Wirtschaft

Antibiotikaproduktion bleibt in Kundl

Österreichische Regierung investiert 50 Millionen Euro in Tirol

cha | Spätestens seit der Corona-Pandemie dürfte es einen breiten Konsens darüber geben, dass es zu bedrohlichen Lieferengpässen kommen kann, wenn die Herstellung von Wirkstoffen fast vollständig in Asien stattfindet. Dennoch erwog der Schweizer Novartis-Konzern offenbar noch im Mai, die letzte europäische Produktionsstätte von Penicillin im Tiroler Kundl zu schließen. Das konnte nun dank der massiven Einflussnahme durch die österreichische Bundesregierung und 50 Millionen Euro aus der Staatskasse verhindert werden.

„Antibiotika sind das Rückgrat moderner Medizin, und unser Werk in Kundl in Österreich ist die letzte verbliebene voll inte­grierte Antibiotikaproduktion in der westlichen Welt, in der sowohl die Wirkstoffe als auch Fertigformen hergestellt werden“, betont Richard Saynor, CEO der Novartis-Generikadivision Sandoz, in der Pressemeldung zum Verbleib der Produktion in Tirol. Und weiter: „Dieses gemeinsame Investitionsvorhaben soll dazu beitragen, dass dies auch so bleibt.“ Das „gemeinsame Investitionsvorhaben“ umfasst 150 Millionen Euro, mit denen „die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der integrierten Anti­biotikaproduktion in Kundl“ gesichert werden soll. Erzielt werden soll dies durch Verbesserung der Prozesse bei der Her­stellung der aktiven pharmazeutischen Wirkstoffe (APIs) und fertigen Darreichungsformen (FDF).

Sandoz verpflichtet sich für zehn Jahre

Die österreichische Bundesregierung ist daran mit 50 Millionen Euro beteiligt. Im Gegenzug verpflichtet sich Sandoz laut Pressemeldung, „trotz des immensen globalen Preisdrucks – besonders aus China“, die „relevante Penicillin-Wirkstoffproduktion für die nächsten zehn Jahre in Europa zu halten“. Sandoz produziere ausreichend Penicillin in Kundl, um potenziell den ganzen europaweiten Bedarf zu decken.

Foto: imago images/Everett Collection

Österreich und Penicillin Die besondere Verbindung zeigte sich bereits in dem Film „Der dritte Mann“, in dem es um kriminelle Geschäfte mit gestrecktem Penicillin im Wien der Nachkriegszeit geht.

Bundeskanzler Kurz reiste persönlich nach Tirol

Diese Einigung, der noch beide Partner formell zustimmen müssen, ist der vorläufige Schlussstrich unter die seit Längerem kursierenden Gerüchte, dass Novartis die Antibiotikaproduktion in Kundl einstellen wolle. Der Schweizer Konzern hatte sich dabei stets bedeckt gehalten und die Vermutungen weder bestätigt noch dementiert. Im Mai und damit auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie spitzte sich die Situation dann zu. Um das Abwandern der Penicillinproduktion zu verhindern, richtete die österreichische Regierung nach einem Bericht des Fernsehsenders ORF eigens eine Taskforce ein. Eine hochrangige Delegation aus Bundeskanzler Sebastian Kurz, Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (alle ÖVP) suchte in Innsbruck das Gespräch mit Sandoz-CEO Richard Saynor, Novartis Österreich-Chef Michael Kocher und dem Geschäftsführer des Sandoz-Stand­ortes Kundl, Mario Rieser.

Schlüsselindustrien sollen resilienter werden

Offenbar mit Erfolg, wie jetzt bekannt wurde. In ihrer Pressemeldung begründet Wirtschaftsministerin Schramböck das 50-Millionen-Euro-Engagement der Bundesregierung: „Die aktuelle Krise zeigt nicht nur, dass die pharmazeutische Industrie zu den Schlüssel­industrien eines Landes zählt, sondern auch die klare Abhängigkeit bei der Medikamentenversorgung von Asien, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Uns wurde vor Augen geführt, wie schnell wir in Abhängigkeit von anderen Ländern geraten. Daher ist unsere strategische Pflicht, Schlüssel­industrien zu sichern und Österreich resilienter zu machen.“

Antibiotikum kostet so viel wie Kaugummi

Für Novartis-Österreich-Chef Kocher ist das Thema mit dem 50-Millionen-Euro-Investment der österreichischen Regierung aber offenbar nicht beendet, vielmehr macht er auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam: „Wichtig ist nun, dass wir im Dialog bleiben, um nachhaltige Preismodelle für Generika zu gestalten, die eine kostendeckende Produktion in Europa erlauben.“ Dabei übt er Kritik an den jüngsten Überlegungen, eine Wirkstoff-Verschreibung in Österreich einzuführen: „Auf der einen Seite in europäische Produktion zu investieren und auf der anderen Seite den Preisdruck zugunsten von Produzenten aus anderen Teilen der Welt zu erhöhen, ist widersprüchlich.“ Wie schon zuvor fordert er, dass die negative Preisspirale bei Generika durchbrochen werden müsse: „Wir sind bereits an dem Punkt angelangt, dass eine Therapie-Einheit eines potenziell lebensrettenden Antibiotikums so viel kostet wie ein Kaugummi. Das ist nicht nachhaltig.“ |

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