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Arzneimittel und Therapie
Zucker lindert nicht den Schmerz bei Neugeborenen
Eine verbale Kommunikation ist mit Neugeborenen nicht möglich. Daher muss bei Untersuchungen zum Schmerzempfinden von Babys definiert werden, wie dieses quantitativ und reproduzierbar gemessen werden kann. Ein neuartiger Ansatz der Schmerzerfassung mittels Elektroenzephalographie (EEG) und Elektromyographie (EMG) wurde in einer doppelblind randomisiert durchgeführten Studie, in der 59 gesunde Neugeborene bei einer klinisch erforderlichen Fersenblutentnahme einem Schmerzreiz ausgesetzt wurden, verfolgt. Zwei Minuten vor Gabe des Schmerzreizes erhielten 29 der Babys 0,5 ml einer 24-prozentigen Saccharoselösung und 30 Babys 0,5 ml sterilisiertes Wasser. Die Lanzetten rufen eine spezifische Schmerzreaktion im Gehirn hervor. Zur Einschätzung der Schmerzintensität wurde ein Schmerz-Score PIPP (premature infant pain profile) erfasst, sowie der Gesichtsausdruck und das Verhalten der Babys mittels Video ausgewertet. Zusätzlich wurde der empfundene Schmerz mit der Elektroenzephalographie und Elektromyographie aufgezeichnet. Mit dem EEG wurde das Auftreten von nozizeptiven Gehirnaktivitäten gemessen, mit dem EMG die schmerzausweichenden Reflexaktivitäten des Rückenmarks. Vor der Saccharose- bzw. Wassergabe wurde bei den Säuglingen eine nicht schmerzhafte Kontrolle durchgeführt. Dabei wurde mit der stumpfen Seite der Lanzette die Fußsohle berührt. Währenddessen erfolgte bereits die Videoaufzeichnung, auch die Grundlinien der EEG und EMG wurden aufgenommen.
Keine Schmerzreduktion nachweisbar
Bei der Auswertung der Elektroenzephalographie und der Elektromyographie konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen der Zucker- und der Kontrollgruppe festgestellt werden, die Lanzette rief in beiden Gruppen Schmerzreaktionen hervor. Bei der Auswertung der Schmerz-Scores und der Videoaufzeichnungen wurden aber Unterschiede deutlich. Der Schmerz-Score war signifikant niedriger bei Neugeborenen, die zuvor die Zuckerlösung erhalten hatten. Ebenfalls signifikante Unterschiede ergaben die aufgezeichneten Gesichtsausdrücke. Nach Erhalt der Zuckerlösung veränderte keines der Babys seinen Gesichtsausdruck beim Schmerzreiz, während nach der Wassergabe sieben auf den Schmerz reagierten. Die Autoren glauben jedoch nicht, dass die Zuckerlösung die Schmerzen gelindert hat. Die Skepsis stützt sich auf die Auswertung der EEGs, die auch sogenannte evozierte Potenziale registrieren. Diese Potenzialunterschiede im Elektroenzephalogramm werden durch jede Reizung eines Sinnesorgans oder peripherer Nerven ausgelöst. Diese evozierten Potenziale wurden auch bei den untersuchten Säuglingen aufgezeichnet, und zwar unabhängig davon, ob zuvor eine Zuckerlösung geben wurde und oder nicht. Verfahren wie der Schmerz-Score oder die Videoauswertung scheinen nach Ansicht der Autoren zu ungenau, da sie auf menschlicher Beobachtung basieren. Die wahrgenommenen Veränderungen in der Mimik könnten auf andere Wirkungen der Zuckerlösung zurückgeführt werden, vermuten die Autoren. Mit Verfahren wie EEG und EMG lässt sich eine schmerzreduzierende Wirkung des Zuckers nicht belegen. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Studie zwar nur klein und statistisch nicht aussagekräftig war, allerdings gibt sie Hinweise darauf, dass Zuckerlösungen bei Neugeborenen nicht routinemäßig verwendet werden sollten.
Quelle
Slater, R.; et al.; Oral sucrose as an analgesic drug for procedural pain in newborn infants. Lancet (2010) 376; 1225 – 1232.
Lasky and Drongelen; Is sucrose an effective analgesic for newborn babies? Lancet (2010) 376; 1201 – 1203.
Ramona Bergbauer, Medizinjournalistin
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