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"Unterbelichtet"?

Dr. Benjamin Wessinger Chefredakteur der DAZ

Bereits auf dem Deutschen Apothekertag in München hatte die anwesende gesundheitspolitische Prominenz von Koalition und Opposition die Apotheker aufgefordert, Modelle und Konzepte zu entwickeln, wie die Kompetenzen der Apotheker besser eingesetzt werden können und wie unser Beruf mehr Verantwortung bei der Lösung der zukünftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen übernehmen könnte.

Nun wiederholten Biggi Bender und Jens Spahn beim Forum Gesundheitspolitik in Berlin (siehe Artikel "Gehe-Forum in Berlin: Politiker-Speed-Dating") diese Forderungen. Frau Bender, selten um ein deutliches Wort verlegen, bezeichnete die Interessenvertretung der Apotheker in dieser Hinsicht sogar als "unterbelichtet".

Von beiden wurde wiederholt die Versorgung chronisch Kranker genannt, namentlich von Diabetikern. Der Typ-2-Diabetes hat längst pandemische Ausmaße angenommen, Prävention und Behandlung werden in ihrer Bedeutung noch weiter zunehmen. Aber auch bei anderen chronischen Erkrankungen und der "ganz normalen" Multimorbidität und Polypharmazie älterer Patienten sind neue Konzepte gefragt. Unbestritten dürfte sein, dass dabei die Kooperation der verschiedenen Berufsgruppen im Gesundheitswesen dringend verbessert werden muss.

Und erste Ansätze gibt es ja: Das ABDA-KBV-Modell ist ein vielversprechendes Konzept, fraglich ist nur, ob es nach seinem holprigen Start jemals zum Laufen gebracht werden kann. Medikations-Checks wie jetzt in Nordrhein mit der AOK vereinbart sind ebenso wichtig, können aber nur ein Anfang sein.

Was fehlt, ist eine grundlegende Diskussion über unser Berufsbild. Welche Aufgaben wollen und sollen Apothekerinnen und Apotheker in Zukunft übernehmen? Gelingt es uns, uns von der Arzneimitteldistribution unabhängiger zu machen und vermehrt für pharmazeutische Dienstleistungen in Anspruch genommen (und bezahlt) zu werden?

Ja, die Honorierung ist wichtig. Aber bei jeder Diskussion um die zukünftigen Aufgaben der Apotheken und Apotheker sofort nach der Honorierung zu fragen ist nicht nur unsympathisch – es ist auch ein strategischer Fehler! Zuerst sollten wir klarmachen, welche essenziellen Aufgaben bei der Versorgung der zunehmend älteren Patienten mit ihren regelmäßig fünf, sechs oder mehr Arzneimitteln wir übernehmen können. Wir sollten Konzepte vorstellen, wie die Betreuung von Diabetikern und anderen Chronikern in der Apotheke die gesamte Versorgung dieser Patientengruppen substanziell verbessern kann. Und dann, wenn Politik, Kassen und die Ärzte – ja auch diese – überzeugt von unseren Ideen und Kompetenzen sind, dann können wir unseren Preis immer noch nennen.

Diese Weiterentwicklung des Berufs weg von der reinen Arzneimitteldistribution kann auch ein Ausweg aus der drohenden vollständigen Kommerzialisierung des Arzneimittelvertriebs sein. Der Beruf steht vor einem grundsätzlichen Umbruch: So wie die Apotheker durch die Industrialisierung vom Arzneimittelhersteller zum -händler wurden, müssen wir uns vom reinen Arzneimittelhändler zum Gesundheitsmanager entwickeln.

All diese Ideen und Konzepte erfordern von den Apothekern aber auch neue Kompetenzen und Qualifikationen. Die intensive Diskussion über unser Berufsbild und seine Zukunft muss deshalb in einem zweiten Schritt zur dringend nötigen Modernisierung der pharmazeutischen Ausbildung führen. Die letzte Änderung der Approbationsordnung war wahrlich nicht der große Wurf (auch wenn die Bedeutung der Einführung der Klinischen Pharmazie kaum überschätzt werden kann!).

Schlimm genug, dass viele Medien, Politiker und auch Patienten den Wert unseres im weltweiten Vergleich erstklassigen Apothekensystems nicht zu schätzen wissen. Verheerend aber ist, dass auch viele Apothekerinnen und Apotheker ihn offenbar nicht kennen! Die Apothekerschaft braucht nicht nur ein Standesdenken in seiner ureigensten Form, also ein echtes Selbstbewusstsein, wie wichtig Apothekerinnen, Apotheker und ihr pharmazeutisches Fachpersonal heute für die Versorgung der Patienten sind. Wir müssen uns auch darüber verständigen, welche Aufgaben wir in zehn oder zwanzig Jahren für die Menschen wahrnehmen wollen.

Ausgehend von dieser Zukunftsvision unseres Berufs, von einem echten Leitbild, können wir dann Ideen, Konzepte und Modelle entwickeln, wie unser Platz im Gesundheitssystem der Zukunft aussehen soll.

Wenn wir uns unserer selbst sicher sind, können wir den anderen Berufsgruppen im Gesundheitssystem auf Augenhöhe gegenübertreten, damit die unbedingt nötige Zusammenarbeit gelingen kann.

Dann kann uns auch niemand mehr vorwerfen, wir wären – statt zu gestalten – nur mit Abwehrkämpfen beschäftigt – oder gar "unterbelichtet"!


Benjamin Wessinger



DAZ 2012, Nr. 49, S. 3

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