Gesundheitspolitik

Kontextkompetenz – ein Attribut der Apotheken!?

Geht es um die Stärken von Menschen, werden immer häufiger auch die diversen Kompetenzfelder angesprochen, die gemeinhin unterschieden werden. Auch im Handel ist die alleinige Fachkompetenz einer Mischung aus Fach-, Methoden- und Sozialkompetenz gewichen. Während gerade im Einzelhandel zur Fachkompetenz die Warenkunde zählt, also Fragen technischer Art (kann das Gerät auch …?), inhaltlicher Art (welche Schadstoffe sind in Produkt x…) oder auch hinsichtlich der Waschbarkeit, Austauschbarkeit usw. gemeint sind, versteht sich Methodenkompetenz eher als Fähigkeit, bestimmte Techniken des Verkaufens einsetzen zu können, rhetorisch geschult das Verkaufsgespräch zu begleiten oder auch Abschlusstechniken beim Verkauf zu nutzen. Soziale Kompetenz schließlich zeigt auf, wann ein Kunde angesprochen werden will und wann nicht, wann welches Argument kommen kann, zeigt die Freundlichkeit und Problemlösungsfähigkeit des Mitarbeiters auf usw.

Alle drei Kompetenzfelder münden in die sogenannte Handlungskompetenz, also in der Fähigkeit eines Mitarbeiters genau richtig zu reagieren, die richtige Fachinformation zum richtigen Zeitpunkt parat zu haben, den Kunden nicht mit Informationen zu überfordern, ihn aber auch nicht zu schonen und vieles mehr.

Dies vor Augen hat man – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Heterogenität der Kunden – gehörigen Respekt vor der Aufgabe des Verkaufens. In Zeiten, in denen der Verkäufer in allen Feldern in der Regel einen Vorsprung hatte, es sei denn er hatte es mit ausgesprochenen Warenkennern zu tun, konnte diese Handlungskompetenz nicht nur ausreichend sein, sie hat den Verkaufsvorgang bei erklärungsbedürftigen Produkten gut und präzise gesteuert und strukturiert. Die Informationsflut im Internet mit den gestiegenen Zugangsmöglichkeiten für jedermann zu jeder Zeit, hat die Gewichte beim Verkaufsvorgang in Richtung Kunden verschoben. Da der Kunde sich über etwas Spezifisches vorinformiert hat, ist er oft besser informiert, wenn es um das einzelne Produkt oder die einzelnen Dienstleistungen geht als der Verkäufer. Dies macht das Verkaufsgespräch zunehmend schwierig. Hier kommt die Kontextkompetenz ins Spiel. Die Kunden lesen zwar alles über die Features eines Produktes, über technische Möglichkeiten usw., kennen sich aber nicht aus, in welchen Situationen, welches Feature am besten geeignet ist und ob das präferierte Produkt tatsächlich das geeignete ist. Hier kann der Verkäufer verlorenes Terrain zurückerobern. Seine Erfahrung im Abverkauf bestimmter Produkte kann er nutzen, um zu wissen, was geht und was nicht, was infrage kommt und was nicht. Mag er ein Produkt nicht genau kennen, kann er dennoch die Gesprächshoheit zurückgewinnen, wenn er dieses "Pfund" ausspielt.

In Apotheken kommt dies nicht selten vor, denn die Patienten und Kunden mögen sich manches angelesen haben, aber einordnen können sie dies nicht. Wenn ein Apotheker dies im Beratungsgespräch geschickt anstellt, hat er gewonnen und nicht nur bei dem einen Verkauf, sondern gegebenenfalls auf Dauer. Richtig nachhaken, nachzuhören und nachzufragen sind Stärken des Apothekenberufs, so sie denn erbracht werden. Diese Kontextkompetenz besitzt der Apotheker in der Regel besser als jeder andere im Handel angesiedelte Beruf. Sein Studium hat ihn geradezu berufen, seine akademische Ausbildung macht ihn für die Auswahl des geeigneten Präparats unersetzlich, deshalb ist es schade und unklug, wenn der Kauf von Arzneimitteln in Apotheken allzu oft in reine Verkaufsakte ohne wirkliche Beratung abdriftet. Natürlich ist dies einfacher, natürlich weniger zeitintensiv, natürlich am Ende des Tages weniger stressig, aber die von Kunden wahrgenommene Kompetenz erlangt man durch ein anderes Verhalten.

An sich würde man sich diese Art der Kontextkompetenz in allen Handelsbranchen wünschen, aber gerade in Apotheken ist sie unersetzbar, denn es ist gewünscht, dass sich Menschen nicht selbst therapieren, sondern dies von Fachleuten wie Arzt oder Apotheker erledigt wird. Es ist gut, wenn auch mal empfohlen wird, nichts zu nehmen oder nicht alles durcheinander einzunehmen. Und es ist hilfreich, wenn Kunden erleben, was die Mischung aus Fach-, Methoden-, Sozial- und Kontextkompetenz bewirken kann. Hier sind Apotheken Benchmark für alle anderen Handelsbranchen und sollten es bleiben, so es der Apotheker abruft, der Kunde goutiert und der Gesetzgeber kapiert.


Andreas Kaapke


Andreas Kaapke ist Professor für Handels-management und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Bera-tungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de



AZ 2012, Nr. 45, S. 2

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