Die Seite 3

Ein tödliches Versehen?

Dr. Doris Uhl,
Chefredakteurin der DAZ

Nachrichten aus Indien zum Umgang mit Frauen lassen uns in der westlichen Welt regelmäßig erschauern. Sicher denken viele jetzt an brutale Vergewaltigungen. Doch in den letzten Tagen machte das Thema „Massensterilisation“ Schlagzeilen. Indien muss wie China sein Bevölkerungswachstum unter Kontrolle halten. Doch anders als in China gibt es in Indien keine vorgeschriebene Kinderzahl, stattdessen werden Frauen vom Staat mit Prämien belohnt, wenn sie sich einer Tubenligatur unterziehen. Über das ganze Land verteilt gibt es sogenannte Sterilisierungscamps, immer wieder werden hier mehr als 100 Sterilisationen pro Tag vorgenommen – auch wenn nur 30 pro Arzt und Tag erlaubt sind – und immer wieder kommt es zu Zwischenfällen. 2013 sorgte ein Bericht über Dutzende bewusstlos auf einem Feld abgelegte Frauen für Entsetzen: Sie waren zuvor in einer Klinik sterilisiert worden. Jetzt gibt es einen neuen Zwischenfall: 14 Frauen sind nach einer Massensterilisation gestorben, über 100 schwer erkrankt. Sie zeigten Symptome einer Vergiftung mit Zinkphosphid, einem Fraßgift für Ratten und andere Nagetiere. Im Rahmen der Behandlung hatten sie ein Ciprofloxacin-haltiges Antibiotikum und ein Schmerzmittel erhalten, in Medikamenten-Stichproben wurde Zinkphosphid nachgewiesen (s. S. 31).

Doch wie gelangte das Rattengift in die Arzneimittel? War es bewusst den Medikamenten zugesetzt worden? Kaum vorstellbar! Aber Ratten und Ungeziefer sind gerade in Ländern wie Indien ein großes Problem. Vielleicht erinnern Sie sich noch an den Bericht zu toten Insekten und Fröschen neben Sterilanlagen (DAZ 2014, Nr. 37, S. 14). Gefunden wurden sie von Inspektoren der US-Arzneimittelbehörde FDA bei einem indischen Hersteller, der sterile Arzneimittel für den amerikanischen Markt hergestellt hat. Wenn ein Hersteller solche Probleme hat und sie erfolgreich bekämpfen will, müssen Fraßgifte und Insektizide her. Nicht auszuschließen, dass das Rattengift aus Versehen in die Medikamente gelangt ist.

Wenn so etwas jedoch möglich ist, dann müssen auch wir hellhörig werden. Bei uns kommen inzwischen vier von fünf Wirkstoffen aus Indien oder China. Die Überwachung der Betriebe in diesen Ländern ist nur stichprobenweise möglich, Hersteller müssen auf Qualitätskontrollen bei der Einfuhr setzen. Doch auch diese stoßen an ihre Grenzen. Finden kann man nur das, wonach man sucht und wofür auch die analytischen Methoden vorhanden sind. Das hat uns seinerzeit der Heparinskandal deutlich vor Augen geführt. Der Zusatz von übersulfatiertem Chondroitinsulfat durch chinesische Hersteller war mit den herkömmlichen Methoden nicht festzustellen. Qualität lässt sich eben nicht in ein Produkt hereinkontrollieren. Am Ende bleibt wieder einmal die bittere Erkenntnis, dass der Preisdruck im Arzneimittelbereich und die Verlagerung der Produktion in Schwellenländer unsere Arzneimittelversorgung nicht sicherer gemacht haben. Vor Fälschungen und Panschereien sind wir nicht gefeit – und auch nicht vor unter Umständen tödlichen Versehen.

Dr. Doris Uhl

PS: Laut New York Times hat die US-amerikanische FDA einen Importstopp für in Indien produzierte Ciprofloxacin-haltige Generika verfügt. Begründung: Sicherheitsbedenken.

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