Arzneimittel und Therapie

Therapeutische Angiogenese enttäuschend

Mithilfe eines Gen-Transfer-Präparates kann im menschlichen Organismus ein Fibroblasten-Wachstumsfaktor gebildet werden, der die Angiogenese stimuliert und zur Bildung neuer Kapillaren führt. Erste Erfolge bei ausgeprägten Beinischämien konnten aber in einer größeren Studie nicht wiederholt werden.

Durchblutungsstörungen der Beinarterien aufgrund sklerotischer Veränderungen treten relativ häufig auf. Man schätzt, dass in reichen Ländern rund jeder zehnte über 50-Jährige davon betroffen ist. Im Extremfall führen die Durchblutungsstörungen zu einer kritischen Beinischämie mit Schmerzen, Ulcerationen und Gangränbildung. Tritt diese schwere Verlaufsform auf – das ist bei etwa 500 bis 1000 Menschen auf 100.000 pro Jahr der Fall – ist die Prognose schlecht: Nach einem Jahr ist ein Viertel der Betroffenen gestorben, bei einem Drittel musste eine Amputation durchgeführt werden und ein Fünftel leidet kontinuierlich unter den Symptomen. Die wichtigste Therapie ist eine chirurgische Revaskularisation, die allerdings nicht bei jedem durchgeführt werden kann, nicht immer erfolgreich ist und bei 20% der Betroffenen trotzdem eine Amputation erforderlich macht. Medikamentöse Maßnahmen wie die Gabe vasoaktiver Stoffe (Naftidrofuryl oder Pentoxifyllin), Plättchenhemmer oder Antikoagulanzien sind unwirksam. Ein neuer Therapieansatz ist die Stimulation der Angiogenese, die zur Bildung neuer Kapillaren und kleiner Gefäße führt und die kollaterale Zirkulation fördert. Diese Vorgänge sind eine physiologische Antwort auf ischämische Vorgänge und werden unter anderem durch pro-angiogene Faktoren verstärkt. Einer dieser Faktoren ist der Fibroblasten-Wachstumsfaktor Typ 1 (FGF-1), der bereits therapeutisch als NV1FGF eingesetzt wird. NV1FGF (= Riferminogen pecaplasmid) ist ein nicht-virales, plasmid-basiertes Genexpressionssystem für den menschlichen Fibroblasten-Wachstumsfaktor FGF-1. FGF-1 fördert die Angiogenese und aktiviert Migration, Proliferation und Differenzierung von Endothelialzellen, so dass neue Kapillaren aussprossen. In einer kleineren Phase-II-Studie (TALISMAN-Studie) konnten durch diese angiogenetische Therapie Mortalität und Häufigkeit von Amputationen im Vergleich mit einer Placebo-Behandlung deutlich gesenkt werden. Diese vielversprechenden Ergebnisse gaben Anlass zur Konzeption und Durchführung einer größeren Phase-III-Studie. Die TAMARIS-Studie ist eine randomisierte, doppelblinde und placebokontrollierte Studie, in die 525 Patienten mit kritischer Beinischämie eingeschlossen wurden, bei denen keine Revaskularisation durchgeführt werden konnte. Die Hälfte der Patienten erhielt viermal alle zwei Wochen NV1FGF als intramuskuläre Injektion in die betroffene Extremität, die andere Hälfte eine Placeboinjektion. Der primäre Studienendpunkt war das erste Auftreten einer Majoramputation (Amputation oberhalb des Knöchels) oder Tod jeglicher Ursache innerhalb von zwölf Monaten. Sekundäre Studienendpunkte waren alle Amputationen, Tod, Ulcusheilung, Schmerzlinderung und der funktionelle Status. Nach einem Jahr bestand zwischen den beiden Interventions-Gruppen kein statistisch signifikanter Unterschied sowohl beim primären als auch bei den sekundären Endpunkten. In der Verum-Gruppe mussten 96 größere Amputationen durchgeführt werden, es starben 36% der Probanden. In der Placebo-Gruppe waren es 86 Amputationen und der Tod jeglicher Ursache lag bei 33%. Auch im Hinblick auf die sekundären Endpunkte konnte kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen ermittelt werden (siehe Tabelle). Auch bei bestimmten Subgruppen konnte kein Benefit durch Verum festgestellt werden.


Wirksamkeit und Sicherheit von NV1FGF im Vergleich zu Placebo

Placebo
n = 259)
NV1FGF
(n = 266)
HR (95%KI)
RR (95%KI)
p-Wert
Wirksamkeit
Amputation oberhalb des Knöchels/Tod
86 (33%)
96 (36%)
1,11
(0,83 – 1,49)
0,48
Amputation oberhalb des Knies
55 (21%)
67 (25%)
1,20
(0,84 – 1,72)
0,31
Tod
39 (15%)
46 (17%)
1,15
(0,75 – 1,76)
0,53
Sicherheit
ischämische Herzkrankheit
26 (10%)
27 (10%)
1,00
(0,60 – 1,67)
1,00
maligne Neoplasien
4 (2%)
7 (3%)
1,69
(0,50 – 5,71)
0,55
Netzhaut-
erkrankungen
15 (6%)
11 (4%)
0,71
(0,33 – 1,51)
0,42
Einschränkung der Nierenfunktion
15 (6%)
20 (7%)
1,29
(0,67 – 2,46)
0,49

Enttäuschendes Ergebnis


Die Ergebnisse der Phase-III-Studie sind enttäuschend, vor allem, weil die vorausgegangene Phase-II-Studie einen Benefit der NV1FGF-Gabe aufzeigte. Autoren und Kommentatoren der Studie suchen daher Ursachen für die divergierenden Resultate, bleiben dabei aber mehr oder weniger im spekulativen Bereich. So könnte die Angiogenese durch bestehende Grunderkrankungen wie Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen beeinträchtigt worden sein oder Medikamente wie Statine oder ACE-Hemmer könnten das Gefäßwachstum verhindert haben. Vielleicht seien auch Gentherapien bei älteren Patienten mit ausgedehnten Erkrankungen weniger effektiv als bei gesunden Probanden. Möglicherweise müssten auch Dosis, Applikationsart und Dauer der Therapie noch optimiert werden, vielleicht fehle es aber auch an einem ausreichenden Verständnis für die der Ischämie zugrunde liegenden Vorgänge, um die angiogenetische Gentherapie bereits jetzt in der Klinik einzusetzen.


Quelle

Belch J., et al.: Effect of fibroblast growth factor NV1FGF on amputation and death: a randomised placebo-controlled trial of gene therapy in critical ischaemia. Lancet 377, 1929 – 1937 (2011).

Fowkes F., et al.: Gene therapy for critical limb ischaemia: the TAMARIS trial. Lancet 377, 1894 – 1896 (2011).


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr



DAZ 2011, Nr. 28, S. 52

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