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Das sollten wir uns nicht nehmen lassen …

Peter Ditzel

Den kennen Sie auch, so oder ähnlich: Treffen sich zwei Rentner. Sagt der eine zum andern: "Sag mal, ich hab dich jetzt schon ein paar Mal gesehen, wie du vom Arzt kommst, in die Apotheke gehst, dort dein Rezept einlöst und danach deine Medikamententüte in die Abfalltonne wirfst. Warum machst du das? Warum nimmst du deine Arzneimittel nicht ein?" Sagt der andere: "Das kann ich dir sagen. Ganz einfach: Ich geh zum Arzt und lass mich untersuchen und mir was verschreiben – der will doch leben. Ich geh zum Apotheker und hole meine Medikamente – der Apotheker will auch leben. Und dann werf ich die Tüte weg – ich will nämlich auch leben "

Und wenn dieser Witz an dem einen oder anderen Stammtisch erzählt wird, gibt es mit Sicherheit einige, die sich damit brüsten, Leute zu kennen, die so oder ähnlich gehandelt haben – sonst ginge es ihnen heute noch schlechter oder sie wären nicht mehr unter uns.

Es geht um die Non-Adhärenz oder Non-Compliance der Patienten. Beziehungsweise darum, wie man Patienten dazu bringt, ihre Therapieanweisungen zu befolgen. Gerade bei chronisch Kranken ist laut Untersuchungen das Nichtbefolgen der Arzneimitteltherapie, sei es absichtlich (siehe oben), was die Mehrzahl der Fälle ausmacht, oder aus Vergesslichkeit oder Sorglosigkeit heraus ein Riesenkostenfaktor. Abgesehen davon, dass die Non-Adhärenz eine ungeheure Verschwendung von Arzneimitteln und Ressourcen ist: Non-Adhärenz verschlechtert oder verhindert nicht nur den Therapieerfolg, sie kann auch zum Tod führen. Die Fälle, in denen ein Nichtbefolgen der Therapie oder eine Nichteinnahme von Arzneimitteln zum Überleben beigetragen haben sollen, dürften nur wenige Ausnahmen sein. Würde man sich stärker um die therapiegetreue Einnahme von Arzneimitteln kümmern, könnte, so ein Cochrane-Review aus dem Jahr 2008, der Gesundheitszustand der Bevölkerung stärker verbessert werden als jede Optimierung einer spezifischen Medikationstherapie.

Man darf also mit Sicherheit sagen: Es ist dringend notwendig, an einer Verbesserung der Adhärenz zu arbeiten. Einen wichtigen Anteil daran könnten und sollten die Apotheken haben. Das sehen im Übrigen auch die Apotheker selbst so. Die Autoren des Beitrags in dieser DAZ-Ausgabe (Seite 63) haben dazu eine (allerdings nicht repräsentative) Umfrage unter Ärzten und Apothekern gemacht: 84% der befragten Apothekerinnen und Apotheker sehen sich in der zentralen Rolle, die Adhärenz zu fördern – im Gegensatz zu den Ärzten, die nur zu 48% glauben, diese Rolle wahrnehmen zu müssen.

Und wie verbessert man die Therapietreue, wie bringt man Patienten dazu, ihre Arzneimittel korrekt und nach Vorschrift einzunehmen und die Einnahme bzw. Anwendung nicht zu vergessen? An erster Stelle stehen hier das ausführliche Patientengespräch, Information, Aufklärung und Adhärenzprogramme. Das sind zeitintensive Vorgänge, die neben der fachlichen Kompetenz auch soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen und Kenntnisse der Gesprächsführung erfordern.

Ich halte es für sinnvoll, wenn sich Apothekerinnen und Apotheker in der Apotheke vor Ort noch weit mehr als bisher für die Einhaltung der Therapietreue einsetzen und dieses Feld kompetent besetzen. Da dafür der unmittelbare und regelmäßige persönliche Kontakt mit dem Patienten wichtig ist, kann diese Aufgabe nur die Apotheke vor Ort leisten, nicht die Versandapotheke – eine Chance, Patienten an die Präsenzapotheke zu binden.

Auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung (immer mehr Ältere), der Multimorbidität der Älteren und einer daraus resultierenden vermehrten Verordnung von Arzneimitteln (Polypragmasie), oft durch unterschiedliche Ärzte, die ihre Verordnungen gegenseitig nicht kennen, sollte der Apotheker die Aufgabe des – nennen wir es – Adhärenzbetreuers wahrnehmen und sich auch gegenüber den Ärzten aktiv positionieren.

Es sollte eigentlich nicht sein, dass Krankenkassen (wie vor Kurzem die AOK Rheinland/Hamburg; wir berichteten darüber in der letzten AZ ) mit Hausärzten einen Vertrag über einen Arzneimittel-Check schließen, die dafür eine zusätzliche Honorierung erhalten. Was ist in der Darstellung und Positionierung des Apothekers schiefgelaufen, dass er in Arzneimittelfragen wie den Nebenwirkungs- und Interaktions-Checks von den Krankenkassen nicht wahrgenommen wird? Dass er in Fragen der Adhärenzverbesserung nicht wie selbstverständlich von den Krankenkassen angefragt und in entsprechende (und honorierte) Programme eingebunden wird? Liegt es an unserer Ausbildung, an mangelnden Kommunikationsfähigkeiten, an fehlender gezielter Fortbildung zum Thema Adhärenz, an unserer Selbstdarstellung oder an einer ungenügenden Positionierung des Apothekers durch unsere Berufsvertretung? Das Thema Adhärenz und Arzneimittelchecks dürfen wir uns nicht nehmen lassen, es ist zukunftsweisend.


Peter Ditzel



DAZ 2011, Nr. 28, S. 3

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