Arzneimittel und Therapie

Den unvorstellbaren Mangel verringern

Studien zum Einsatz von Antibiotika bei unterernährten afrikanischen Kindern

Marasmus, Kwashiorkor – das sind Bezeichnungen für Krankheiten, die hierzulande recht unbekannt sein dürften. In unterentwickelten Regionen Südasiens und Afrikas versterben daran täglich Tausende von Kindern. Doch trotz der Bereitstellung hochkalorischer Nahrung durch Hilfsorganisationen können viele von ihnen nicht gerettet werden. Daher wurde in den letzten Jahren im Rahmen von Studien untersucht, ob eine zusätzliche Gabe von Antibiotika die Prognose der Kinder verbessern kann – mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Einem kürzlich veröffentlichten Bericht der unabhängigen Kinderrechtsorganisation „Save the Children“ zufolge sterben jedes Jahr 3,1 Millionen Kinder an Unterernährung. Fast ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren leidet unter Wachstumsverzögerungen, wobei Kinder in ländlichen Gegenden besonders häufig davon betroffen sind.

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Mangelernährte Kinder benötigen Nahrung von spezieller Zusammensetzung. Das „Project Peanut Butter“ versucht, mit Fertignahrung auf Erdnussbutter-Basis zu helfen.

Hochkalorisches Spezialprodukt

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte sich bereits vor fast zehn Jahren dafür stark gemacht, betroffene Kinder – keine weiteren Komplikationen vorausgesetzt – nicht in Krankenhäusern, sondern in ihrem häus­lichen Umfeld oder dessen Nähe zu behandeln. Erfahrungen von Hilfsorganisationen zeigen, dass diese Empfehlung sich leichter umsetzen lässt, wenn eine therapeutische Fertignahrung auf Erdnussbutter-Basis (Ready-to-Use Therapeutic Food, RUTF) verfügbar ist. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Erdnuss­paste, Milchpulver, Öl, Zucker, Vitaminen und Spurenelementen, die vor Ort hergestellt werden kann und aufgrund des fehlenden Wassergehalts zudem nicht leicht verderblich ist. Dennoch sterben auch unter RUTF noch etwa fünf bis zehn Prozent der mangelernährten Kinder. Als eine mögliche Ursache sehen Kinderärzte die häufigen Darminfektionen, unter denen diese leiden. Eine Sanierung des Darms könnte den Erfolg der Ernährungstherapie steigern. Diese Hypothese wurde durch Tierversuche und Untersuchungen mit afrikanischen Zwillingspärchen, in denen nur ein Geschwister an Kwashiorkor erkrankt war, nahe­gelegt.

RUTF und Antibiotika

Eine Arbeitsgruppe um den amerikanischen Kinderarzt Dr. Mark Manary, der ein RUTF auf Erdnussbasis mitentwickelt hatte, untersuchte 2013 in einer dreiarmigen Studie mit 2767 malawinischen Kindern im Alter von sechs bis 59 Monaten, ob eine einwöchige zusätzliche Behandlung mit Amoxicillin oder dem Cephalosporin Cefdinir das Outcome der Ernährungstherapie verbessern kann. Unter alleiniger RUTF erholten sich 85,1% der Kinder von der Mangelernährung, im Amoxicillin-Arm 88,7% und im Cefdinir-Arm 90,9%. Die Sterberate lag unter Amoxicillin bei 4,8%, unter Cefdinir bei 4,1%, bei alleiniger Ernährungstherapie jedoch bei 7,4%.

Kwashiorkor und Marasmus

Kwashiorkor bedeutet in einem ghanaischen Dialekt „Die Krankheit des zweiten Kindes“. Stillt eine Mutter nach der Geburt ihres zweiten Kindes das erste ab, wird dieses fortan mit der familientypischen Kost (meist Reis und Mais) ernährt, die zwar kohlenhydratreich, aber proteinarm ist. Daraus resultiert ein Proteinmangel, der äußerlich vor allem durch Ödeme („Hungerbauch“) sichtbar wird.

Während Kwashiorkor besonders häufig bei Säuglingen und Kleinkindern in Entwicklungsländern vorkommt, tritt Marasmus (griech.: austrocknen, dahinschwinden) in allen Altersgruppen bei allgemeiner Unterversorgung mit Eiweißen, Fetten und Kohlenhydraten auf. Es kommt zum Abbau aller Muskeln und Fettreserven, sodass die Betroffenen nur noch aus „Haut und Knochen“ zu bestehen scheinen. Als Folge ist zudem die Verdauung von Nährstoffen gestört.

Marasmus und Kwashiorkor können auch kombiniert auftreten.

Studie findet keine Vorteile

Eine im Februar dieses Jahres veröffentlichte Studie mit 2399 unterernährten Kindern gleichen Alters in Niger konnte die Erfolge jener Studie nicht bestätigen. Die jungen Patienten hatten über sieben Tage zusätzlich zur Ernährungstherapie Amoxicillin erhalten. In der Antibiotika-Gruppe erholten sich 65,9% der Kinder von der Mangelernährung, in der Placebogruppe 62,7%. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Auch weitere Analysen zeigten keine statistisch signifikanten Vorteile der Antibiose. Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass die routinemäßige Gabe von Antibiotika bei ansonsten komplikationsloser schwerer Malnutrition nicht notwendig sei. Eine Beschränkung des Antibiotika-Einsatzes sei darüber hinaus auch aus Kostenerwägungen sowie zur Verringerung des Resistenz­risikos sinnvoll.

Weitere Studien nötig

Die gegensätzlichen Ergebnisse der beiden Studien haben Diskussionen ausgelöst. Timothy M. Rawson und Mitarbeiter vom Imperial College London sprechen sich beispielsweise in einem Leserbrief in der aktuellen Ausgabe des New England Journal of Medicine deutlich gegen eine routinemäßige Verabreichung von Antibiotika bei unterernährten Kindern aus, um die weitere Ausbreitung von Resistenzen zu verhindern. Zudem sei Amoxicillin in der Liste essenzieller Medikamente für Kinder der WHO enthalten. Diese Aufstellung beinhaltet eine Reihe von wirksamen, verträglichen und kosteneffektiven Substanzen, die die WHO für die gesundheitliche Basisversorgung als notwendig erachtet. Nach Ansicht von Rawson et al. ist es von großer Bedeutung, die Effektivität dieses und weiterer Antibiotika auch für zukünftige Generationen zu erhalten. Eine massenhafte Verabreichung von Antibiotika in der Kindheit sei auch deshalb abzulehnen, weil nachgewiesen worden ist, dass Antibiotika das intestinale Mikrobiom langanhaltend verändern können – mit möglicherweise negativen Folgen.

Dagegen geben zwei Kommentatoren der Mayo Clinic in Rochester (Minnesota, USA) unter anderem zu bedenken, dass es sich bei der Studie aus 2013 um eine Population mit höherem Risiko – auch bezüglich der Rate an HIV-Infektionen – gehandelt hat. Sie empfehlen weitere Untersuchungen um differenzieren zu können, welche Kinder unter welchen Bedingungen bei Mangelernährung von zusätzlichen Antibio­tika-Gaben profitieren können. |

Quelle

Mangelernährung beenden. Jedes Kind zählt, http://www.savethechildren.de (Zugriff am 20. Juli 2016)

Community-based management of severe acute malnutrition. A Joint Statement by the World Health Organization, the World Food Programme, the United Nations, Stand Mai 2007, verfügbar unter www.who.int

Trehan I et al. Antibiotics as part of the management of severe acute malnutrition. N Engl J Med 2013;368:425–435

Antibiotika bei starker Mangelernährung lebensrettend. Deutsches Ärzteblatt online, Meldung vom 1. Februar 2013

Isanaka S et al. Routine amoxicillin for uncomplicated severe acute malnutrition in children. N Engl J Med 2016;374:444-453

Korrespondenzen im N Engl J Med 2016, online veröffentlicht am 14. Juli 2016

Warring SK, Fischer PR. Antibiotic use in treatment of children with uncomplicated severe acute malnutrition. Kommentar vom 1. April 1, 2016, http://www.ahcmedia.com/articles/137573-antibiotic-use-in-treatment-of-children-with-uncomplicated-severe-acute-malnutrition (Zugriff am 21. Juli 2016)

WHO Model List of Essential Medicines for Children. 5th Edition April 2015, letztes Update August 2015, verfügbar unter www.who.int

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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