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Des Apothekers neue Aufgabe

Peter Ditzel, Herausgeber der DAZ

Jeder Mensch ist ein Individuum – nein, neu ist diese Feststellung nicht. Aber in der Arzneimitteltherapie wird sie bisher nur unzureichend berücksichtigt. Immerhin werden Wirkstärke und Dosierung ans Alter und Gewicht des Patienten angepasst, Wechselwirkungen, soweit bekannt, gecheckt und auch klinische Parameter wie z. B. Nieren- und Leberfunktionswerte werden – vor allem bei kritischen Arzneistoffen – in der Arzneitherapie berücksichtigt. Das ist gut, aber heute geht es besser. Die Frage, ob der vom Arzt ausgewählte Arzneistoff überhaupt beim Patienten wirkt, wirken kann, ob er möglicherweise bei diesem Patienten vermeidbare Nebenwirkungen hervorruft, versucht man in vielen Fällen mit trial and error zu beantworten – obwohl man‘s heute besser wissen könnte.

Weg von der Standardtherapie nach dem Motto "one size fits all", hin zu einer personalisierten, individualisierten Medizin und Therapie – das ist der Weg, den die Pharmaindustrie, fortschrittliche Kliniker und Pharmazeuten seit wenigen Jahren eingeschlagen haben und für zukunftsweisend halten. Wie oft bei neuen Begriffen und Therapien führt dies in der Laien-Öffentlichkeit zu euphorischen, mitunter auch zu verwirrenden Darstellungen. Personalisiert, individualisiert – solche Schlagworte regen zu vielerlei Spekulationen an. Die einen sehen in der personalisierten Medizin eine stärkere Hinwendung des Arztes zum Patienten, ein intensives Arzt-Patienten-Verhältnis, bei dem der Arzt endlich viel stärker die Ängste, Nöte und das individuelle Umfeld des Patienten berücksichtigt. Andere wiederum glauben, die Pharmaindustrie könne schon bald für jeden einzelnen Patienten ein individuelles Arzneimittel oder einen Arzneicocktail mixen. Die Kritiker wittern ein neues Bombengeschäft der Pharmaindustrie: jedem Patienten sein eigenes teures Arzneimittel. Und wieder andere sehen in der personalisierten Medizin eine Mogelpackung, eine PR-Strategie der Pharmaindustrie dahingehend, dass die Industrie die gesetzlichen Möglichkeiten ausnütze, wonach Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen von der Nutzenbewertung ausgenommen sind. Sie vermuten, dass unter dem Schlagwort der personalisierten Medizin jeder neue Wirkstoff zum Medikament gegen seltene Erkrankungen werden könne – mit erleichterten Zulassungsbedingungen, ohne aufwendige Tests und Vergleichsstudien.

Doch nichts davon trifft zu. Was sich tatsächlich hinter dem zwar griffigen, aber zur Verwirrung führenden Begriff der personalisierten Medizin verbirgt, bringt die von Klinikern und Pharmazeuten bevorzugte, eher sperrige, aber treffende Bezeichnung der stratifizierten Medizin bzw. Pharmakotherapie auf den Punkt. Professor Dingermann definiert sie so: "Als stratifizierte Medizin bezeichnet man eine Gruppenbildung, um Patienten zu identifizieren, die aggressiver oder weniger aggressiv behandelt werden sollten, um Responder von Non-Respondern im Vorfeld einer Therapie zu unterscheiden oder um Patienten zu erkennen, die eine bestimmte Therapie nur schlecht oder gar nicht vertragen."

Möglich wird die stratifizierte Therapie erst durch die Bestimmung von Biomarkern, also charakteristischen biologischen Merkmalen eines Patienten, die objektiv gemessen werden können und die eine Aussage erlauben, ob ein Arzneistoff beim Individuum überhaupt wirken kann oder ob er unzumutbare Nebenwirkungen hervorruft. Einer stratifizierten Therapie geht daher in der Regel eine molekulare Diagnostik voraus, die erst durch moderne Forschung, insbesondere durch die Genanalyse ermöglicht wird. Aufgrund der Ergebnisse der gendiagnostischen Untersuchung können Patientengruppen gebildet werden, für die sich vorhersagen lässt, ob sie auf einen bestimmten Arzneistoff ansprechen, ob sie ihn vertragen.

Hier kommt der Arzneimittelfachmann, der Apotheker ins Spiel. Er sollte die Chance, die in dieser Aufgabe steckt – eine neue Dienstleistung – wahrnehmen. Der Apotheker selbst kann zwar keine Gendiagnostik durchführen, aber er kann sie dem Patienten im Gespräch nahelegen, vermitteln und die Konsequenzen aus den Untersuchungsergebnissen mit dem Patienten besprechen. Nach dem deutschen Gendiagnostikgesetz darf zwar nur der Arzt gendiagnostische Untersuchungen durchführen oder in Auftrag geben, der Apotheker allerdings kann sie im Patientengespräch anregen. Beispielsweise können über das Produkt Stratipharm, das apothekenexklusiv vertrieben wird, derzeit 31 Gene untersucht werden, die bei der Pharmakodynamik oder Pharmakokinetik von Arzneimitteln eine Rolle spielen. Aufgabe des Apothekers ist es dann, das Ergebnis der Analyse für den Patienten zu bewerten und zu interpretieren.

Der Apotheker sollte dieses Feld besetzen – für mich gehört die Beantwortung der Frage, ob ein Arzneimittel zu einer bestimmten Gruppe von Patienten passt, ob es aufgrund der genetischen Ausstattung dieser Patienten überhaupt wirken kann oder unzumutbare Nebenwirkungen hervorruft, in den Zuständigkeitsbereich des Apothekers genauso wie ein Check auf Interaktionen und Verträglichkeit. Wir sollten dieses Feld besetzen. Es könnte der Einstieg sein in von Krankenkassen honorierte Dienstleistungen.


Peter Ditzel

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