Feuilleton

Olympia 2012

Die relativen Gewinnerzahlen

Um den Gebrauch der Worte „toll“ und „Emotionen“ zu zählen, die bei den Berichten und Kommentaren der olympischen Wettkämpfe in London ohrwurmhaft wiederholt wurden, würde für eine Strichliste ein DIN A4-Blatt nicht ausreichen. Betrachten wir jedoch die Situation ganz nüchtern, so ändern sich die spontanen Eindrücke.
Gold, Silber oder Bronze für das Heimatland Riesengroß die Freude der erfolgreichen Speerwerf-erinnen: Die Tschechin Barbora Spotakova holt sich Gold, Christina Obergföll und Linda Stahl gewinnen Silber und Bronze für Deutschland.Foto: EPA/ CHRISTOPHE KARABA

In Ettlingen ist gerade der 13. Internationale Wettbewerb für junge Pianistinnen und Pianisten zu Ende gegangen. Die meisten Preise gingen an die Teilnehmer aus China. Warum? China ist das bevölkerungsreichste Land unter den Konkurrenten. Vielleicht spielen aber auch die Art und Intensität des Trainings und die dabei geübte, nicht immer ganz freiwillige Disziplin eine wesentliche Rolle.

Bei den Olympischen Sommerspielen in London musste sich China allerdings von den USA übertrumpfen lassen. Dann folgte schon Großbritannien und danach erst Russland. Deutschland steht nach Südkorea an sechster Stelle, gefolgt von den europäischen Ländern Frankreich, Italien und Ungarn. Weiter geht es mit Australien, Japan und Kasachstan.

Wenn man bedenkt, dass zwischen Gold, Silber und Bronze oft nur Bruchteile einer Sekunde, ein paar Zentimeter Höhe bzw. Länge oder gar nur das subjektive Gefühl eines Kampfrichters liegen, dann wäre es objektiver, bei der Reihung der Nationen die Gesamtzahlen der Medaillen zugrunde zu legen.

Zwischen den Positionen 1 und 2 ändert sich dabei nichts. Doch dann folgen deutliche Verschiebungen, wie man der Tabelle 2 entnehmen kann.

Tab. 2: Die ersten 12 Gewinnernationen, aufgelistet nach der Gesamtzahl an Medaillen.

Position
Land
Medaillen –
Gesamtzahl
1
USA
104
2
China
87
3
Russland
82
4
Großbritannien
65
5
Deutschland
44
6
Japan
38
7
Australien
35
8
Frankreich
34
9
Südkorea
28
9
Italien
28
10
Ungarn
17
11
Kasachstan
13


Südkorea und Italien liegen mit je 28 Medaillen gleich auf, daher ergeben sich nur 11 unterschiedliche Positionen.

Ein weiter reichender Aspekt bei der Beurteilung der sportlichen Leistungsstärke eines Landes ist die Einbeziehung der aktuellen Bevölkerungszahlen, die in Tabelle 1 mit angegeben sind.

Tab. 1: Die ersten 12 Gewinnernationen, aufgelistet nach der Anzahl der Goldmedaillen.

Olympische Spiele in London 2012 – Medaillen-Spiegel
Land
Gold
Silber
Bronze
Einwohner* (Mio.)
1
USA
46
29
29
313,9
2
China
38
27
22
1350,4
3
Großbritannien (mit Irland)
29
17
19
63,2
4
Russland
24
25
33
143,2
5
Südkorea
13
8
7
48,9
6
Deutschland
11
19
14
81,8
7
Frankreich
11
11
12
63,6
8
Italien
8
9
11
60,9
9
Ungarn
8
4
5
9,9
10
Australien
7
16
12
22,0
11
Japan
7
14
17
127,6
12
Kasachstan
7
1
5
16,8

*Einwohnerzahl Mitte 2012: http://weltbevoelkerung.de


Setzt man die Anzahl aller Medaillen in Beziehung zu den Bevölkerungszahlen der Länder, so ergeben sich gravierende Unterschiede, wie aus Tabelle 3 ersichtlich ist.

Tab. 3: Verhältnis der Einwohnerzahlen zu der Anzahl gewonnener Medaillen. (Eine Medaille pro Million Einwohner.)

Position
Land
Einwohner
pro Medaille
1
Ungarn
0,58 Mio.
2
Australien
0,63 Mio.
3
Großbritannien
0,97 Mio.
4
Kasachstan
1,29 Mio.
5
Russland
1,75 Mio.
5
Südkorea
1,75 Mio.
6
Deutschland
1,86 Mio.
7
Frankreich
1,87 Mio.
8
Italien
2,18 Mio.
9
USA
3,02 Mio.
10
Japan
3,36 Mio.
11
China
15,52 Mio.


Unter dem Aspekt „Anzahl Medaillen pro Kopf der Bevölkerung“ steht unter den ersten zwölf Gewinnernationen Ungarn an erster und China an letzter Stelle, Russland und Südkorea können sich die Hand reichen.

Damit ist aber nicht gesagt, dass Ungarn das sportlich erfolgreichste Land sei, bezogen auf Medaillen pro Kopf. Greifen wir deshalb einmal drei kleinere Länder heraus, wie die Niederlande mit 16,7 Mio., Kuba mit 11,2 Mio. und Jamaika mit 2,7 Mio. Einwohnern bzw. 20, 14 und 12 Medaillen, so ergibt sich für die Niederlande der Faktor 0,83, für Kuba der Faktor 0,80 und für Jamaika der Faktor 0,23. Also sind die Jamaikaner die erfolgreichsten Olympioniken, während die Niederlande und Kuba zwischen Australien und Großbritannien einzuordnen sind.

Wer mehr über Gold und Silber erfahren und unter den angeführten Aspekten die Ergebnisse der Olympischen Spiele von 2012 in London mit denen von 2008 in Beijing vergleichen möchte, dem empfehle ich die Lektüre meiner Glossays „Gold, Silber und …“ und „Was ist relativ?“ publiziert in der DAZ 2008, Nr. 32, S. 78-80 und in der DAZ 2008, Nr. 35, S. 63-65 (auch auf meiner Homepage zu finden).

Übrigens gibt es immer noch einige Sportreporter, die nicht wissen, dass Bronze kein Edelmetall, sondern eine Legierung aus Kupfer und Zinn ist.


Autor:

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth, Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe, www.h-roth-kunst.com, info@h-roth-kunst.com



DAZ 2012, Nr. 33, S. 72

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.