Arzneimittelsicherheit

Neue Lieferengpässe?

Neuregelungen für Arzneimittel- und Wirkstoffimport bereiten Probleme

Andrea Schmitz | Die auf den ersten Blick eher harmlos erscheinenden Ergänzungen der Vorschrift des § 72 a Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG), die im Rahmen des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften das 2. AMG-Änderungsgesetz oder gemeinhin auch als "16. AMG-Novelle" bezeichnet werden, stellen die pharmazeutischen Unternehmer ab diesem Sommer vor große Herausforderungen und Probleme. Sinn und Zweck ist die Sicherstellung, dass auch in Drittstaaten hergestellte Arzneimittel oder Wirkstoffe nur eingeführt werden dürfen, wenn sie nach GMP-Regeln hergestellt und überwacht worden sind. Das war bislang bereits so. Es ist allerdings nun zu befürchten, dass es aufgrund der Neuregelungen im Hinblick auf den Import von Wirkstoffen aus Drittstaaten zu Lieferengpässen kommen wird. Jedoch, was ist der Hintergrund dieser Befürchtungen?

Bisherige Rechtslage

§ 72 a AMG regelt die Anforderungen an den Import von Wirkstoffen (und Arzneimitteln) aus Drittländern zur Arzneimittelherstellung. Es gibt drei Möglichkeiten, die Anforderungen an den Import nachzuweisen.

  • Nach § 72 a Abs. 1 Nr. 1 AMG wird ein Zertifikat der zuständigen Behörde des Herstellungslandes gefordert, das bestätigt, dass grundsätzlich Wirkstoffe entsprechend anerkannter Grundregeln für die Herstellung und die Sicherung ihrer Qualität ("GMP-Regeln") hergestellt werden.

  • Nach Nr. 2 ist eine Bescheinigung der zuständigen (hiesigen) (Landes-) Behörde erforderlich, die bestätigt, dass bei der Herstellung des Arzneimittels bzw. des Wirkstoffs die GMP-Grundregeln eingehalten worden sind.

  • Die letzte Alternative bietet sozusagen als Ausnahmeregelung die Möglichkeit, dass die zuständige (Landes-) Behörde bescheinigt, dass die Einfuhr des betreffenden Stoffes im öffentlichen Interesse liegt.

Geänderte Rechtslage

Im Rahmen des 2. AMG-Änderungsgesetzes ist der § 72 a Abs. 1 Nr. 1 AMG geändert bzw. verschärft worden. Grund dieser Änderung ist die Umsetzung des Art. 46b Abs. 2 der geänderten Richtlinie 2001/83/EG. Diese Änderung resultiert aus der Richtlinie 2011/62/EU, der sog. Arzneimittel-Fälschungsrichtlinie, die Teil des sogenannten Pharmapakets war, das u. a. auch die Überarbeitung der Arzneimittelsicherheit beinhaltet. Hiermit sind europaweit die Anforderungen an den Import von Wirkstoffen aus Drittstaaten eingeführt worden. Die insoweit nun geänderte Richtlinie 2001/83/EG musste in nationales Recht umgesetzt werden, was durch das 2. AMG-Änderungsgesetz geschehen ist. Das Gesetz ist am 25. Oktober 2012 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und in seinen wesentlichen Teilen einen Tag später in Kraft getreten.

Das neue Zertifikat

Die Änderungen in § 72 a AMG betreffen die Anforderungen, die an das Zertifikat bzw. die sogenannten "written-confirmation" zu stellen sind. Während bislang das Zertifikat bestätigen musste, dass grundsätzlich Wirkstoffe entsprechend anerkannter Grundregeln für die Herstellung und die Sicherung ihrer Qualität hergestellt werden, muss nun das Zertifikat des Herstellungslandes bestätigen, dass

  • die Wirkstoffe nach den anerkannten Grundregeln der europäischen Union oder nach Standards, die diesen gleichwertig sind, hergestellt werden,

  • die Herstellungsstätte regelmäßig überwacht wird,
  • die Überwachung durch ausreichende Maßnahmen, einschließlich wiederholter und unangekündigter Inspektionen, erfolgt und

  • im Fall wesentlicher Abweichungen die zuständige – hiesige Behörde – informiert wird.

Im Ergebnis ist dies eine doppelte Absicherung und bindet menschliche und finanzielle Ressourcen, da jeder Hersteller ohnehin alle Wirkstoffe, die er bei der Arzneimittelherstellung einsetzt, durch ein Audit vor Ort überprüft haben muss, ob diese nach GMP-Regeln hergestellt worden sind.

Inkrafttreten am 2. Juli 2013 eine Herausforderung

Auch wenn das 2. AMG-Änderungsgesetz bereits im Oktober 2012 in Kraft getreten ist, gilt gemäß Art. 15 des Änderungsgesetzes für die hier diskutierte Gesetzesänderung eine spätere Inkrafttretens-Regelung: der 2. Juli 2013. Bereits seit einiger Zeit, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der pharmazeutischen Unternehmen mit den betreffenden Behörden der Drittländer, wird allerdings deutlich, dass diese Neuregelungen die pharmazeutischen Unternehmen vor große Herausforderungen stellen werden. Die Wirkstoffherstellung wird inzwischen weitgehend nicht mehr innerhalb der Europäischen Union, sondern in Drittstaaten, wie hauptsächlich Indien und China, durchgeführt. Dies trotz der Tatsache, dass die Europäische Kommission am 28. September 2012 mitgeteilt hat, dass die Neuregelung in Art. 46 b der Richtlinie, das Erfordernis der "written confirmation" durch die zuständigen Behörden der Drittländer (Exportländer), entsprechend vorbereitet wurde, gut bekannt sei und verstanden wurde und von daher auch entsprechend implementiert werden könne. Des Weiteren habe man dafür Sorge getragen, dass die bürokratischen Hindernisse möglichst gering gehalten werden. Diese optimistische Einschätzung konnte bislang zumindest von den betroffenen Unternehmen nicht bestätigt werden.

"written confirmation" schwierig zu erlangen

In Kenntnis der anstehenden Gesetzesänderung haben die Unternehmen aufgrund Äußerungen aus den betreffenden Drittländern feststellen müssen, dass die sog. "written confirmation" bzw. das Zertifikat in der nun aufgewerteten Art und Weise in der Praxis schwierig zu erlangen sein wird. Daher hat die Europäische Kommission inzwischen die Notwendigkeit gesehen – wenn auch nicht in einem allzu frühen Stadium – , sich an die europäischen Arzneimittelverbände zu wenden und um detaillierte Daten und Informationen zu bitten, um das Ausmaß der möglichen Probleme abschätzen zu können. Es wurden Angaben über die Anzahl der Herstellungsbetriebe in den Drittstaaten abgefragt, von denen derzeit Wirkstoffe für Arzneimittel bezogen werden. Des Weiteren wurde um Mitteilung gebeten, welche Maßnahmen getroffen wurden bzw. werden, um den Bezug von Wirkstoffen sicherzustellen für den Fall, dass ein Drittland die erforderliche "written confirmation" nicht abgibt und das betreffende Land nicht in der Drittlandliste gem. Art. 111 des Gemeinschaftskodexes aufgeführt ist.

Emotionale Hindernisse in Drittländern

Die Einschätzung der Kommission vom September 2012 wird von vielen Betroffenen – auch auf Behördenseite – nicht geteilt. Insbesondere die Erfahrungen mit den Drittländern Indien und vor allem China ließen und lassen den Schluss zu, dass bis zum Fristablauf am 2. Juli 2013 die erweiterten Zertifikate der zuständigen Behörden zumindest dieser Drittstaaten nicht vorliegen werden, so dass mit nicht unerheblichen Lieferengpässen zu rechnen sein muss. Dabei wurde auch deutlich, dass die Bereitschaft insbesondere in China, Zertifikate auszustellen, in denen auf die GMP-Standards der Europäischen Union Bezug genommen wird, auf emotionale Hindernisse stößt.

Problem Lieferfähigkeit ist virulent

Eine Bestätigung der GMP-Konformität gemäß der Weltgesundheitsorganisation, so wie dies nach den bisherigen Regelungen des § 72 a Abs. 1 Nr. 1 AMG möglich war, würde nach den bisherigen Erfahrungen wohl eher auf Bereitschaft stoßen. In dem im Sommer 2012 von der Kommission vorgelegten Template für eine "written confirmation of active substances exported to the european union for medicinal products for human use" wird allerdings nicht auf die Weltgesundheitsorganisation Bezug genommen. Das Problem der Lieferfähigkeit ab Juli 2013 ist daher virulent.

Lösungsansätze

Welche Wege gibt es, Lieferengpässe bzw. Wirkstoff-Verknappungen zu vermeiden?

Die Richtlinie 2001/83/EG enthält hierzu zwei Ansätze. Zum einen lässt Art. 46 b Abs. 4 der Richtlinie Ausnahmen zu, wenn die Verfügbarkeit von Arzneimitteln gefährdet ist. Eine unmittelbare Umsetzung dieser europäischen Norm in das deutsche AMG hat es nicht gegeben. Allerdings enthält die dritte Alternative des § 72 a Abs. 1 AMG einen ähnlichen Ansatz. Danach bescheinigt die zuständige (Landes-) Behörde, dass die Einfuhr des betreffenden Stoffes im öffentlichen Interesse ist, was wiederum bei einem drohenden Versorgungsmangel der Fall sein könnte. Eine einheitliche, für Deutschland insgesamt geltende Anwendung bedeutet dies aber nicht, da es eine Angelegenheit der zuständigen Landesbehörden und zudem eine Entscheidung im Einzelfall ist.

Die Drittländerliste gemäß Art. 111 b der Richtlinie 2001/83/EG, in die Länder aufgenommen werden, die durch die Kommission auf Antrag überprüft worden sind mit dem Ergebnis, dass der Rechtsrahmen des Landes und die entsprechenden Kontrollen und Durchsetzungsmaßnahmen ein mit der Europäischen Union vergleichbares Niveau haben, hilft zumindest zurzeit nicht weiter. Dieses Verfahren wird sich noch Jahre hinziehen und bislang gibt es hierzu lediglich Vorschläge.

Bereits vor dem Inkrafttreten des 2. AMG-Änderungsgesetzes wurde auf die Schwierigkeiten und die Gefahr von Lieferengpässen hingewiesen und Änderungsvorschläge gemacht. Diese betrafen z. B. die Auslegung, dass auch ein Zertifikat nach Nr. 2 des § 72 a Abs. 1 AMG (GMP-Zertifikat der hiesigen Behörde) ausreichend ist bzw. die Alternativen des § 72 a Abs. 1 AMG gleichwertig sind. Problematisch an dieser Stelle ist allerdings § 72 a Abs. 1 Satz 2 AMG, der feststellt, dass die Alternativen Nr. 2 und Nr. 3 nur jeweils infrage kommen, wenn ein Zertifikat nach Nr. 1 nicht vorgelegt werden kann. Des Weiteren ist sowohl von deutscher als auch von europäischer Seite der Vorstoß, die Umsetzungsfrist – 3. Juli 2013 – um mindestens ein Jahr nach hinten zu verschieben, mehrfach zurückgewiesen worden. Die Problematik wird andererseits sowohl auf EU-Ebene als auch auf nationaler Ebene im BMG gesehen. Dies hat dazu geführt, dass neben der dargestellten Abfrage durch die Kommission und diversen Gesprächen mit den Arzneimittelverbänden nunmehr über die Mitgliedsländer, organisiert in Deutschland durch das BMG, konkrete Daten abgefragt werden, in welchen Ländern, in welcher Größenordnung bei wie vielen Unternehmen Arzneimittel und Wirkstoffe bezogen werden. In einer Verbändebesprechung im BMG am 30. Oktober 2012 konnten die anstehenden Probleme und Lösungsmöglichkeiten dem BMG vorgetragen werden, wie beispielsweise eine Änderung der Formulierung des Templates der "written confirmation", um dort auch eine Bezugnahme auf WHO-GMP-Zertifikate vorzunehmen, aber auch die weiteren Alternativen des § 72 a Abs. 1 AMG, die Nr. 2 – Bestätigung der nationalen Behörden (EU-GMP-Zertifikat) – oder auch die Bezugnahme auf die Nr. 3, wonach die zuständige nationale Behörde bestätigen kann, dass die Einfuhr im öffentlichen Interesse liegt, diskutiert wurden. Die Entscheidung der zuständigen Behörden ist allerdings jeweils eine Einzelfallentscheidung und auch Angelegenheit der Bundesländer bzw. der jeweiligen Überwachungsbehörden, so dass das BMG hier keine Einflussmöglichkeiten hat. In jedem Fall ist aber eine akzeptable Qualität der Wirkstoffe Voraussetzung, um dem Sicherheitsaspekt entsprechend Rechnung zu tragen. Inspektionsergebnisse anderer Behörden sind in diesem Zusammenhang hilfreich.

Derzeit werden weitere Gespräche auf nationaler und europäischer Ebene geführt, die Daten und Informationen gesammelt, um anschließend die Möglichkeit der Nutzung von bestehenden Ausnahmeregelungen zu diskutieren und in der Praxis anzuwenden.


Autorin

Andrea Schmitz

Justitiarin / Rechtsanwältin

Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e. V.

Ubierstr. 71 – 73 | 53173 Bonn



DAZ 2013, Nr. 5, S. 62

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