Die Seite 3

Pandemie-Panik

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Das Coronavirus 2019-nCoV hält die Welt in Atem. Während die einen vor einer Dramatisierung des Geschehens warnen, gar von ungerecht­fertigter Panikmache sprechen und dabei auf die in der Regel milde Verlaufsform der Infektion verweisen, gibt es auf der anderen Seite eine große, nicht zu kontrollierende Angst in der Bevölkerung. Jede Neuinfektion in Deutschland wird in den Medien ausführlich berichtet. Sprunghaft steigende Infektionszahlen und Todesfälle in China, abgeriegelte Millionenmetropolen, gekappte Flugverbindungen, Reiseverbote, geschlos­sene Betriebe, potenziell Infizierte unter Quarantäne, die Ausrufung des weltweiten Gesundheitsnotstands – all das trägt zu dieser großen Verunsicherung und zur Angst vor einer weltweiten Ausbreitung, also einer Pandemie, bei. Da hilft auch der immer wieder bemühte Verweis wenig, dass die zurzeit ebenfalls im Steigen begriffenen Fälle von Influenza­infektionen wesentlich gefährlicher sind und Jahr für Jahr zigtausend Todesopfer fordern. Zu groß ist die Angst vor dem Unbekannten. Das war zu Zeiten der SARS(Severe Acute Respiratory Syndrome)-Pandemie 2002/2003, ausgelöst ebenfalls durch ein Coronavirus, und der „Schweine­grippe“, der H1N1-Pandemie 2009/2010, nicht anders.

Auch wenn das SARS-Virus sehr dem jetzt neuen Coronavirus ähnelt und ähnliche Symptome hervorruft, tappen wir an vielen Stellen noch im Dunkeln. Erst langsam kristallisiert sich heraus, dass 2019-nCoV-Über­tragungen auch durch symptomfreie Patienten möglich sind. Eine hohe Viruslast auch nach Abklingen der Symptome lässt befürchten, dass Infizierte länger als bislang angenommen ansteckend sein könnten (s. S. 30). Zudem muss wohl hinterfragt werden, ob das Virus sich nur über infizierte Tröpfchen verbreitet. Aufgrund des Virus-Nachweises in Stuhlproben wird die Möglichkeit fäkaler Schmierinfektionen diskutiert.

Da es keinen Impfstoff gibt, ist die weitere Ausbreitung nur durch konsequente Isolierung potenziell Infizierter möglich. Die getroffenen Maßnahmen folgen dieser Logik in bislang nie da gewesenem Ausmaß und schüren zusätzliche Ängste. Denn sie betreffen mit China ein Land, von dem nicht nur wir über die Maßen in vielen Bereichen – von der Elektronik über den Maschinenbau, die Auto-und Textilindustrie bis hin zu Arzneimitteln – abhängig sind. Werden Fabriken geschlossen und Lieferketten unterbrochen, sind Engpässe und globales Chaos vorprogrammiert. Was das für die Arzneimittelversorgung bei uns, in Europa und weltweit bedeuten kann, davor wird schon seit Jahren gewarnt (s. S. 9).

Ungeachtet dessen sind Angst und Panik die schlechtesten Ratgeber. Eine kluge Analyse der Situation, die richtigen Schlüsse und konsequentes Handeln sind das Gebot der Stunde. Zum Beispiel, endlich Konsequenzen aus unseren bislang schon leidvollen Erfahrungen mit Lieferengpässen zu ziehen und sich aus der übermächtigen Abhängigkeit einzelner Handelspartner zu befreien. Darüber hinaus ist auch Zuversicht angesagt. Denn vieles spricht dafür, dass wir lernen werden, mit den Herausforderungen des neuen Corona­virus so zu leben, wie es inzwischen auch mit dem H1N1-Pandemievirus von 2009/2010 gelungen ist. Denn anders als zu Zeiten von SARS sind die Chancen, dass ein wirksamer Coronavirus-Impfstoff entwickelt werden kann, heute wesentlich größer.

Doris Uhl

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