Rx-Versandverbot

„Strukturen nicht aufgeben!“

Interview mit Prof. Dr. Hilko J. Meyer

tmb | Die Forderung nach dem Rx-Versandverbot wird immer deutlicher vorgetragen. Zugleich ist die Suche nach einem „Plan B“ zum Rx-Versandverbot in vollem Gang. Prof. Dr. Hilko J. Meyer gehörte zu den Ersten, die auf das EuGH-Urteil vom Oktober 2016 mit Beiträgen in der DAZ reagiert hatten. Die DAZ sprach mit Prof. Meyer über den aktuellen Stand der Entwicklung und seine Ratschläge für das wei­tere Vorgehen.
Foto: DAZ/Chris Hartlmaier
Prof. Dr. Hilko J. Meyer

DAZ: Die Probleme um die Gleichpreisigkeit der Rx-Arzneimittel wurden durch das EuGH-Urteil vom Oktober 2016 ausgelöst. Blicken wir auf das Urteil zurück. Welche Lösungsansätze können Sie direkt aus dem Urteil ableiten?

Meyer: Das Gericht stützt seine Entscheidung allein auf die Beweislast­frage. Sein zentrales Argument ist: Deutschland habe mit seinen sehr allgemeinen Aussagen nicht dargelegt, inwiefern die flächendeckende Arzneimittelversorgung auf die Rx-Preisbindung gestützt wird. Die Bundesregierung habe keine Belege dafür vorgelegt, dass ohne die Rx-Preisbindung ein Preiswettbewerb entsteht, der die Versorgung gefährden kann. Es lägen keine hinreichenden Nachweise vor, dass der Rx-Preiswettbewerb nachteilig auf die Wahrnehmung von Gemeinwohlverpflichtungen wirken würde. Der EuGH sagt, das Bestehen einer tatsächlichen Gesundheitsgefahr sei nicht anhand allgemeiner Überlegungen zu beurteilen, sondern auf der Grundlage von relevanten wissenschaftlichen Untersuchungen. Da ein solcher Nachweis der Geeignetheit der Preisbindung fehlt, wurde nach deren Verhältnismäßigkeit gar nicht erst gefragt. Dieser Nachweis für die Rechtfertigung des deutschen Systems kann und muss nachgeliefert werden.

DAZ: Diese verbliebene „Lücke im Tatsächlichen“ wurde zwischenzeitlich aufgegriffen, insbesondere durch das Gutachten von May, Bauer und Dettling. Welche weitere Argumentation erscheint Ihnen nötig?

Meyer: Das Gutachten von May, Bauer und Dettling ist sehr hilfreich. Insbesondere die Szenarien für die Folgen einer Preisfreigabe sind wichtig. Aber es ist vor allem ein Gutachten zu Plan A. Es führt den Nachweis, dass das Rx-Versandverbot eine unverzichtbare Voraussetzung für die Sicherung der Preisbindung und damit für die flächendeckende Versorgung mit Apotheken ist. Die Aussagen zur Geeignetheit der einzelnen Elemente des deutschen Preisbildungssystems bleiben dagegen sehr allgemein. Doch gegenüber dem EuGH muss man sich auf den Wirkmechanismus der Arzneimittelpreisverordnung und das Zusammenspiel mit anderen Elementen des deutschen Preis- und Erstattungssystems einlassen. Man muss das System und seine ökonomischen Effekte zugunsten der Gesundheitsversorgung aufzeigen. Wie so etwas aussehen könnte, zeigt das laufende EuGH-Verfahren zu den Architekten-Honoraren. In der mündlichen Verhandlung am 7. November hat sich die Bundesregierung auf ausführliche wissenschaftliche Gutachten berufen. Demnach sind die Preisregeln der Architekten hinreichend flexibel und geeignet, um die hohe Qualität der Planungsleistungen zu sichern und Haftungsprozessen vorzubeugen. Wir wissen allerdings noch nicht, wie das Verfahren bei den Architekten ausgeht.

DAZ: Was wäre nötig, damit sich der EuGH wieder mit der Arzneimittelpreisbindung befasst, und wie könnte sich ein neues EuGH-Urteil auswirken, wenn die „Lücke im Tatsächlichen“ dabei geschlossen wird?

Meyer: Das hat der Bundesgerichtshof in zwei Urteilen sehr deutlich gemacht. Er hat im Urteil vom 24. November 2016 zum Vorabentscheidungsverfahren der Deutschen Parkinson-Vereinigung kritisiert, dass das OLG Düsseldorf seine Vorlage auf ungenügende Feststellungen gestützt habe. Das Gericht habe keine Fest­stellungen getroffen, ob die flächendeckende Arzneimittelversorgung nur durch die Rx-Preisbindung sichergestellt werden kann. In seinem Urteil vom 26. April 2018 hat der BGH seinen Hinweis wiederholt, dass diese Feststellungen in anderen Verfahren nachgeholt werden können. Dafür müssten die Parteien zur Geeignetheit der Rx-Preisbindung für eine flächendeckende und gleichmäßige Arzneimittel­versorgung vortragen. Wenn das in schlüssiger Weise gelingt, könnte die Sache erneut dem EuGH vorgelegt und der Nachweis geführt werden, dass sich die deutschen Preisregeln im Wertungsspielraum des nationalen Gesetzgebers bewegen. Dafür sind die genannten Fragen zur konkreten Funktionsweise des Arzneimittelpreissystems zu beantworten.

DAZ: Möglicherweise werden bis zu einem neuen EuGH-Urteil noch Jahre vergehen, aber Minister Spahn hat ein neues Gesetz bereits für die nächsten Wochen angekündigt. Was müsste mit Blick auf ein zukünftig mögliches neues EuGH-Urteil berücksichtigt werden, wenn kurzfristig ein Rx-Versandverbot eingeführt wird, wie es unter Minister Gröhe bereits vorbereitet worden war?

Meyer: Der Entwurf von Minister Gröhe sah vor, den Rx-Versand zu verbieten und gleichzeitig in § 78 Abs. 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz die Preisbindung für den grenzüberschreitenden Versand an Verbraucher aufzuheben. Eine solche Aufhebung der Preisbindung hielte ich aus zwei Gründen für zu weitgehend. Wie ich eben erläutert habe, ist noch gar nicht inhaltlich entschieden, dass eine Rx-Preisbindung nicht zu rechtfertigen ist. Die nötigen Nachweise könnten in einem neuen Verfahren geführt werden. Außerdem besteht immer noch die Option, die Rx-Preisbindung analog zur Buchpreisbindung für missbräuchliche Umgehungsgeschäfte aufrechtzuerhalten. Die Idee stützt sich zwar auf eine schon recht alte Rechtsprechung des EuGH und sie ist juristisch umstritten. Ich halte die Gegenargumente aber nicht für schlüssig. Die Wiederherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen bei Aufrechterhaltung der Preisbindung muss europarechts­konform möglich sein, solange es kein einheitliches europäisches Preis- und Erstattungssystem gibt. Jedenfalls sollte man sich diese Möglichkeit nicht verbauen und die Preisbindung für diese spezielle Form des B2C-Reimports im deutschen Gesetz nicht vollständig streichen.

DAZ: Und was sollte mit Blick auf ein späteres neues EuGH-Urteil bei den derzeit diskutierten „Plänen B“ zum Versandverbot bedacht werden?

Meyer: Es sollte unbedingt vermieden werden, die Strukturen des deutschen Preisbildungssystems aufzugeben. Das betrifft ganz besonders jede Öffnung für Bonus-Regelungen. Wenn irgendwelche Boni eingeführt werden, ist die besondere Konstruktion des deutschen Systems durchbrochen. Das zeigt die ungeheure Wettbewerbsdynamik der globalen Internetökonomie, die auf die disruptive Zerstörung ganzer Geschäftsmodelle spekuliert. Einen Weg zurück wird es dann nicht geben.

DAZ: Welchen „Plan B“ halten sie für geeignet, um die Gleichpreisigkeit von Rx-Arzneimitteln zu sichern?

Meyer: Wenn man sich zum Modell der Buchpreisbindung nicht verstehen will, gibt es noch die sozialrechtliche Option. Die EU-Kommission würde dann zwar nicht schlagartig Ruhe geben, denn der EuGH prüft auch Maßnahmen des Sozialrechts auf Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit. Bei gleicher Eingriffsintensität käme er prinzipiell zum gleichen Ergebnis. Doch die doppelte Rechtfertigung mit dem Schutz des Sozial- und Gesundheitswesens wäre möglicherweise einfacher zu führen. Um einen vollwertigen Ersatz für das bestehende System zu schaffen, müsste man jedoch die bestehenden Preisbildungsregeln quasi in das SGB V transplantieren und die funktionalen Strukturen möglichst eins zu eins übertragen. Das würde zunächst nur für die GKV-Versicherten gelten. Dieses Problem hat der Gesetzgeber aber auch bei den Erstattungspreisen für Innovationen überwunden, indem er das AMNOG auf die Privatversicherten und die übrigen Selbstzahler übertragen hat. Damit würde man allerdings die Rolle der GKV stärken und das Preisbildungssystem zum Gegenstand künftiger Gesundheitsreformen machen. Deshalb wäre das für mich erst ein Plan C nach einer Regelung analog zur Buchpreisbindung.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch. |

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