Gesundheitspolitik

Ein Fall für Karlsruhe

BERLIN (ks) | Der Apotheker, dem die AOK Hessen onkologische Zubereitungen nicht bezahlen wollte, weil er nicht ihr Vertagspartner war, will nach seiner Niederlage vor dem Bundessozialgericht jetzt Verfassungsbeschwerde einlegen.

Die AOK Hessen hatte 2013 nach einer Ausschreibung Verträge mit zwölf Apotheken geschlossen: Diese sollten fortan die Versorgung von Krebspatienten mit in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus onkologischen Fertigarzneimitteln exklusiv übernehmen. Onkologische Praxen wurden von der Kasse informiert, nur noch bei bezuschlagten Apotheken zu bestellen. Auch Apotheken wurden darauf hingewiesen, dass nur noch solche Apotheken für onkologische Zubereitungen vergütet werden, die in der Ausschreibung einen Zuschlag erhalten haben.

Dies sorgte für viel Kritik. Unter anderem der Apotheker, dessen Fall vor dem BSG landete, wiedersetzte sich und belieferte eine onkologische Praxis wie gewohnt weiter – auf rund 70.500 Euro belief sich die Summe für die Zubereitungen, als die AOK retaxierte. Nachdem der Apotheker ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren eingeleitet hatte, einigte man sich darauf, dass er das Geld dann wieder ausgezahlt bekam. Nun wollte er gerichtlich festgestellt wissen, dass die AOK Hessen kein Recht hatte, die Summe erneut in voller Höhe zu retaxieren.

Ernüchterung nach Sieg in erster Instanz

In erster Instanz sah es noch gut aus: Das Sozialgericht Darmstadt bejahte den Vergütungsanspruch, weil die Versicherten ihr Apothekenwahlrecht wirksam zugunsten des klagenden Apothekers ausgeübt hätten. Das Gericht ließ die Sprungrevision zum BSG zu – und dies entschied am 25. November 2015 ganz anders (Az.: B 3 KR 344/14). Jetzt liegen die Urteilsgründe vor. Darin lassen die Richter keinen Zweifel: Schließt eine Krankenkasse mit einer Apotheke in einem bestimmten Gebiet einen Exklusivvertrag, kann in diesem Gebiet die Versorgung ihrer Versicherten nur noch durch diese Apotheke erfolgen. Das BSG betont, dass der Rechtsgrundlage für die Verträge (§ 129 Abs. 5 Satz 3 SGB V) das Wirtschaftlichkeitsgebot, das sich durch das gesamte GKV-Recht ziehe, immanent sei. Der Vertragspartner gewähre der Kasse danach Abschläge – könne die Kasse ihm nicht einen gewissen Leistungsumfang garantieren, habe er keinen Anreiz, einen solchen Vertrag abzuschließen. Auch das Recht des Versicherten, seine Apotheke frei zu wählen, sei notwendigerweise auf die vertraglich gebundenen Apotheken beschränkt, soweit das Gesetz den Abschluss von Einzelverträgen vorsehe. „Insoweit wird nicht nur in diesem Zusammenhang, sondern regelmäßig dem Wirtschaftlichkeitsgebot der Vorrang vor dem Versichertenwahlrecht eingeräumt“, heißt es im Urteil.

Der betroffene Apotheker will das Urteil nicht auf sich sitzen lassen. Wie seine Anwälte – Ulrich Grau und Constanze Püschel von der Berliner Kanzlei Dierks & Bohle – bestätigen, ist der Gang zum Bundesverfassungsgericht geplant. Nun muss es schnell gehen. Eine Verfassungsbeschwerde muss binnen vier Wochen nach Vorliegen der Urteilsgründe eingereicht werden. Diese Arbeit macht sich jetzt Prof. Dr. Thorsten Kingreen vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sozialrecht und Gesundheitsrecht an der Uni Regensburg – mit Zuarbeit der Berliner Anwälte. |

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