Arzneimittel und Therapie

Verwirrte besser schützen

Nicht-pharmakologische Maßnahmen können Delire effektiv verhindern

Akute Verwirrtheitszustände können negative Folgen wie beispielsweise Stürze oder sogar Klinikeinweisungen haben, doch lassen sie sich häufig bereits mit nicht-pharmakologischen Maßnahmen verhindern. Nachgewiesen wurde dies im Rahmen einer Metaanalyse mit im Durchschnitt 80 Jahre alten Patienten. Durch spezifische Präventionsprogramme sank die Häufigkeit von Delirien um mehr als die Hälfte, die Sturzhäufigkeit nahm um etwa zwei Drittel ab.

In einer Ausgabe der amerikanischen Fachzeitschrift JAMA Internal Medicine werteten die Autoren 14 qualitativ hohe Studien mit insgesamt 4267 Teilnehmern aus, die auf zwölf verschiedenen internistischen und chirurgischen Stationen behandelt worden waren. Es zeigte sich, dass bereits einfache Interventionen genügten, um die Inzidenz von Delirien im Vergleich zu den Kontroll-Patienten um 53% zu reduzieren (Odds Ratio, OR, 0,47; 95% KI 0,38 bis 0,58). Da akute Verwirrtheitszustände zu den wichtigsten prädisponierenden Faktoren für Stürze zählen, kam es erwartungsgemäß auch zu einem Rückgang derselben um etwa zwei Drittel (OR 0,38; 0,25 bis 0,60). Darüber hinaus verkürzte sich die Liegezeit auf der Station, wenn auch nur geringfügig (-0,16 Tage, −0,97 bis 0,64). Vier Studien mit insgesamt 1176 Patienten hatten die Notwendigkeit einer Langzeitpflege nach der Klinikentlassung untersucht und kamen zu dem Ergebnis, dass diese bei den speziell betreuten Interventionspatienten um 5% niedriger war (OR 0,95; 0,71 bis 1,26), jedoch ohne statistische Signifikanz.

Tab. 1: Delir oder Demenz? Die Demenz ist die wichtigste Differenzialdiagnose zum Delir. Problematisch ist vor allem die Überlagerung einer bereits bestehenden Demenz durch einen Verwirrtheitszustand. Bei den verschiedenen Demenzformen (z. B. vaskuläre, Alzheimer-Demenz) können die Merkmale unterschiedlich ausgeprägt sein. (Auswahl aus [3])
Merkmal Delir Demenz
Beginn akut, oft nachts meist schleichend
Verlauf fluktuierend, nachts ­Verschlechterung meist relativ stabil über den Tag
Dauer Stunden bis Wochen Monate bis Jahre
Bewusstsein reduziert, getrübt klar, in fortgeschrittenen Stadien auch reduziert
Aufmerksamkeit reduziert normal, in fortgeschrit-tenen Stadien ebenfalls r­eduziert
Gedächtnis Kurz- und Langzeit­gedächtnis gestört, ggf. auch Altgedächtnis Neu- und Altgedächtnis gestört (unterschiedliche Ausprägung)
Sprache stockend, langsam oder schnell häufig Wortfindungs­störungen
Schlaf-Wach-Rhythmus immer gestört ggf. unterbrochener Schlaf
körperliche Symptome meist vorhanden (Tremor!) meist keine

Effektive Maßnahmen gibt es

Zu den Präventionsprogrammen, die in den einzelnen Studien eingesetzt wurden, zählte beispielsweise HELP (Hospital Elder Life Program), das Maßnahmen zur Reorientierung, frühen Mobilisierung, ausreichenden Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Verhinderung von Schlafproblemen, den adäquaten Einsatz von Hörgeräten und Sehhilfen umfasst. Nach Ansicht der Autoren sind solche nicht-pharmakologischen Interventionsprogramme durchaus geeignet, die Inzidenz von Delirien zu verringern und Stürze zu vermeiden – wenn sie in den Kliniken dann auch tatsächlich eingesetzt werden.

Delir-Prävention

Nicht-pharmakologische Möglichkeiten der Delir-Prävention, die auch für den häuslichen Bereich und die Pflege zu Hause geeignet sind:

  • mehrmals tägliche kognitive Anregung durch geistig stimulierende Aktivitäten (z.B. Kreuzworträtsel)
  • Reorientierung (Informationen über Aufenthaltsort und Uhrzeit vermitteln)
  • regelmäßige Bewegung/Mobilisation
  • Teppiche mit Antirutschmatten oder Ähnlichem ausstatten
  • bei eingeschränktem Sehvermögen: Visuskorrektur durch Brille, die möglichst schon vor dem Aufstehen aufgezogen wird, zusätzlich spezielle Ausstattung (z. B. große beleuchtete Telefon-Tastatur, Bücher mit Großschrift)
  • bei Hörminderung: regelmäßige Reinigung und Kontrolle des Hörgerätes (gegebenenfalls Batterie wechseln!), Hörgerät bereits vor dem Aufstehen einsetzen
  • wegen Dehydratations-Gefahr ausreichende Flüssigkeitszufuhr; dazu morgens Trinkflaschen oder Kannen vorbereiten, die im Tagesverlauf ausgetrunken werden sollten
  • bei Schlafproblemen zunächst Verbesserung der Schlafhygiene versuchen, z. B. Geräusch-Reduktion, Entspannungsmusik, Rückenmassage, dazu Schlaftee oder warme Milch mit Honig

Die Implementierungs-Lücke schließen

Nach Ansicht eines Kommentators der Studie muss nach dieser Metaanalyse nun nicht mehr darüber nachgedacht werden, welche nicht-pharmakologischen Maßnahmen zur Deliriums- und Sturzprävention eingesetzt werden könnten und ob sie tatsächlich hilfreich sind. Vielmehr komme es jetzt darauf an, die Kliniken und anderen Pflegeanbieter zu überzeugen, sie tatsächlich zu implementieren. Denn Untersuchungen zufolge kommen in den USA Programme zur Prävention von Delirien in den meisten Kliniken überhaupt nicht zum Einsatz bzw. sind unzureichend implementiert. |

Quelle

[1] Hshieh TT et al. Effectiveness of multicomponent nonpharmacological delirium interventions. A meta-analysis. JAMA Intern Med (2015), online vorab publiziert am 2. Februar 2015, doi:10.1001/jamainternmed.2014.7779

[2] Greysen SR. Delirium and the „Know-Do“ gap in acute care for elders. JAMA Intern Med (2015), online vorab publiziert am 2. Februar 2015, doi:10.1001/jamainternmed.2014.7786

[3] Faust V. Akute Verwirrtheitszustände (Delir) – wissenschaftlich gesehen. www.psychosoziale-gesundheit.net, letzter Abruf am 23. Februar 2015

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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