Gesundheitspolitik

Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt

Von Medienhysterie, Wahlbeteiligung und eine Ergebnisanalyse – wird das Thema Gesundheit zum „Restposten“?

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

Deutschland hat gewählt. Und wie!? Zunächst müssen einige bemerkenswerte Tatsachen beschrieben werden. Die Phase vor der Wahl war von einer Medienhysterie geprägt, die grotesk anmutete. Einerseits wurde der Wahlkampf – warum eigentlich? – als langweilig beschimpft. Zum anderen wurde „Das Duell“ in einer Weise stilisiert, wie man es selten erlebt hat. Auf zwei Kandidaten kamen vier Journalisten, die – da nur ein Duell seitens der Amtsinhaberin zugelassen wurde – sich selbst als Kandidaten gerierten und feierten. Auch die Themen, die seitens der Presse im Vorfeld der Wahl lanciert wurden, zeigten unmissverständlich, um was es eigentlich ging. Kandidaten und politisches Spitzenpersonal sollten demontiert werden. Natürlich ist eine Pädophilie-Debatte nicht zu bagatellisieren und muss diskutiert werden, der Zeitpunkt ist aber eine Randnotiz wert. Die Ostbiographie der Kanzlerin wurde genauso durchs Dorf getrieben wie die marktwirtschaftlichen Auftritte des Peer Steinbrück. Wenn noch eine Woche vor der Wahl Steinbrücks Stinkefinger wichtiger ist als die Aussagen der Parteien zum Syrien-Konflikt, ist das nicht nur Schuld der Parteien und der Politiker, sondern einer Journaille im Verwässerungs-Wahn.

Genauso muss man auf die Schizophrenie der gegenwärtigen Parteienlandschaft schauen. Mittlerweile haben so viele Parteien eine Chance, in den Bundestag gewählt zu werden, dass selbst alte sichere Koalitionen wie SPD/Grüne oder Union/FDP kaum noch Chancen haben, in diesen Konstellationen regieren zu können. Da aber auch viele Aspiranten an der 5-Prozent-Hürde scheitern können, wäre es bei der Bundestagswahl 2013 tatsächlich fast zu einer Alleinregierung gekommen. Damit war nicht zu rechnen und dieser Teil des Wahlabends war besonders spannend. Zu Recht wird in den politischen Kommentaren darauf hingewiesen, dass es eine „linke Mehrheit“ gibt, aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Hätte die FDP 0,2 Prozentpunkte und die AfD 0,3 Prozentpunkte mehr erhalten, läge die bürgerliche Rechte jetzt bei weit über 50 Prozent. So bleibt die Möglichkeit eines Bündnisses von Rot-Rot-Grün, das sich aus Glaubwürdigkeitsgründen ausschließen müsste und die Union mit zwei, theoretisch natürlich auch drei denkbaren Koalitionspartnern.

Eine Koalition der Union mit der Linken wird es nicht geben, dies wäre abstrus. Es spricht vieles für eine Große Koalition. Dass der kleinere Partner sich ziert, gehört zum politischen Geschäft, da er mehr zu verlieren hat. Vorteil einer Großen Koalition ist die gute Synchronisation mit den Mehrheiten im Bundesrat, wiewohl dies auch kein Freibrief sein darf und auch scheitern kann. Schwarz-Grün wünscht sich mancher, erscheint thematisch aber noch problematischer.

So wird wohl eine Große Koalition die Geschicke der nächsten Jahre zu verantworten haben. Was heißt dies für die Gesundheitspolitik? Tendenziell wohl eher Stillstand als echte Erneuerung. Warum? Gesundheit war im jetzigen Wahlkampf kein Hauptthema, und es ist auch kein besonders gutes Profilierungsthema für Parteien und Politiker, denn es wird eher der Mangel verwaltet.

So stellt sich als erste Frage, wem das Ressort zugeschrieben wird: CDU, CSU oder SPD (oder doch den Grünen?). Bedauerlicherweise wird dies eine nachrangige Ressortfrage sein, zunächst werden die als besonders wichtig angesehenen Ministerien aufgeteilt, neben dem Kanzleramt das Außen- und das Innenministerium, sicher auch Finanzen und – ob der geopolitischen Bedeutung – Verteidigung. Das Wirtschaftsressort hat in den letzten Jahrzehnten etwas an Bedeutung verloren und kommt mit den anderen Ministerien in der Verteilung erst danach. Hier sind dann die Themen Verkehr und Infrastruktur oder Bildung deutlich beliebter als Gesundheit. Wird Gesundheit also ein Restposten? So schlimm wird es nicht kommen, aber es handelt sich sicher um ein eher zweitrangiges Ministerium.

Wenn der Zuschlag auf die CDU fällt, kann sich Jens Spahn Hoffnungen machen, wiewohl Frau Merkel noch andere Personen befriedigen muss. Sach- und Fachkompetenz schlägt nicht immer Proporz. Hier könnte sich positiv bemerkbar machen, dass mit Katharina Schröder eine CDU-Ministerin das Feld freiwillig räumt und damit Manövriermasse zulässt. Wer von den Hessen darf dann ins Kabinett, welche Frau ersetzt eine Frau? Bei der CSU ist vieles offen, weil sich mit Frau Aigner eine weitere Ministerin für die Landespolitik und gegen das Ministeramt in Berlin entschieden hat. Der Generalsekretär Dobrindt, der in den Bundestag gewählt wurde, hat einen guten Landtagswahlkampf konzipiert und will belohnt sein. Seehofer könnte sich aber auch ungeliebter Konkurrenz in München entledigen wollen, wie Markus Söder oder Christine Haderthauer. Wird die SPD das Gesundheitsressort bekommen, führt kein Weg an Karl Lauterbach vorbei, er gehörte zum Kompetenzteam von Peer Steinbrück und dürfte dann Ansprüche anmelden. Und jetzt, da man weiß, dass Ketten-Trittin der Geschichte angehört, erschiene die „kleine“ Koalition mit den Grünen vielleicht doch nicht so schlimm.

Spahn wäre berechenbar, andere Unionisten nicht. Und Lauterbach wäre genauso unberechenbar berechenbar wie schon in seinen Oppositionszeiten. Halleluja, Himmel hoch jauchzend, zu Tode betrübt.

Halt, da war noch was: Die FDP ist draußen und damit auch der Amtsinhaber. Jetzt, wo man ihn nicht mehr haben kann, möchte man ihn weiter lieb haben dürfen. Das ist aber fürs Regieren zu wenig. 4,8 Prozent sind die erwartete Quittung. 

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