Arzneimittel und Therapie

„Maßgeschneidert einsetzen!“

Ein Gastkommentar von Dr. med. Christian Fechtrup, Münster

Dr. med.Christian Fechtrup

Mit der Rolle der Betablocker in der Kardiologie beschäftigte sich eine „Task Force on Beta-Blockers“ der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie. Sie empfiehlt unter anderem den lebenslangen Gebrauch von Betablockern für alle Patienten nach Myokardinfarkt. Als Therapieziele werden angegeben: „Lebensverlängerung“, Prävention des Re-Infarktes, Prävention des plötzlichen Herztodes und Prävention/Behandlung späterer ventrikulärer Arrhythmien. Das war im Jahr 2004.

Seither haben sich wesent­liche Entwicklungen ergeben. Die verbesserte Primärprävention der koronaren Herzkrankheit und ihrer Komplikationen hat zu tendenziell sinkenden Infarkt-Raten geführt. Der Begriff des Myokardinfarktes wurde schärfer definiert, insbesondere mit Blick auf verfeinerte laborchemische Nachweismethoden eines myokardialen Zellschadens. Darüber hinaus haben sich die Behandlungsmöglichkeiten erheblich verändert: Vor allem durch die flächendeckend verfügbare, frühzeitig interventionelle Behandlung mittels Angioplastie/Stent-Implantation gelingt in zunehmendem Maß eine Senkung der Mortalität des akuten Infarktes sowie eine Vermeidung oder Minderung der Folgeschäden am Myokard. Somit unterscheidet sich der heutige Postinfarkt-Patient ganz wesentlich von dem Patienten der Jahre bis 2004. Gleichzeitig haben sich die Ansprüche an die Qualität und Aussagekraft von klinischen Studien grundlegend geändert.

Diese Überlegungen führen insgesamt dazu, dass die Übertragbarkeit älterer Studienergebnisse, die ursprünglich zur Empfehlung der lebenslangen Gabe von Betablockern geführt hatten, hinterfragt wird.

In den Leitlinien zum Myokardinfarkt mit ST-Hebung (STEMI) aus dem Jahr 2012 wird hingewiesen, dass der Nutzen der primären Stent-Implantation Einfluss auf die Übertragbarkeit von Studien haben kann. Von einer Gültigkeit der Daten sei jedoch weiterhin auszugehen. Die Leitlinie zum Myokardinfarkt ohne ST-Hebung (NSTEMI) aus dem Jahr 2016 empfiehlt Betablocker bei Patienten mit einer Ejektionsfraktion (EF) des linken Ventrikels (LV) von unter 40% (Evidenz I A) und vermeidet eine Festlegung für die Patienten mit besser erhaltener LV-Funktion. Unter „Lücken in der Evidenz“ wird ausdrücklich angeführt, dass zur Rolle der Betablocker bei Patienten mit NSTEMI und normaler sowie nur gering eingeschränkter LV-Funktion weitere Studien erforderlich sind.

In dieser Situation leistet die aktuelle Kohortenstudie von Dondo et al. einen wichtigen Beitrag. Hierin lässt sich zwar für das gesamte Kollektiv eine geringere Mortalität nach Gabe von Betablockern nachweisen (4,9% vs. 11,2%), dieser Effekt erklärt sich jedoch statistisch ausschließlich durch die reduzierte LV-Funktion, denn nach Korrektur verbleiben keine Effekte.

Zweifellos wird die Studie Auswirkungen auf die künftigen Therapieempfehlungen zur Behandlung von Patienten nach Myokardinfarkt haben. Anstelle der früher schematischen, mitunter überdosierten Verordnung von Betablockern nach Myokardinfarkt wird die individualisierte Therapie treten, bei der zunächst betrachtet wird, ob klinisch eine Herzinsuffizienz und/oder eine Dysfunktion des linken Ventrikels vorliegt. Sind beide Bedingungen nicht erfüllt, wird der Patient weiterhin langfristig mit Acetylsalicylsäure (ASS) bzw. anderen Thrombozytenaggregationshemmern behandelt. Daneben wird die Therapie der Risikofaktoren zur Vermeidung einer Progression im Vordergrund stehen. Dies kann den Verzicht auf Betablocker und eine viel stärker individuell dosierte Einstellung von beispielsweise Blutdruck, Blutfettwerten und Stoffwechsel/Diabetes bedeuten. Andererseits ist bei Nachweis einer Herzinsuffizienz mit reduzierter LV-Funktion die Einstellung auf Betablocker weiterhin fester Bestandteil der Basistherapie.

Wünschenswert wäre grundsätzlich die Neuauflage größerer, zeitgemäß designter Studien, da die heutigen interventionell behandelten Patienten mit Myokardinfarkt ein gänzlich anderes Patientenkollektiv darstellen als die Patienten in „Studien der 1. Generation“. Offene Fragen bestehen dabei nicht nur in Bezug auf Betablocker. Auch mit Blick auf Thrombozytenaggregationshemmer, ACE-Hemmer, lipidsenkende Therapien und andere Aspekte müssen die Kapitel der Infarkt-Therapie und der Sekundärprophylaxe neu geschrieben werden.

Quelle

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Christian Fechtrup
Facharzt für Innere Medizin – Kardiologie/Angiologie, Münster

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