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Arzneimittel und Therapie
Sildenafil-Studie mit Schwangeren abgebrochen
Vermehrt Todesfälle bei Kindern nach der Geburt
Anlass war die Zwischenauswertung einer niederländischen Studie durch ein unabhängiges „Data Monitoring Committee“. In die randomisierte Doppelblindstudie waren bis dato 183 – geplant waren 354 – Frauen in der 20. bis 30. Schwangerschaftswoche eingeschlossen worden. Bei den Teilnehmerinnen lag eine schwere intrauterine Wachstumsrestriktion des ungeborenen Kindes vor, welche auf plazentare Ursachen zurückgeführt wurde. Zudem bestand ein hohes Risiko für einen perinatalen Kindstod. Nach Einschluss in die Studie hatten die Frauen bis zur Geburt entweder dreimal täglich 25 mg Sildenafil oder ein entsprechendes Placebo erhalten. Nach der Geburt zeigte sich ein deutliches Ungleichgewicht in den beiden Behandlungsgruppen: Von 93 Kindern der Sildenafil-Gruppe verstarben 19, von 90 Kindern in der Placebo-Gruppe hingegen nur neun. Die erhöhte Mortalität wird auf eine Störung der Lungenfunktion bei den Neugeborenen der mit Sildenafil behandelten Mütter zurückgeführt: 17 Kinder der Sildenafil-Gruppe litten an einer pulmonalen Hypertonie, die bei elf Kindern tödlich verlief. In der Placebo-Gruppe waren nur drei Kinder betroffen, keines davon verstarb. Nach Bekanntwerden dieser beunruhigenden Ergebnisse wurde die Studie umgehend abgebrochen.
Wieso eigentlich Sildenafil?
Erhofft hatte man sich von der Intervention eine verbesserte Durchblutung der Plazenta aufgrund der vasodilatativen Wirkung des Phoshphodiesterase(PDE)-5-Hemmers und folglich eine bessere Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des unterentwickelten Fötus. Zugelassen ist Sildenafil, das zur Behandlung der erektilen Dysfunktion und der pulmonalen Hypertonie im Handel ist (Viagra® bzw. Revatio® sowie Generika), zu diesem Zweck jedoch nicht. Dennoch scheint ein Off-label-Einsatz mancherorts gebräuchlich. In der deutschen S2k-Leitlinie „Intrauterine Wachstumsrestriktion“ wird eine Anwendung zur Verbesserung des plazentalen Blutflusses in der Schwangerschaft jedoch nicht empfohlen (s. Kasten).
Intrauterine Wachstumsrestriktion
Fetale Wachstumsstörungen können mütterliche, plazentare und fetale Ursachen haben. Rund fünf bis zehn Prozent der Schwangerschaften sind betroffen. Ein fetales Schätzgewicht oder Geburtsgewicht unterhalb der dritten Perzentile ist mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden. Rund die Hälfte aller Totgeburten steht mit einer intrauterinen Wachstumsretardierung im Zusammenhang. Die Behandlungsmöglichkeiten sind beschränkt: Eine engmaschige Überwachung gilt als wichtige Maßnahme. Innerhalb von sieben Tagen vor einer Geburt in der 24. bis 34. Schwangerschaftswoche (SSW) sollten laut Leitlinie einmalig Corticosteroide eingesetzt werden, um unter anderem das Risiko eines Atemnotsyndroms und des kindlichen Todes zu reduzieren. Bei einer drohenden Frühgeburt vor der 32. SSW kann Magnesiumsulfat zur Neuroprotektion gegeben werden. Neben Sildenafil wurden in der Vergangenheit auch verschiedene andere Maßnahmen, die den Blutfluss zur Plazenta verbessern sollen, untersucht, allerdings hat sich keine der Interventionen (z. B. Erhöhung des Plasmavolumens, niedrigdosierte Acetylsalicylsäure) als sinnvoll erwiesen.
Was war bereits bekannt?
Die niederländische Studie ist eine von insgesamt fünf sogenannten STRIDER-Studien (Sildenafil TheRapy in dismal prognosis early onset fetal growth restriction), deren Ergebnisse im Rahmen einer Metaanalyse zusammengefasst werden sollten. Neben den Niederlanden waren Prüfzentren im Vereinigten Königreich, Neuseeland/Australien, Kanada und Irland involviert. Erste Ergebnisse aus dem Vereinigten Königreich, die 2017 publiziert wurden, lieferten indes keinen großen Anlass zur Sorge: Zwar konnte Sildenafil weder die Dauer der Schwangerschaft verlängern noch das Geburtsgewicht erhöhen oder das Überleben der Kinder verbessern; allerdings schien sich die Gabe des PDE-5-Hemmers auch nicht negativ auszuwirken. Mit Ausnahme einer unerwarteten Beobachtung: Unter Sildenafil wurde häufiger eine Verringerung des Blutflusses durch den Ductus venosus von der Plazenta zum Fötus beobachtet als unter Placebo. Aus einer Reihe an vorherigen Studien zum Einsatz von Sildenafil in der Schwangerschaft in verschiedenen Indikationen hatten sich keine Sicherheitsbedenken ergeben.
Wie kam es zu den Todesfällen?
Wie genau Sildenafil zu den schweren Komplikationen geführt haben könnte, ist derzeit noch unklar. Eine mögliche Erklärung lautet, dass der PDE-5-Hemmer beim Fötus eine Vasodilatation der Lungengefäße bewirkt. Dies könnte konstriktive Signale als Gegenregulation zur Folge haben, um ein vorzeitiges Öffnen der Gefäße zu verhindern. Eine verstärkte Vasokonstriktion bei fehlender vasodilatatorischer Sildenafil-Wirkung nach der Geburt könnte die Lungenfunktion bei den Neugeborenen massiv beeinträchtigt haben. |
Quelle
Mitteilung des Amsterdamer Akademischen Zentrums (AMC) vom 23. Juli 2018. Onderzoek gestaakt met medicijn tegen groeivertraging ongeboren baby; www.amc.nl
The Dutch STRIDER (Sildenafil TheRapy In Dismal Prognosis Early-onset Fetal Growth Restriction). NCT02277132. www.clinicaltrials.gov; Abruf am 26. Juli 2018
Pels A et al. STRIDER (Sildenafil TheRapy in dismal prognosis early onset fetal growth restriction): an international consortium of randomised placebo-controlled trials. BMC Pregnancy Childbirth 2017;17(1):440
Jop de Vrieze. Trials of Viagra to help poorly growing fetuses are halted after infant deaths. Science; doi:10.1126/science.aau8962
S2k-Leitlinie „Intrauterine Wachstumsrestriktion“; AWMF-Registernummer 015 - 080
Sharp A et al. Maternal sildenafil for severe fetal growth restriction (STRIDER): a multicentre, randomised, placebo-controlled, double-blind trial. Lancet Child Adolesc Health 2018;2(2):93-102
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