Aus den Ländern

Pharmakotherapie bei Kindern – alte Probleme und neue Konzepte

Fortbildung von DPhG und Apothekerkammer Hamburg

HAMBURG (tmb) | Das 21. gemeinsame Fortbildungsseminar der DPhG-Landesgruppe und der Apothekerkammer Hamburg am 18. Februar trug den Titel „Problem Kind“. Dabei ging es um die Besonderheiten von Kindern in der Pharmakotherapie und die daraus folgenden Herausforderungen für alle pharmazeutischen Disziplinen.

Physiologische Besonderheiten von Kindern

Durch das Seminarprogramm führte Dörte Schröder-Dumke, Apothekerkammer Hamburg, als Moderatorin.

Dr. Dorothee Dartsch, Hamburg, nannte zahlreiche Gründe, weshalb Arzneimitteldosierungen für Kinder nicht einfach aus Erwachsenendosierungen ermittelt werden können. So ist der Wasseranteil ihres Körpers und damit das Verteilungsvolumen für hydrophile Arzneistoffe viel höher. Ihre renale Filtration ist zunächst gering, steigt aber bei kleinen Kindern über die Werte von Erwachsenen und sinkt später wieder ab. Die meisten CYP-­Enzyme sind nach sechs bis zwölf Monaten entwickelt, CYP1A2 ist jedoch erst mit drei Jahren voll aktiv. Auch die Fähigkeit zur Glucuronidierung entwickelt sich erst langsam.

Foto: DAZ/tmb
Referenten und Organisatoren des Fortbildungsseminars in Hamburg (v. l.): Prof. Dr. Elisabeth Stahl-Biskup (Organisatorin), Dr. Dorothee Dartsch, Dr. Wolfgang Kircher, Dörte Schröder-Dumke (Moderatorin), Prof. Dr. Stephanie Läer.

Pharmakodynamische Unterschiede zu Erwachsenen bestehen insbesondere, solange sich das zentrale Nervensystem, das Immunsystem und das Gerinnungssystem noch entwickeln. Die noch nicht funktionsfähige Blut-Hirn-Schranke führt zu unerwünschten zentralen Arzneimittelwirkungen, z. B. bei Antihistaminika der ersten Generation und bei Loperamid. Wenn Arzneistoffe anders als bei Erwachsenen metabolisiert werden, können toxische Metaboliten entstehen, die bei Erwachsenen nicht vorkommen, beispielsweise bei Valproinsäure und Lamotrigin. Außerdem können Arzneistoffe mit hoher Plasmaeiweiß-­Bindung das Bilirubin vom Albumin verdrängen, worauf freies Bilirubin in Kernbereiche des Gehirns eindringen und einen Kernikterus (Bilirubin-­Enzephalopathie) auslösen kann.

Zulassungen für Kinderarzneien

Dartsch erinnerte daran, dass viele Arzneimittel noch immer nicht für Kinder zugelassen sind. Doch bei Off-label-Anwendungen steige das Risiko unerwünschter Wirkungen. Möglicherweise seien diese Kinder kränker, doch es würden dann auch Untersuchungen zur Dosis und zu unerwünschten Effekten fehlen. Außerdem seien dann die jeweils optimierten Arzneiformen nicht in der nötigen ­Dosis verfügbar.

Prof. Dr. Stephanie Läer, Düsseldorf, verwies dazu auf die 2007 erlassene EU-Regelung für Kinderarzneimittel. Seitdem muss für neue Arzneimittel ein pädiatrischer Prüfplan erstellt werden, sofern keine begründete Ausnahme vorliegt. Besonders erfolgreich sei die systematische Durchsicht bereits vorhandener Studien gewesen, die zu 200 Empfehlungen und 20 neuen Indikationen geführt habe. Als ­weniger erfolgreich betrachtet Läer das PUMA-Programm zur Zulassung patentfreier Arzneistoffe in einer exklusiven Darreichungsform für Kinder, das bisher nur zu drei Zulassungen geführt habe.

Grußworte von Kammer und Universität

In seinem Grußwort kritisierte Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen den jüngsten Vorschlag, den Rx-Versand beizu­behalten und Boni auf Rx-Arzneimittel für zwei Jahre auf einen Euro zu begrenzen. Dieser Vorschlag von SPD-Politikern versinnbildliche, dass sie das Problem nicht verstanden hätten, folgerte Siemsen. Denn nach dem EuGH-Urteil würden solche Vorschriften nur deutsche, aber nicht ausländische Apotheken treffen. Außerdem mahnte Siemsen zur Eile, denn es ­gebe bereits erste Zahlen, die zeigen, dass Rezepte von Chronikern in die Niederlande abwandern.

Prof. Dr. Wolfgang Maison, Leiter des Pharmazeutischen Instituts der Universität Hamburg, und Dr. Albrecht ­Sakmann, Vorsitzender der DPhG-­Landesgruppe Hamburg, würdigten in ihren Grußworten die verlässliche Zusammenarbeit mit Dr. Reinhard ­Hanpft, dem ehemaligen Geschäfts­führer der Apothekerkammer Hamburg. Hanpft war nach 26 Jahren in diesem Amt zum Jahreswechsel in den Ruhestand gegangen. Maison erklärte, ­Hanpft habe immer eine Brücke zum Pharmazeutischen Institut gebaut.

Mit Blick auf die Zukunft des Instituts berichtete Maison, dass Prof. Dr. Sebastian Wicha zum 1. April auf die Professur für Klinische Pharmazie berufen worden sei.

EU-Projekt zu Enalapril

Als Beispiel für die Entwicklung kindgerechter Arzneimittel stellte Läer ein EU-Projekt zu Enalapril bei chronischer Herzinsuffizienz vor, an dem sie selbst beteiligt ist. Da Enalapril in wässriger Lösung nicht stabil ist, werden für Kinder, die keine Tabletten schlucken können, orodispersible Minitabletten entwickelt. Läer vermittelte die viel­fältigen Herausforderungen eines solchen Projekts, beispielsweise die Entwicklung der Analytik für minimale Blutmengen und die Suche nach einer angemessenen Dosierung von Enalapril, bei der auch ein aktiver Metabolit zu berücksichtigen ist.

Technologie und Apothekenalltag

In der Diskussion wurde deutlich, dass die frühe Nutzenbewertung und die anschließende Preisbildung zu ­einer großen Hürde für ein solches Arzneimittel werden könnten, weil das deutsche Sozialrecht kaum Instrumente hat, um pharmazeutisch-techno­logische Innovationen zu honorieren. Dazu verwies Dr. Wolfgang Kircher, Peißenberg, auf ausländische Fertigarzneimittel mit Erleichterungen für Kinder, für die im deutschen Festbetragssystem jedoch kein angemessener Preis gebildet werden kann.

Kircher sensibilisierte in seinem Vortrag für die vielen Anwendungsfehler, die durch Probleme im Umgang mit Arzneiformen und durch Missverständnisse entstehen können. Er appellierte an die Apotheker, Trockensäfte in der Apotheke gebrauchsfertig zuzubereiten, wie es praktisch weltweit üblich sei. Dazu sollte in jeder Apotheke eine Liste mit den Zubereitungshinweisen für die gängigen Säfte erstellt werden. Ein großes Problem dabei seien zu geringe Mengen der ersten Wasserportion. Dadurch könne ein hochviskoses Gel entstehen, das sich auch mit der zweiten Wasser­portion nicht mehr dispergieren lasse. Bei Säften, die nach dem Schütteln einen voluminösen und relativ stabilen Schaum bilden, drohe eine erhebliche Unterdosierung. Dagegen biete sich an, orale Dosierpipetten mitzugeben. Mit einem geeigneten Konus könne der Saft ohne Schaum in solche Pipetten aufgezogen werden.

Außerdem sollten die Apotheken die Geschmacksrichtungen der Säfte recherchieren, um Eltern beraten und die Adhärenz der Kinder sichern zu können. Dazu müsse bei mehrmals täglicher Gabe meist nach zehn Tagen der Geschmack gewechselt werden. Insbesondere bei längerer Anwendung sollten Apotheker auch auf Zusatzstoffe wie Parabene achten, riet Kircher, denn diesbezüglich gebe es oft deutliche Unterschiede zwischen wirkstoffgleichen Produkten. Ähnliches gelte für weitere technologische Aspekte wie die Tropfgeschwindigkeit. So seien die niedrigen Kinderdosierungen bei einigen Salbutamol-Inhalationslösungen kaum zuverlässig zu zählen, weil die Zentraltropfer bei korrekter senkrechter Haltung zu schnell tropfen.

Mit der Empfehlung praktikabler Produkte könnten sich Apotheker bei Patienten und Ärzten als Problemlöser profilieren und wertvolle Hilfe leisten, folgerte Kircher und appellierte an die Apotheker, solche Chancen zu nutzen. Dazu biete sich mitunter auch eine Rezeptur an, erklärte Kircher und verwies auf eigene Erfahrungen mit der Herstellung von Schokolade als Applikationshilfe für besondere Fälle. |

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