf Billionen Euro dafür ausgeben. Derweil wird in China jede Woche ein neues Kohlekraftwerk eingeweiht.

Thema im Netz


25 Bioenergieregionen in Deutschland: www.bioenergie-regionen.de

Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft: www.bdbe.de

Verband der deutschen Biokraftstoffindustrie e.V.: www.biokraftstoffverband.de

LS9 – Ethanol aus Plastik: www.ls9.com

Deutscher Bioökonomierat: www.biooekonomierat.de


Literatur

Klaus Butterbach-Bahl et al.: Treibhausgasbilanz nachwachsender Rohstoffe. Karlsruhe Institute of Technology (KIT) Scientific Reports 7556, 2010.

Wissenschaftlicher Beirat Agrarpolitik beim BMELV: Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung – Empfehlungen an die Politik. 2008.

NABU-Hintergrundpapier zur Flächenkonkurrenz zwischen Bioenergie und Nahrungsmitteln. September 2008.

Agentur für erneuerbare Energien e.V.: Der volle Durchblick in Sachen Energiepflanzen. Juni 2010.

Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V.: Jahresbericht 2009/2010.

Andreas Schirmer et al.: Microbial Synthesis of Alkanes. Science 2010:329 (5991):559-562; DOI: 10.1126/science. 1187936.


Autor

Dr. Uwe Schulte, Osterholzallee 82, 71636 Ludwigsburg, schulte.uwe@t-online.de



DAZ 2011, Nr. 20, S. 80

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