Arzneimittel und Therapie

Wenn Strahlen den Haarwuchs stören

Erste Erfolge mit topisch angewendetem Minoxidil

Ein Krebspatient hat mit vielen Begleiterscheinungen seiner Tumorbehandlung zu kämpfen. Besonders belastend ist der strahlenbedingte Haarverlust, der beinahe immer als Folge einer Radiotherapie am Kopf eintritt. Medikamentöse Optionen zur Linderung einer Strahlentherapie-induzierten Alopezie sind rar. In einer kleinen Studie sprachen 82% der Betroffenen auf die topische Anwendung von Minoxidil an.

Aus klinischer Sicht gehört die therapiebedingte Alopezie zu den weniger bedenklichen Begleiterscheinungen einer Tumorbehandlung – für den Patienten hingegen ist der Haarausfall ein sichtbares Zeichen seiner Erkrankung. Meist wird der Haarausfall durch zytotoxische Substanzen, also klassische Chemotherapeutika, hervorgerufen, aber auch Immunonkologika, zielgerichtete Therapien, endokrin wirksame Medikamente, Stammzelltransplantationen und Bestrahlungen können zu Haarausfall führen. Zusätzlich können Veränderungen in der Haarstruktur, in der Pigmentierung und im Wachstum auftreten. Vor allem der Haarausfall beeinträchtigt die Lebensqualität, soziale Interaktionen und das Selbstbild der Betroffenen in großem Ausmaß. So stufen knapp 20% aller Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren die Alopezie als traumatische Nebenwirkung ein. 30% sind in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt, und rund 15% würden eine kurative Therapie ablehnen, wenn diese mit starkem Haarverlust einhergeht.

Das Ausmaß der Alopezie hängt von den jeweiligen Therapieverfahren ab. Zytotoxische Therapien führen in rund 65% aller Fälle zu Haarverlust, bei zielgerichteten Behandlungen sind etwa 15%, bei Immuntherapien rund 2% und bei einer Strahlentherapie im Kopfbereich nahezu 100% betroffen.

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Ein bisschen Geduld brauchen die Patienten bei der Anwendung von Minoxidil: Bei zweimal täglicher Anwendung zeigt sich nach etwa vier Monaten ein erster Effekt.

Wenn die Radiotherapiezum Haarausfall führt

Die strahleninduzierte Alopezie ist charakterisiert durch ein anagenes Effluvium. Darunter versteht man den Verlust von Haaren, die sich in der Wachstumsphase befinden. Zurückzuführen ist das auf einen akuten Schaden der Haarfollikel. Der Haarausfall beginnt ein bis drei Wochen nach der ersten Bestrahlung auf dem entsprechenden Hautareal. Zusätzlich können eine strahlenbedingte Dermatitis, Ulzerationen und Rötungen auftreten (s. Kasten „Tipps für am Kopf bestrahlte Patienten“). Die trichoskopische Untersuchung zeigt gelbe und schwarze Punkte, Vellushaare (kurze, dünne und normalerweise unpigmentierte Haare), einen braunen Hof um die Haarfollikel als Ausdruck einer perifollikulären Entzündung („peripilar sign“) sowie abgebrochene Haare. Üblicherweise zwei bis sechs Monate nach Therapieende setzt der Haarwuchs wieder ein. Allerdings können die Haare auch nur unvollständig nachwachsen, was bei rund 60% der Betroffenen der Fall ist. Man spricht dann von einer persistierenden Radiotherapie-induzierten Alopezie (pRIA). Das Ausmaß der strahleninduzierten Alopezie ist dosisabhängig. Bereits eine Dosis von 2 Gy führt zu einer temporären Alopezie [1]. Radio- oder Protonentherapie wird vor allem zur Behandlung maligner Tumoren des Zentralnervensystems und bei Kopf-Hals-Tumoren eingesetzt.

Tipps für am Kopf bestrahlte Patienten

Bei der Radiotherapie kann es an den bestrahlten Stellen zur Erythembildung mit Überwärmung, Juckreiz, Brennen und Schmerzen kommen. Im weiteren Verlauf treten trockene Schuppen bis hin zu Blasen und Ulzerationen auf. Um das Risiko für solche Hautläsionen zu vermindern, sollten die Patienten zusätzliche Reizungen vermeiden. Die Haare und Kopfhaut können dazu mit einer milden pH-neutralen Seife oder Shampoo gewaschen werden. Gegen trockene Haut helfen unparfümierte Basiscreme oder Lipolotio mit Urea (2 bis 5%). Calendula-haltige Cremes konnten in einer Studie die Stärke und die Ausprägungen der Hautläsionen verhindern, jedoch muss das allergene Potenzial solcher Dermatika beachtet werden. Die Patienten sollten grundsätzlich keine Puder anwenden, da diese die Haut austrocknen und verklebende Eigenschaften besitzen. Bei Brennen und Jucken können Cortisonhaltige Cremes eingesetzt werden, wobei sich 0,1% Mometason als am wirksamsten erwiesen hat in der supportiven Therapie. Bei langfristigem Gebrauch muss jedoch das Risiko für Hautatrophien bedacht werden.

Patienten, die im Hals-Nasen-Ohren-Bereich bestrahlt werden, müssen auf eine gute Mundhygiene achten: Belegten Zähnen und Zahnfleischentzündungen kann durch die Verwendung einer weichen Zahnbürste und regelmäßigen Mundspülungen vorgebeugt werden. Hier bieten sich Dexpanthenol-haltige Mundspüllösungen oder auch Salbeitee an. Dieser wirkt gleichzeitig gegen den unter der Strahlentherapie auftretenden schlechten Geschmack. Kamillentee wird laut Leitlinie selten verwendet, da dieser zusätzlich austrocknen kann. Gegen Mundtrockenheit helfen synthetischer Speichel oder regelmäßiges Wassertrinken. Alkohol und Nicotin sollten während der Bestrahlung vermieden werden, da diese die Schleimhäute zusätzlich reizen können. Gegebenenfalls können Nikotinersatzmittel angewendet werden. Bei einer bestehenden Mukositis hat sich das nichtsteroidale Antirheumatikum Benzyamin bewährt, das auch in Spülungen eingesetzt wird (z. B. Tantum verde®). Soor-Infektionen kann durch die mehrfach tägliche Anwendung von Mundspülungen und den Einsatz von topischen Antimykotika, zum Beispiel mit Nystatin, vorgebeugt werden.

Supportive Maßnahmen in der Radioonkologie, Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGR), Stand Februar 2015

Therapeutische Optionen

Eine Möglichkeit zum Kaschieren der Alopezie ist die Haartransplantation, eine andere die plastisch-chirurgische Rekonstruktion. Medikamentöse Optionen zur Therapie einer strahleninduzierte Alopezie sind rar. Das bei einer Chemotherapie-induzierten Alopezie teilweise erfolgreiche Kühlen der Kopfhaut mittels Kühlhauben („Scalp cooling“) hat sich bei dem strahleninduzierten Haarausfall nicht bewährt [2]. In zwei kleinen Phase-I- und Phase-II-Studien wurde 2004 und 2008 die topische Anwendung von Tempol® (MTS-01; Alkohol-basiertes Gel mit Nitroxiden, in Deutschland nicht im Handel) untersucht [3, 4]. Die neueste Studie wurde 2020 mit Minoxidil durchgeführt. Sie untersuchte neben dem Verlauf einer persistierenden Strahlentherapie-induzierten Alopezie auch die Wirksamkeit von Minoxidil als mögliche Therapieoption. Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Als Antihypertensivum führt Minoxidil über die Aktivierung von Kaliumkanälen zu einer lokalen Vasodilatation und damit zu einer besseren Durchblutung der Kopfhaut. Ebenso wird eine Stimulation der Haarfollikel in der Wachstumsphase mithilfe von Wachstumsfaktoren diskutiert [5].

Gutes Ansprechen auf Minoxidil

An der Studie nahmen 71 Kinder und Erwachsene teil, die nach Schädelbestrahlung aufgrund eines ZNS-Tumors (Medulloblastom oder Glioblastom) oder eines Kopf-Hals-Sarkoms eine persistierende Radiotherapie-induzierte Alopezie entwickelt hatten. Das Durchschnittsalter lag bei 27 Jahren, 72% waren Frauen. 56% der Patienten hatten eine Alopezie ersten Grades. Die geschätzte durchschnittliche Strahlendosis betrug 39,6 Gy. Zwei Faktoren waren signifikant mit schwerer Alopezie assoziiert: Eine höhere Strahlendosis (Risikoerhöhung um 15%) und eine Protonenbestrahlung (im Vergleich mit einer Photonenbestrahlung). Die geschätzte Strahlendosis, die bei der Hälfte der Patienten eine Alopezie zweiten Grades verursachte, lag bei 36,1 Gy. Eine Kohorte von 53 Probanden trug zweimal täglich eine 5%ige Minoxidil-Lösung auf. 34 Patienten konnten durchschnittlich 61 Wochen nachbeobachtet werden. Von dieser Kohorte sprachen 82% (28 Patienten) auf die topische Applikation von Minoxidil an. 16% zeigten ein vollständiges Ansprechen, 52% eine partielle Response. Zwei Patienten sprachen vollständig oder partiell auf eine Haartransplantation an, einer unterzog sich einer plastisch-chirurgischen Rekonstruktion (mit kompletter Response). Die Studienautoren sehen in Minoxidil eine potenziell wirksame Option zur Verbesserung einer persistierenden Radiotherapie-induzierten Alopezie und raten zu größeren Studien, um Wirksamkeit und Verträglichkeit genauer zu prüfen. Sie weisen aber auch darauf hin, dass nur knapp ein Viertel der Probanden eine vollständige Response zeigte. |

Literatur

[1] Freites-Martinez A et al. Hair disorders in patients with cancer. J Am Acad Dermatol. 2019 May;80(5):1179-1196. doi: 10.1016/j.jaad.2018.03.055. Epub 2018 Apr 14.

[2] van den Hurk C et al. No prevention of radiotherapy-induced alopecia by scalp cooling. Radiotherapy and oncology : journal of the European Society for Therapeutic Radiology and Oncology. 2015;117:193–4.

[3] Metz JM et al. A phase I study of topical Tempol for the prevention of alopecia induced by whole brain radiotherapy. Clinical cancer research: an official journal of the American Association for Cancer Research. 2004;10:6411–7.

[4] NCT00801086 Efficacy Study of Tempol to Prevent Hair Loss From Radiotherapy to the Brain 2008.

[5] Phillips GS et al. Assessment and Treatment Outcomes of Persistent Radiation-Induced Alopecia in Patients With Cancer. JAMA Dermatol. 2020 Aug 5;156(9):1–10. doi: 10.1001/jamadermatol.2020.2127

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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