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- AZ 36/2012
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Gesundheitspolitik
Gefangene ihrer selbst
Der Honorarstreit um die Vergütung der deutschen Apotheken scheint auf seinem Höhepunkt angekommen zu sein. In den einschlägigen Fachzeitschriften für die Apothekerschaft kann man in Kolumnen, Editorials, Leserbriefen, Berichten von Versammlungen immer wieder den Sturm der Entrüstung nachlesen, der sich in Sachen Honorar abspielt. Dass 8,35 Euro nach 8 bzw. 6 Jahren – der Vorschlag der Regierung – als schwaches Entgegenkommen bzw. als Frechheit von der Apothekerschaft interpretiert werden, ist nachvollziehbar. Da die Diskussion eröffnet ist, müssen nun sinnvolle Berechnungen angestellt werden, was adäquat wäre. Im Übrigen schreibt dies das GMG aus dem Jahr 2004 vor und zwar alle zwei Jahre, es wäre also schon längst überfällig gewesen, sich der Sache anzunehmen. Und genau diesen Aspekt müsste man näher untersuchen, um nicht in zwei bis drei Jahren wieder in eine ähnlich verfahrene Situation zu geraten. Warum ist nicht schon längst mehrmals geschehen, was jetzt aus dem Ruder läuft?
Die Apotheken stecken in einer Art Gefangenen-Dilemma. Diese aus der volkswirtschaftlichen Spieltheorie bekannte Situation liest sich wie folgt: Beim sogenannnten Dilemma geht man von der Konstellation eines Spieles mit zwei Spielern aus. Die Spieler haben entweder die Möglichkeit zusammenzuarbeiten oder sich gegenseitig zu verraten. Die Spieler legen ihre Strategie ohne Kenntnis der Entscheidung des anderen Spielers fest und darin liegt das Problem. Arbeiten die Spieler zusammen, um insgesamt eine hohe Auszahlung zu erzielen, ist dies gut, wenn sie sich aber gegensätzlich entscheiden, profitiert nur der Spieler, der den anderen verrät. Der Begriff des Gefangenen-Dilemmas kommt dadurch zustande, dass dieses Spiel immer wieder an einer Gefangenen-Situation veranschaulicht wird. Hierbei stehen zwei (schuldige) räumlich getrennte Untersuchungshäftlinge vor der Wahl zu leugnen oder zu gestehen. Für den Einzelnen ist es am sichersten zu gestehen, beidseitiges Leugnen verspräche aber das beste Gesamtergebnis. Die Höchststrafe beträgt beispielsweise sechs Jahre. Entscheiden sich die Gefangenen beide zu schweigen, werden beide wegen kleinerer Delikte oder mangels Beweisen zu jeweils zwei Jahren verurteilt. Gestehen beide die Tat, erwartet beide eine Haftstrafe, aber nicht die höchste aufgrund der vom Gericht goutierten Kooperationsbereitschaft der Häftlinge, nehmen wir also vier Jahre an. Gesteht nur einer und der andere schweigt, bekommt einer die Höchststrafe und der andere als Kronzeuge quasi lediglich eine Minimalstrafe.
Was hat dies alles mit der Honorarfrage bei den Apotheken zu tun? Die Verhandlungspartner haben acht Jahre gewartet, bis erstmals auf der Gesetzesgrundlage 2004 verhandelt wurde; zu lang, um jetzt ein für beide Seiten brauchbares Ergebnis erzielen zu können. Die Apotheken verweisen zurecht darauf, dass die 8,35 Euro nicht einmal den Inflationsausgleich repräsentieren. Nur man hat all die Jahre keinerlei Ansprüche geltend gemacht. War eine Anpassung also nicht nötig? Dies wäre zu kurz gesprungen, denn als Apothekerschaft könnte man argumentieren, die Kostensituation ändert sich in 2012 nicht dadurch, dass man in den Vorjahren nicht über die Kosten verhandelt hat. Dies ist richtig. Dass man zwischenzeitlich keine Anpassungen vorgenommen hat, hat dem Staat viel Geld gespart, nun ist es aber an der Zeit für eine Anpassung. Nur geschickt ist dies nicht. Denn aus verkürzter Sicht käme es nun beispielsweise bei einer Anpassung auf z. B. über 9,00 Euro zu einer Steigerung von über 10 Prozent. Details gehen in der öffentlichen Wahrnehmung gerne unter, deshalb sehen die Beobachter zum Schluss nur, was unter dem Strich in diesem Fall für die Apotheker rauskäme. Ob dies überfällig war oder nicht, interessiert dann nicht mehr. Die Politik befürchtet zu Recht, dass andere Leistungserbringer dann schnell ihre Ansprüche geltend machen, aber woher nehmen, bei klammen Kassen.
Für die Apotheken wäre aber ein zu geringer Abschluss fatal, denn acht Jahre gewartet zu haben, um dann abgespeist zu werden, wäre auch politisch das falsche Signal.
Es hilft nur Datensicherheit. Diese von den Apotheken vorgelegten Daten werden vom Ministerium bezweifelt, was nachvollziehbar ist, nicht weil deren Validität in Zweifel zu ziehen wäre, sondern weil dies zum Verhandlungsspiel gehört. Dies als Taschenspielertrick zu bezeichnen, ist Verhandlungspolemik, im umgekehrten Fall wäre man genauso vorgegangen. Und nun zum Gefangenendilemma: Das Stichwort der Stunde muss konstruktive Zusammenarbeit heißen. Ministerium und Standesorganisation müssen gemeinsam eine auf Dauer valide Datenbasis schaffen, von einer neutralen Stelle erhoben, gemeinsam konzipiert und gemeinsam bezahlt, damit weder die eine der anderen Seite oder andersherum gezielte Vorteilsnahme unterstellen kann. Dies wäre übrigens auch im Geist des Gesetzes aus 2004, denn mit Recht darf man darauf verweisen, dass damals auch erhebliche Zweifel berechtigt waren, ob denn der Referenzwert von 8,10 Euro authentisch ermittelt wurde. So dieser damals richtig war, ist die Steigerung auf 8,35 Euro nicht hinnehmbar, da muss man kein großer Rechner sein. Wenn nicht, muss ganz neu verhandelt werden, aber das will man nicht. Die ABDA und der Deutsche Apothekerverband wären gut beraten, dies dem Ministerium vorzuschlagen, eine neutrale Stelle gemeinsam zu benennen und einen Vertrag zu schließen, der eine Art Panel vorsieht, das einmal im Jahr Daten erhebt und das auf Dauer installiert wird. Alle Apotheken wären aufgefordert, in anonymisierter Form ihre Daten zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus darf auch nicht unterschätzt werden, dass eine Reihe weiterer Fragen bei der Honoraranpassung relevant sind und werden. Wie erfolgt zukünftig die Vergütung von Nacht- und Notdiensten, wie schlägt sich die Erhöhung des Verwaltungsaufwandes durch die neue Apothekenbetriebsordnung in der Vergütung für die Apotheken nieder und welcher Abschlag wird auf Dauer an die GKV zu entrichten sein? Die Liste könnte verlängert werden. In dieser schwierigen Phase besteht eben aber auch die Chance, Verwerfungen der Vergangenheit zu begradigen und ein transparenteres, gerechteres und der Realität nahekommendes Vergütungsmodell zu entwerfen. Dann wäre das Glas halbvoll, nicht halbleer. Allen wäre gedient und das Dilemma aufgelöst.
Andreas Kaapke
Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de
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