Wirtschaft

Kein Jahr wie jedes andere

Niedrigzinsumfeld und Corona-Krise – die Herausforderungen eines Versorgungswerkes

az | Die seit Jahren andauernde Niedrigzinsphase stellt eine Herausforderung für die Ver­sorgungswerke der Apothekerkammern dar. Hinzu kommt die wirtschaftlich angespannte Lage seit Beginn der Corona-Krise. Das gilt auch für das Versorgungswerk der Apothekerkammer Nordrhein (VANR), das mit mehr als 10.600 Anwartschaftsberechtigten und Rentnern sowie einem verwalteten Vermögen von knapp 2,5 Milliarden Euro zu den großen Apothekerversorgungen in Deutschland zählt. Geschäftsführer Jens Hennes erklärt, wo sich das VANR organisatorisch angepasst und wie es die Achterbahnfahrt an den Weltbörsen zum Vorteil der Mitglieder genutzt hat.
Foto: AVNR

VANR-Geschäftsführer Jens Hennes: „Trotz Niedrigzinsphase immer noch eine ordentliche Rendite erwirtschaften.“

AZ: Herr Hennes, wo überall hat es beim VANR in der Corona-Krise gebrannt?

Hennes: Eine sehr große Herausforderung seit März/April war die Organisation der Geschäftsstelle. Um die Mitarbeiter flächendeckend ins Homeoffice zu bekommen, mussten wir erst einmal für den Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Laptops anschaffen. Aber letztlich hat alles gut funktioniert und wir konnten den Mitgliederservice in vollem Umfang aufrechterhalten.
 

AZ: Und im Hinblick auf die Situation an den Kapitalmärkten?

Hennes: Der Einbruch an den Aktienbörsen ab Ende Februar ging unglaublich schnell. Aber wir hatten an der Börse Limits hinterlegt, mit denen wir bei Erreichen von bestimmten Kursniveaus automatisch kaufen.

 

AZ: Tatsächlich kaufen und nicht verkaufen?

Hennes: Ich weiß, das klingt jetzt erst einmal widersinnig. Üblicherweise platzieren Privatanleger ja Verkaufslimits, um ihre Positionen vor zu starken Verlusten zu schützen. Unsere Idee ist eine andere: antizyklisch investieren. Wir sehen eine Krise als Chance, zu günstigen Preisen bestimmte Portfoliopositionen weiter aufzubauen. Das haben wir jetzt mit unserem selbst entwickelten strategischen Investmentprozess umgesetzt. Wir nennen ihn Aktiensparplan
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AZ: Wie funktioniert dieser Aktien­sparplan im Detail?

Hennes: Immer wenn der europäische und weltweite Aktienmarkt bestimmte Kursstände unterschreitet, erfolgt automatisch ein Kauf von Aktienfonds, die diese abbilden. So können wir im Kursabschwung unsere Aktienpositionen zu immer günstigeren Preisen sukzessive erweitern, was aufgrund des Niedrigszinsumfeldes strategisch notwendig ist, aber auch viel Geduld und Mut bedarf.
 

AZ: Und im Februar und März war dann die Feuertaufe?

Hennes: Nein, die war bereits Ende 2018. Im letzten Quartal dieses Jahres brach der Aktienmarkt deutlich ein. Der von uns entwickelte strategische Investment­prozess griff zu diesem Zeitpunkt das erste Mal. Und so stiegen wir systematisch in den fallenden Markt ein. Die eigentlichen Volumina, mit denen wir unseren Aktienbestand vergrößerten, waren indes noch recht überschaubar – der Markt ging im Dezember 2018 um vergleichsweise bescheidene 15 Prozent zurück. Auf größere Einkaufsmöglichkeiten mussten wir also weiter warten – bis dieses Jahr. Die Indizes büßten weltweit 30 Prozent und mehr ein – entsprechend umfangreich fiel unser Einkauf aus.
 

AZ: Ist der Plan denn aufgegangen?

Hennes: Mit Stand August sind unsere ersten Kaufpositionen bereits in den grünen Bereich gelangt, liegen also über dem Einkaufskurs. Die letzten und tiefsten Käufe weisen Kursgewinne von über 40 Prozent auf. Unser Sparplan hat 18 Stufen, davon lösten acht Käufe aus. Wir hätten also auf noch viel tieferen Niveaus weiter zugekauft, wobei sich das Kauf­volumen auch stufenweise fort­laufend reduziert.
 

AZ: Warum investieren Sie überhaupt in Aktien? Ist das nicht viel zu unsicher für ein Versorgungswerk?

Hennes: Die Zeiten, in denen Versorgungswerke oder auch Lebensversicherungen ihr Geld in Bundesanleihen und Pfandbriefe investieren, sind leider schon lange vorbei: Im Jahr 2000 erbrachte eine zehnjährige Bundesanleihe eine Rendite von knapp sechs Prozent, heute beträgt die Rendite minus 0,5. Da wir die Beiträge unserer Mitglieder ja nicht nur sicher verwalten, sondern auch vermehren sollen, müssen wir unser Kapital streuen: Neben sicheren Zinspapieren investieren wir schon seit Jahren immer stärker in Wertpapiere, die mehr Rendite bringen – dafür aber auch ein gewisses Risiko beinhalten. Die Kunst besteht nun darin, dieses Risiko zu kontrollieren. Deswegen unterlegen wir beispielsweise unsere Aktienanlagen mit Risikoträgern.
 

AZ: Was genau ist ein Risiko­träger?

Hennes: Das sind Eigenkapital­positionen in unserer Bilanz. Sie werden explizit dafür gebildet, um risikoreichere Investments abzusichern. Je mehr Positionen mit höherer Renditeerwartung und entsprechend höherem Risiko wir in unser Portfolio aufnehmen, desto größer muss natürlich unsere Risikoträgerposition sein. Das ist wie auf der Autobahn: Je höher die Geschwindigkeit, desto weiter muss der Sicherheitsabstand zum Vordermann sein. Für den Aufbau der Risikorücklagen mussten wir in Vergangenheit auf Dynamisierungen bei Anwartschaften und Renten verzichten. Diese Enthaltsamkeit zahlt sich jetzt aus: Denn nun besitzen wir zunehmend mehr Risikopolster, um renditestärkere Portfoliopositionen abgesichert auszubauen. So können wir mit unserem Gesamtportfolio trotz Niedrigzinsphase immer noch eine ordentliche Rendite erwirtschaften.
 

AZ: Worauf gründet sich die Anlagestrategie des Versorgungswerks?

Hennes: Unser Vorgehen basiert auf einer systematischen Zukunftsbetrachtung sowohl unserer Vermögenswerte wie auch unserer Zahlungsverpflichtungen. Diese sogenannte Asset-Liability-Manage­ment(ALM)-Studie wurde 2018 von einem externen Beratungsinstitut für uns durchgeführt. Laut der ALM-Studie war unsere Aktienquote unabhängig von der Zinsentwicklung viel zu niedrig.
 

AZ: Wie nimmt man in solch turbulenten Marktsituationen denn die Gremien mit? Jeden einzelnen Kauf oder Verkauf zu diskutieren, wäre wohl kaum zielführend gewesen.

Hennes: Wahrscheinlich ja. Wir haben aber ein wirklich sehr gutes Ehrenamt. Gemeinsam beschlossen wir die grundsätzliche Strategie und damit auch die jeweiligen Kauflimite. Um über den Fortschritt oder auch kleine Anpassungen zu berichten, haben wir regelmäßig Podcasts gemacht und an die Gremien geschickt. Denn Telefonkonferenzen zu normalen Zeiten wären für Apotheker zu Corona-Hochzeiten kaum möglich gewesen. In den Podcasts haben wir quasi laufend berichtet, wie sich unsere Anlagesituation ent­wickelt. Die Podcasts kamen sehr gut an, die Rückmeldungen waren positiv und gaben so den weiteren Kurs vor.
 

AZ: Wo liegt nun die Aktienquote und was hat sich ansonsten in der Allokation getan?

Hennes: Bei den Apothekern haben wir im Corona-Crash die Aktienquote um etwa vier Prozentpunkte auf nun 18 Prozent angehoben. Sehr aktiv und erfolgreich war in den vergangenen Jahren mein für die Immobilien zuständiger Geschäftsführungskollege Stephan Janko unterwegs. Auf der Immobilienseite ist einiges passiert. Beispielsweise hat er schon sehr früh in Logistik investiert und ein breitdiversifiziertes Portfolio im Immobilienbereich aufgebaut. Wo ich mit meinem Team nun immer aktiver werde, ist bei Private Equity, Private Debt und Infrastrukturkapitalanlagen. Diese alternativen Investments sind ein echtes Zukunftsthema für uns. Das gilt auch für erneuerbare Energien. Daher haben wir dieses Jahr eine günstige Gelegenheit genutzt und uns an einem Offshore-Windpark beteiligt.

AZ: Herr Hennes, vielen Dank für das Gespräch. |

 

Michael Wayand/eda

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