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„Apotheker als letztes fachliches Korrektiv“

Ein Urteil und mögliche Konsequenzen

Das Oberlandesgericht Köln hat ein Grundsatzurteil zur Umkehr der Beweislast gefällt, die außer für Mediziner auch für Apotheker gelten soll: „Wer einen groben Behandlungsfehler begeht, muss nachweisen, dass der Schaden nicht auf den Fehler zurückgeht.“ Auch wenn das Urteil zur Revision beim Bundesgerichtshof zugelassen wurde, bietet es doch jetzt schon eine spannende berufspolitische Diskussionsgrundlage.

Zunächst ein Blick auf den Fall: Der betroffene Junge war mit einem Herzfehler und dem Down-Syndrom geboren worden und sollte drei Monate nach der Geburt operiert werden. Für die Zeit bis dahin verordnete der Arzt ein digitalishaltiges Medikament. Versehentlich stellte seine Praxis ein Rezept für eine achtfach überhöhte Dosis aus. Es handelte sich um ein Präparat für Erwachsene, auf dem Kassenrezept stand aber (wie üblich) das richtige Geburtsdatum des kleinen Patienten. Der Apotheker übersah, dass die verordnete Dosis zu hoch war, und gab das Medikament wie verordnet ab. Nach fünf Tagen erlitt der Junge einen Herzstillstand und musste 50 Minuten lang reanimiert werden. Fünf Jahre später wurden bei ihm eine Hirnschädigung und ein erheblicher Entwicklungsrückstand festgestellt. Mit der Klage verlangten die Eltern von Arzt und Apotheker gemeinsam ein Schmerzensgeld von mindestens 200.000 Euro.

Das OLG Köln hat dem heute siebenjährigen Jungen und seinen Eltern Schmerzensgeld zugestanden, dessen Höhe aber offen gelassen. Es begründet seine Entscheidung damit, dass das Zusammenwirken von Arzt, Apotheker und Medikament sich in solchen Fällen nicht sinnvoll trennen lasse, sodass Arzt und Apotheker auch gemeinsam für den Fehler haftbar seien. Mit der Übertragung der Beweislast auch auf Apotheker hat das Gericht nach eigenen Angaben eine bislang offene Haftungsfrage geklärt.

Haftungsgemeinschaft von Arzt und Apotheker?

Um die Stellung des Pharmazeuten in diesem Rechtsstreit (in dem er haftet, weil er ein Rezept, das von einem Arzt fehlerhaft ausgestellt wurde, bedient hat) zu begreifen, muss man sich zunächst einmal mit den Grundsätzen der Haftung befassen.

Haftung bedeutet grundsätzlich, dass jemand für einen Schaden einstehen muss, für den er kraft Gesetzes oder Vertrages verantwortlich ist.

Die Konsequenz aus dem zweitinstanzlichen Urteil lautet: Wenn der Apotheker nicht die Verschreibung des Arztes mit eigenem Sachverstand überprüft, wird er mitverantwortlich gemacht und haftet gemeinschaftlich mit dem Arzt für entstehende Schäden. Und er trägt mit diesem die Beweislast, dass die Schädigung des Kindes nicht durch die Überdosierung entstanden ist. Der Bundesgerichtshof muss nun die grundsätzliche Frage klären, ob die Grundsätze zum „groben Behandlungsfehler“ auf Apotheker anzuwenden sind. Seine Entscheidung ist erst in ein bis zwei Jahren zu erwarten.

Aus berufsethischer Sicht kein Neuland

Was bedeutet das Urteil des OLG Köln nun für die tägliche Arbeit in den Apotheken? Dazu Apothekerin Elfriede Hoffmann, Mitglied der ADEXA-Fachgruppe ApothekerInnen: „Aus meiner Sicht sollte es im Selbstverständnis jeder Apothekerin und jeden Apothekers auch bisher bereits klar sein, dass sie/er das letzte fachliche Korrektiv vor dem Patienten ist. Selbstverständlich ist vor der Herstellung einer Rezeptur – oder wie in diesem Fall beim Hinweis auf die Einnahme – die Dosierung zu prüfen. Unklarheiten sind mit dem Arzt auszuräumen. Dies gilt insbesondere bei Kindern! Ebenso ist beim Arzt nachzufragen, wenn aufgrund von Einträgen auf der Kundenkarte Wechselwirkungen oder Kontraindikationen erkennbar werden. Da hat sich meiner Meinung nach durch das aktuelle Urteil nichts geändert. Allerdings sollte künftig auf jeden Fall eine Notiz gemacht werden, welche Entscheidung der Arzt getroffen hat. In unserer Apotheke haben wir uns eine Vorlage erstellt, die wir an die Praxis faxen und anschließend ablegen.

Das Urteil wird auch die Kolleginnen und Kollegen hoffentlich wachrütteln, die bisher allzu sorglos waren. Und es wird Angestellten, die von der Apothekenleitung aus Angst vor dem Arzt bisher noch gebremst werden, eine Nachfrage erleichtern.“

Zukunftsperspektiven

Dass alle Akteure im Gesundheitswesen Verantwortung tragen müssen, ist gut und richtig. Für die Zukunft benötigen Apothekerinnen und Apotheker allerdings noch bessere Möglichkeiten, um ihre Rolle als fachliches Korrektiv zu übernehmen. Eine davon könnte das ABDA-KBV-Modell darstellen, betont Eva-Maria Plank, Leiterin der ADEXA-Fachgruppe ApothekerInnen. Denn hier wird sowohl die Zusammenarbeit von Pharmazeuten und Medizinern gestärkt als auch die Verantwortlichkeit des Apothekers.

In jedem Fall liegt ein wichtiger Schlüssel künftig in der patientenorientierten Pharmazie und dem Medikationsmanagement als einer zentralen Leistung der Apotheken. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, auch einmal auf eine nördliche Nachbarinsel zu sehen: In Großbritannien arbeiten Ärzte und Pharmazeuten eng zusammen – zum Teil sogar in gemeinsamen Praxis-/Apothekenräumen.

Elfriede Hoffmann hält es für möglich, dass Apotheker künftig auch durch die elektronische Gesundheitskarte mehr Informationen erhalten, um das Medikationsmanagement noch besser zu bewältigen. „Die sorgfältige apothekerliche Arbeit muss aber jedem Patienten auch unabhängig von einem Medikationsmanagement oder einer eCard zugutekommen“, so Hoffmann.

Die Tatsache, dass die Verantwortung von Pharmazeuten durch das Urteil des OLG Köln in der (Berufs)Öffentlichkeit stärker wahrgenommen wird, ist nicht zuletzt auch für die Leitbilddiskussion nicht unerheblich. Den Status quo beizubehalten, wird sich der Berufsstand nun noch weniger leisten können. 

Iris Borrmann, Rechtsanwältin bei ADEXA

Urteil des Oberlandesgerichtes Köln (OLG Köln) vom 7.8.2013 – 5 U 92/12

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