Die Seite 3

„Fernabsatz“

Dr. Benjamin Wessinger, Chefredakteur der DAZ

„Das einzige, was uns trennt, ist die gemeinsame Sprache“, dieses Karl Kraus zugeschriebene Bonmot zitierte Max Wellan, der Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, auf dem Podium des Pharmacon in Davos (s. auch Bericht S. 26 und AZ 2014, Nr. 7). Ein sehr schönes Beispiel hatte er auch parat: in Deutschland sei immer die Rede vom Arzneimittel-„Versand“, in Österreich spreche man lieber vom „Fernabsatz“ – denn darum gehe es, um den Absatz, sprich Verkauf. Und dann auch noch ohne die Nähe, die sonst die Beziehung des Apothekers zum Patienten präge – deswegen „Fern-Absatz“. (Er nannte noch ein zweites Beispiel, den Handverkaufstisch. Der heiße in Österreich „Tara“. Das sei ihm, Wellan, wichtig. Er sei schließlich Apotheker, kein Verkäufer.)

Der Fernabsatz von Arzneimitteln, den Wellan zu Beginn der Podiumsdiskussion über die Zukunft der Apotheke als Beispiel anbrachte, spielte gegen Ende der Veranstaltung nochmal eine Rolle. Ein Apotheker aus dem Auditorium hatte sich empört, dass es in der deutschen Diskussion inzwischen „No-Gos“ gebe, Themen, über die überhaupt nicht mehr gesprochen werde, da sie als unabänderlich dargestellt würden. Der Bürokratismus sei so ein Thema, die Rabattverträge sowieso und eben auch der Versandhandel. „Darüber reden wir nicht mehr, das kriegen wir eh nicht mehr weg“, sei dabei die Haltung.

Da erzählte Wellan, obwohl eher sein deutscher Kollege Kiefer das Ziel des apothekerlichen Ärgers gewesen sein dürfte, wie er letzthin in Wien ins Archiv gegangen sei und in den schönen, ledergebundenen Bänden über die Geschichte der österreichischen Apotheker geblättert habe. Dabei sei ihm aufgefallen, dass es schon zu Zeiten Maria Theresias, also im 18. Jahrhundert, Bestrebungen gegeben habe, das damals bereits gültige Verbot des Fernabsatzes von Arzneimitteln aufzuheben. Das sei dann auch gelungen und später auch immer wieder einmal – und jedesmal sei es wieder rückgängig gemacht worden. Zu groß seien eben die Risiken des Fernabsatzes. Er habe also durchaus Hoffnung, dass in Österreich und Deutschland in zwanzig oder dreißig Jahren der Arzneimittel-Fernabsatz wieder verboten sein werde.

Dieses Beispiel sollte uns Mut machen, uns nicht mit den Gegebenheiten abzufinden, wenn wir sie für grundlegend falsch oder gar unerträglich halten. Die Lieferengpässe beispielsweise zeigen zur Zeit eindrücklich, welche Probleme Rabattverträge verursachen können. Von verschiedener Seite wird bereits eine „Fortentwicklung“ dieses Instruments gefordert, die Verträge, die der Krankenversicherung Milliarden einsparen, werden plötzlich auch außerhalb der Apothekerschaft kritisch diskutiert.

Entscheidungen können revidiert werden, Gesetze lassen sich ändern – auch europäische. Das mag im Einzelnen langwierig und mühsam sein, aber es ist nicht von vornherein vergeblich. Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn wir die Dinge beim Namen nennen würden: Deregulierung statt Liberalisierung, Zwangsrabatt statt Kassenabschlag, Fernabsatz statt Versand. Wir müssen ja nicht gleich den Handverkaufstisch durch die Tara ersetzen.

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