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House of Pharma im Bau

Projektgruppe arbeitet am vorerst virtuellen Gebäude: Pharmaexperten unter einem Dach

FRANKFURT/Main (diz). Nicht nur die beiden Hochschullehrer Prof. Dr. Dr. Gerd Geisslinger und Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz sind von ihrer Idee überzeugt, in Frankfurt ein "House of Pharma" auf die Beine zu stellen. Mittlerweile haben sie eine Reihe von anderen Mitstreitern an den Tisch der Bauherren geholt, beispielsweise das Zentrum für Arzneimittelforschung (ZAFES), ein neues Fraunhofer-Institut und die Pharmaindustrie mit Forschungsgeldern. Ziel ist es, das House of Pharma zu einem Zentrum zu machen, in dem sich alle treffen und vernetzen, die mit dem Arzneimittel von der Grundlagenforschung bis hin zur Vermarktung zu tun haben. Ob aus dem vorerst virtuellen Gebäude auch ein Haus aus Stein wird, ist noch offen. Fest steht allerdings: Ein Lobbyverein soll es nicht werden.

Die Idee, ein "House of Pharma" ins Leben zu rufen, existiert in Frankfurt schon seit Längerem. In Anlehnung an das "House of Finance" oder das "House of Logistics and Mobility" brachten die beiden Frankfurter Hochschullehrer Geisslinger und Schubert-Zsilavecz 2010 ein "House of Pharma" ins Gespräch.

Der Standort in der Region Rhein-Main gilt als ideal: Pharmaindustrie, Universität, Start-up-Unternehmen und Institute wie das ZAFES haben dort ihren Sitz. Als das Land Hessen vor einem Jahr grünes Licht gab, das Projekt "Anwendungsorientierte Arzneimittelforschung" mit Geld aus der Landesoffensive zur Entwicklung wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (kurz LOEWE genannt) zu fördern, nahm man die konkreten Planungen auf. Das Projekt, hinter dem die Goethe-Universität und die Fraunhofer-Gesellschaft stehen, soll mit knapp 8 Mio. Euro unterstützt werden.

Am 17./18. September fand in Frankfurt die erste Jahrestagung des House of Pharma statt, mangels eigenem Gebäude trafen sich Vertreter aus der Pharmaindustrie, der Hochschule, der Politik und Wirtschaft im Casinogebäude auf dem Gelände des Campus Westend, auf dem sich schon das "House of Finance" befindet.


Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz: House of Pharma als Bindeglied zwischen Industrie und Uni.

Ein Bindeglied

Wie Schubert-Zsilavecz in seinem Grußwort anmerkte, soll das House of Pharma ein Bindeglied werden zwischen universitärer und industrieller Forschung. Dr. Anna C. Eichhorn, stellvertretende Vorsitzende der Initiative Gesundheitswirtschaft Rhein-Main e.V., stellte heraus, dass die Pharmaindustrie in Deutschland nach wie vor eine Säule der Volkswirtschaft darstellt. Aber es mache sich zunehmend eine Innovationslücke bemerkbar. Abhilfe könnte eine effektive Vernetzung im Innovationsprozess schaffen. Heute sei es nicht mehr selbstverständlich, wenn große Pharmaunternehmen dem Standort Frankfurt die Treue hielten. Das House of Pharma könne dazu beitragen, dass die Region Rhein-Main als starke Region wahrgenommen werde.

"Das Glas ist halb voll"

Vor allzu pessimistischer Sichtweise warnte Dr. Michael Schönhofen, Mitglied des Vorstands Fresenius Kabi AG. Die deutsche Pharmaindustrie sei nach wie vor Keimzelle für innovative Produkte. Vor diesem Hintergrund sehe er hier die Situation positiv, "das Glas ist halb voll".

Dr. Michael Schönhofen: Deutsche Pharmaindustrie ist noch immer Keimzelle für Innovationen.

Die Anstrengungen sollten sich darauf richten, mehr Mut zu zeigen, auch für eine Fehlerkorrektur. Innovationen können Fehler beinhalten, so Schönhofen, ein offener Umgang mit ihnen sei jedoch auch eine Chance, daraus zu lernen.

Anwendungsorientierte Arzneiforschung

Prof. Dr. Werner Müller-Esterl, Präsident der Goethe-Universität Frankfurt, hob in seinen Worten zur Eröffnung der Tagung hervor, dass in Frankfurt ein Fraunhofer-Institut für anwendungsorientierte Arzneimittelforschung gegründet werden soll. Dieses Institut werde ebenfalls unter dem Dach des House of Pharma mit weiteren Zentren, Instituten und Forschungsverbünden der Universität vernetzt.

Müller-Esterl stellte die hohe Innovationskraft in Deutschland heraus, allerdings gelangten die Forschungsergebnisse nicht immer in die Anwendung. Und: deutsche Universitäten spielten in der innovativen Arzneimittelentwicklung leider keine Rolle. Es fehle der Austausch auf dem Gebiet der Grundlagenforschung, Anwendung, Patentierung und Vermarktung zwischen Hochschule und Industrie. Ein House of Pharma könne dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.

Prof. Dr. Werner Müller-Esterl: Deutsche Universitäten spielen in der innovativen Arzneimittelentwicklung leider keine Rolle.

Auch Dr. Thomas Schäfer, Hessischer Minister der Finanzen, setzte sich dafür ein, dass die Forschung an der Uni und in der Wirtschaft zusammengeführt werden müssten. Gute Erfahrungen habe man bereits mit dem Zentrum für Arzneimittelforschung, Entwicklung und Sicherheit (ZAFES) gemacht, das 2002 an der Goethe-Universität gegründet wurde und dessen Aufgabe es ist, als "Center of Excellence" und Kern eines Pharma-Denker-Clusters das Wissen aus Universität, Pharmaindustrie und Biotechnologie zusammenzuführen, um schneller zu innovativen Arzneimitteln zu gelangen. Für Hessen, so der Finanzminister, ist Pharma immer ein bedeutender Wirtschaftsfaktor gewesen und er soll es auch bleiben.

Flach: Gesundheit nicht nur Kostenfaktor

"Können wir uns Gesundheit noch leisten?" – die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ulrike Flach, MdB (FDP), bekannte sich in ihrem Impulsreferat zur Gesundheitswirtschaft. Gesundheit sieht sie nicht nur als Kostenfaktor, so ihre erste These, sondern als wichtigen Wirtschaftsfaktor. Als vielversprechenden Sektor betrachte sie beispielsweise den Bereich eHealth. Die Gesundheitswirtschaft trage auch zur Stärkung des Exports bei, neue Märkte erschlössen sich beispielsweise in Brasilien und Indien.

Dr. Thomas Schäfer: Forschung an der Uni und Wirtschaft müssen zusammengeführt werden.

Ihre zweite These: Wenn die Wirtschaftskraft in diesem Bereich erhalten werden soll, müssen wir investieren, vor allem in die Gesundheit der arbeitenden Bevölkerung. "Die Gesundheit der Menschen ist die wichtigste Ressource unseres Landes", so Flach. Gesunde Arbeitnehmer sind eine Win-win-Situation, Arbeitgeber und Arbeitnehmer profitieren davon.

Schließlich, so ihre dritte These, müsse die Gesundheitsversorgung in der heutigen Form erhalten bleiben. Flach bekannte sich zu den beiden Säulen unseres Gesundheitssystems, der privaten und der gesetzlichen Versicherung.

Mehr Transparenz, mehr Geld

In der sich anschließenden Diskussion unter Moderation von Dr. Michael Stein, Geschäftsführer der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, unterhielten sich Peter Albiez, Geschäftsführer Head Primary Care Business bei Pfizer Pharma, Dr. Martin Siewert, Vorsitzender der Geschäftsführung Sanofi-Aventis, Dr. Marlies Volkmer, MdB, stellv. gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, und Dr. Barbara Voss, Leiterin der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse, über den Kostenfaktor Gesundheit.

Innovationslücke

Prof. Dr. Dr. Gerd Geisslinger: Der Output der Pharmaindustrie ist nicht so, wie man ihn sich wünscht.

Es gibt sie, die Innovationslücke in der Pharmaindustrie. Obwohl die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Pharmaindustrie gut aufgestellt sind, obwohl immer mehr Geld investiert wird, ist der Output nicht so, wie man ihn sich erhofft. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie Prof. Dr. Dr. Gerd Geißlinger, Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie in Frankfurt und Sprecher der Loewe-Fraunhofer-Projektgruppe Arzneimittelforschung, ausführte. So beträgt der Forschungsetat der Firmen in Deutschland rund 5,5 Milliarden Euro pro Jahr. Aber nicht nur allein wegen gesetzlicher Auflagen dauert es oft über 15 Jahre von der Idee bis zum neuen Arzneistoff, bis dieser dann als Arzneimittel am Kranken eingesetzt werden kann. "Ideen sind da, es mangelt an der Translation in die Anwendung." Nur eine von 25 Substanzen in der Präklinik und nur eine von zehn Substanzen in der klinischen Prüfung schafft es auf den Markt. Arzneimittelforschung ist zeitaufwendig und teuer, eine Milliarde Dollar müssen für eine neue Substanz aufgewendet werden.

Aber auch die Rahmenbedingungen für Innovationen haben sich geändert, so Geißlinger. Die Anforderungen an die Sicherheit sind gestiegen. Viele Krankheiten können heute schon sehr gut mit den auf dem Markt befindlichen Arzneimitteln behandelt werden, Beispiel Bluthochdruck und Antihypertensiva. Die Herausforderungen durch "unmet medical need", also durch bisher noch nicht oder unzureichend behandelbare Krankheiten, werden dagegen größer (MS, neuropathischer Schmerz, Autoimunerkrankungen, Pankreaskarzinom).


"Können wir uns Gesundheit noch leisten?" Diskussion mit (v.l.) Peter Albiez, Dr. Marlies Volkmer, Dr. Martin Siewert, Dr. Barbara Voss, Ulrike Flach

Die meisten Pharma-Innovationen (50 Prozent) kommen heute aus den USA, rund 20 Prozent werden in Europa gefunden. Die Ideen zu den Innovationen entstehen in den USA zum überwiegenden Teil (60 Prozent) in den Forschungslaboratorien der Universitäten; in Deutschland beträgt dieser Anteil dagegen nur etwa 15 Prozent. Hinzu kommt, dass es in den USA Programme gibt, die die Umsetzung der Ideen in den Markt fördern. Geißlinger betonte, dass es auch an deutschen Universitäten eine gute Grundlagenforschung gebe, "aber wir schaffen es nicht, diese Grundlagenforschung in den Bereich innovativer Arzneimittel zu übersetzen". Vor diesem Hintergrund habe man vor zehn Jahren das Zentrum für Arzneimittelforschung, Entwicklung und Sicherheit (ZAFES) gegründet. Als Partner habe man in Frankfurt zudem die Fraunhofer Gesellschaft gefunden, mit der man nun daran gehe, ein Fraunhofer-Institut für angewandte Arzneimittelforschung ins Leben zu rufen. Ziel soll es sein, die Translation von akademischen Ideen in die Praxis zu fördern, neuen Indikationen von bekannten Arzneistoffen aufzuspüren, neue präklinische und klinische Modelle für neue Substanzen zu entwickeln und klinische Forschung zu betreiben. Das House of Pharma soll letztlich dazu beitragen, die gemeinsamen Bemühungen von Wirtschaft und Wissenschaft zur Steigerung der Leistungsfähigkeit der Arzneimittelforschung in Deutschland zu koordinieren.

Prof. Dr. Garret A. Fitzgerald, Direktor des Instituts für translationale Medizin und Therapie an der Universität Pennsylvania (USA), unterstrich die Bedeutung der Vernetzung und Zusammenarbeit von Instituten, Hochschulen und Industrie im Bereich der Innovationen. In den USA habe dies eine lange Tradition. Der Einsatz von Risikokapital (venture capital) habe sich bewährt.

Prof. Dr. Dr. Hermann Russ, Vorsitzender der F+E-Abteilung bei Merz Pharma, erwartet von einer Innovation, dass sie die Therapie nachhaltig verändert; tut sie dies nicht, war es Flop. Wollen hier mittelständische Unternehmen mithalten, gelinge dies eher dadurch, dass man auf externe Kooperationen setzt (open innovation), um auch innovative Technologien ins Unternehmen zu bringen. Als Beispiel nannte er die Zusammenarbeit zwischen Industrie, kleinen Biotech-Unternehmen und Hochschulen. Ein Mittelständler könne nicht alle Bereiche alleine abdecken, er müsse mit Unternehmen und Instituten kooperieren, die Spezialwissen hätten.

Präkompetitive Kooperationsmodelle

Forschung und der Drang, Innovatives zu finden, sei "intrinsisch kompetitiv", so Prof. Dr. Christian Noe, Leiter des Department für medizinische/pharmazeutische Chemie an der Universität Wien. Insofern wäre ein Begriffspaar wie Innovation und präkompetitiver Wettbewerb/Forschung (also gemeinsame Forschung vor dem Wettbewerb) schon ein Widerspruch in sich. Aber immer größere Herausforderungen und Ressourcenknappheit verlangen neue Wege und Kooperationen. Gerade auf dem Gebiet der Grundlagenforschung finde man mehr und mehr Kooperationen von öffentlichen und privaten Unternehmen und Organisationen.


"Präkompetitive Kooperationsmodelle." Diskussionsrunde mit (v. l.) Prof. Dr. Günther Wess, Dr. Bernhard Kirschbaum, Prof. Dr. Christian Noe; Moderation: Prof. Dr. Josef M. Pfeilschifter. Fotos: Convent Kongresse

In der sich anschließenden Diskussion zu diesem Thema unterstrichen Dr. Bernhard Kirschbaum, von der F+E-Abteilung bei Merck Serono, Prof. Dr. Günther Wess, Präsident und Vorstandsvorsitzender des Helmholtz-Zentrums München, und Prof. Dr. Josef M. Pfeilschifter, Dekan des Fachbereichs Medizin der Goethe-Universität Frankfurt, die Notwendigkeit von Netzwerken und Kooperationen. Netzwerke sind der Motor der Innovationen, brachte es Kirschbaum auf den Punkt. Allerdings, so Wess, müssten Industrie und Hochschule noch besser lernen, wie sie zusammenarbeiten können. "Es sind unterschiedliche Welten, hier stehen wir erst am Anfang."

Das House of Pharma könnte diese Welten unter einem Dach vereinigen. Wie weit das House of Pharma dazu in der Lage ist, wird die nächste Jahrestagung zeigen.



DAZ 2012, Nr. 39, S. 32

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