Arzneimittel und Therapie

Volle Fahrt voraus!

Neue Patientenleitlinie zu Diabetes und Straßenverkehr

Diabetes und Autofahren passen nicht zusammen? Passen sie doch! Menschen mit Diabetes brauchen keine Angst vor einer aktiven ­Teilnahme am Straßenverkehr zu haben. Die Deutsche Diabetes Gesell­schaft (DDG) hat kürzlich ­eine neue Patientenleitlinie zum Thema „Diabetes und Straßen­verkehr“ veröffentlicht. Sie richtet sich an Betroffene, Angehörige und das private sowie berufliche Umfeld von Menschen mit Diabetes. Mit der Leitlinie will die DDG mit negativen Vorbehalten aufräumen und über medizinische sowie rechtliche Themen und Fragen aufklären.

Schätzungen zufolge hat in Deutschland jeder zehnte Führerschein­inhaber Diabetes. Trotz mancher Beden­ken ist ein großer Teil der Betrof­fenen durchaus befähigt, sich hinter das Steuer eines Kraftfahrzeugs zu setzen – sei es privat oder beruflich, als Taxi-, Bus- oder LKW-Fahrer. Denn Autofahrer mit Diabetes verursachen nicht unbedingt mehr Unfälle als andere. Dies bestätigen zahlreiche Erhebungen: Es ist nicht die Diabetes-Erkrankung per se, die das Unfall­risiko erhöht. Es sind lediglich Hoch­risikogruppen innerhalb der Diabetes­patienten, für die ein höheres Unfall­risiko besteht. Hierzu zählen Personen mit einer starken Neigung zu Hypoglykämien, Personen mit einer Schlafapnoe oder mit Seh­störungen sowie Personen, bei denen die Diabetes­medikation (insbesondere Sulfonylharnstoffe/Analoga und Insulin) neu eingestellt bzw. umgestellt wurde. Die nun veröffentlichte, in ­patientenverständlicher Sprache verfasste Leitlinie dient als Ergänzung zur S2e-Leitlinie „Diabetes und ­Straßenverkehr“ aus dem Jahr 2017 (AWMF-­Register-Nr. 057-026). In dem 38 Seiten langen Schriftstück (inkl. Anhän­ge) werden unter anderem wichtige Handlungsempfehlungen für Diabetespatienten gegeben. Denn sicher ist das Führen eines Kraftfahrzeugs für Menschen mit Diabetes nur dann, wenn die antidiabetische Therapie sorgfältig erfolgt und insbe­sondere Hypo- aber auch Hyper­glykämien vermieden werden.

Foto: DimaBerlin – stock.adobe.com

Liegen die Blutzuckerspiegel über 90 mg/dl (5,0 mmol/l), kann es losgehen.

Cave Hypoglykämien

In der Leitlinie wird ausführlich beschrieben, wann und wie es zu Unterzuckerungen kommen kann, wie ihnen vorgebeugt werden kann und was im Falle eines Falles zu tun ist. Dabei wird stets ein konkreter Bezug zu den möglichen Auswirkungen auf den Straßenverkehr hergestellt. Zum Beispiel soll vor der Fahrt stets der Blutzuckerspiegel kontrolliert werden. Empfohlen wird ein Wert über 90 mg/dl (5,0 mmol/l). Bei niedrigeren Werten raten die Leitlinienautoren dringend zu einer Kohlenhydratzufuhr – beispielsweise in Form von Traubenzucker oder Fruchtsaft. Dauert die Fahrt einmal länger, ist es ratsam eine regelmäßige Blutzuckerkontrolle alle drei Stunden vorzunehmen. Engmaschigere Kontrollen sind bei Menschen mit höherem Hypoglykämie-­Risiko angeraten, dazu zählen zum Beispiel Schwangere oder Patienten mit akuten Erkrankungen wie Durchfall. Fällt der Blutzuckerspiegel unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l), ist von einer Fahruntüchtigkeit auszugehen. Erst wenn die Anzei­chen einer Hypoglykämie behoben wurden bzw. wenn sich der Blutzucker wieder normalisiert hat, soll die Fahrt fortgeführt werden. Blut­zuckermessgerät und Kohlen­hydrate sollen während der Fahrt ­immer griffbereit liegen.

Die Leitlinie konzentriert sich überwiegend auf das Risiko und die Folgen einer Unterzuckerung. Aber auch Stoffwechselentgleisungen bei Hyperglykämien (Brittle Diabetes, engl. instabiler Diabetes) werden der Vollständigkeit wegen angesprochen. Nach aktu­eller Studienlage lässt sich kein Einfluss des HbA1c-Wertes auf die Fahrtüchtigkeit aufzeigen, gleichbleibend erhöhte Blutzuckerwerte stellen in den meisten Fällen keine Gefahr dar. Unter Umständen können stark erhöhte Blutzuckerwerte jedoch mit Sprachstörungen, Wahrnehmungs­störungen oder Verzögerungen im Reak­tionsvermögen einhergehen und das Unfallrisiko deutlich erhöhen. Bei einer diabetischen Ketoazidose, dem Extremfall der hyperglykämischen Stoffwechselentgleisung, sind die Betrof­fenen nicht mehr in der Lage, ein Fahrzeug zu führen.

Begleiterkrankungen prüfen

Aber nicht nur die Diabeteserkrankung an sich muss sorgfältig überwacht werden, mögliche Folge- und Begleiterkrankungen sind ebenfalls zu berücksichtigen. Eine realistische und individuelle Risikoeinschätzung ist zwingend erforderlich. Ein aus­reichendes Sehvermögen ist das A und O für das Führen eines Kraftfahrzeugs. Gerade bei Menschen mit Diabetes sollen Veränderungen der Netzhaut (diabetische Retinopathie oder Makulo­pathie) sorgfältig und regel­mäßig überprüft werden. Aber auch Neuro­pathien, die im Zuge eines Diabetes entstehen können, werden in der Leitlinie thematisiert. So können sensorische Wahrnehmungs­störungen aufgrund eines diabetischen Fußsyndroms ebenfalls zu erheb­lichen Sicherheitsrisiken bei­tragen – zum Beispiel dann, wenn die Fußpedale nicht mehr richtig ­bedient werden können. Auf weitere häufige Begleiterkrankungen wie das Schlaf-Apnoe-Syndrom, Depres­sionen oder demenzielle Erkran­kungen wird in der Leitlinie ebenfalls eingegangen. Dabei ist den Leitlinienautoren besonders wichtig, dass Patienten hier sehr genau über mögliche Einschränkungen ihrer Fahrtauglichkeit aufgeklärt werden.

Fahrtüchtigkeit erhalten

In manchen Fällen kann es erforderlich sein, eine verkehrsmedizinische Untersuchung vorzunehmen. Dadurch wird geklärt, ob vielleicht eine Fahruntauglichkeit vorliegt. ­Beruhigend für Betroffene: Bei einer solchen Untersuchung werden nicht nur Beeinträchtigungen untersucht, sondern auch potenzielle Kompen­sationsmöglichkeiten besprochen, um die Fahrtüchtigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Sei es durch die Empfehlung von intensiven Patientenschulungen und Trainings oder durch den gezielten Einsatz von ­Hilfsmitteln (z. B. Insu­lin-Pumpen oder Geräten zur konti­nuierlichen Glucose-Messung).

Im Hinblick auf ein verkehrsmedizinisches Gutachten beantwortet die Leitlinie viele wichtige Fragen: Wer darf so ein Gutachten erstellen? Was wird dabei begutachtet? Wonach richtet sich die Entscheidung der Fahr­erlaubnisbehörde? Was kostet so ein Gutachten? Welche gesetzlichen Regelungen liegen hier zugrunde? Betroffene sollten diesbezüglich ausreichend aufgeklärt sein, um gegebenenfalls verkehrsmedizinische Gutachten sinnvoll hinterfragen zu können.

Vernachlässigte Sorgfaltspflicht mit „Closed-loop“ im Eigenbau

Rechtliche Gesichtspunkte werden in der Leitlinie ebenfalls thematisiert. Dadurch sollen Menschen mit Diabetes darin unterstützt werden, ihre Rechte gegenüber Ärzten und Behörden zu wahren. Die Autoren der Leitlinie adressieren unter anderem das sensible Thema Diabetestechnologie und Datenschutz. Die modernen Blutzuckermessgeräte speichern die Messwerte in einem teils immensen Umfang. Im Falle eines Unfalls können diese Daten von den Ermittlungsbehörden als Beweismittel herangezogen und sogar beschlagnahmt werden. Die Daten unterliegen nicht der ärztlichen Schweigepflicht. Auch können Menschen mit Diabetes ein sehr hohes Strafrisiko eingehen, wenn sie mit nicht zweckmäßig verwendeten Insulin-Pumpen oder Syste­men zur kontinuierlichen Glucose-Messung (CGM-Systeme) – dazu zählen auch selbst gebaute „Closed-loop-Systeme“ – einen Unfall provozieren und so eine grobe Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflicht riskieren.

Mit der neuen Patientenleitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ stellt die DDG für Menschen mit Diabetes sinnvolle und wichtige Informationen in verständlicher Sprache zu Verfügung. Das Dokument ist ab sofort auf der Homepage der DDG zum freien Download verfügbar. Geben Sie in die Suchfunktion bei DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de den Webcode F6QC5 ein und Sie gelangen direkt dorthin. In der Leitlinie finden Betroffene und Interessierte auch zusätzliche hilfreiche Links und weiterführende Adressen. |

Literatur

Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Patientenleitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“. 1. Auflage 2019. www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de

Neue DDG Patientenleitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“: Was Diabetespatienten beim Autofahren beachten müssen und welche Rechte sie haben. Pressemitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) vom 20. November 2019. www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de

Apothekerin Dorothée Malonga Makosi, MPH

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